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Revival für Nachtfahrten auf Schienen

Lange galten Nachtzüge als Auslaufmodell. Nun kommen die Züge mit Liege- und Schlafwagenabteil wieder in Mode

  • Hannah Herger
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Österreichische Bundesbahn setzt weiterhin auf Nachtzüge – auch von Deutschland aus.
Die Österreichische Bundesbahn setzt weiterhin auf Nachtzüge – auch von Deutschland aus.

Totgesagte leben länger: Als sich die Deutsche Bahn zum Jahresende 2016 von ihren »City Night Linern« verabschiedete, schien die Ära der gemütlichen Schlafwagenzüge endgültig vorbei. Dem bundeseigenen Konzern waren Linien wie der »Komet«, der über Nacht von Hamburg nach Zürich düste, nur noch lästig. 30 Millionen Euro Verlust bei 90 Millionen Euro Jahresumsatz – angesichts des jahrelangen Defizits zog die Bahn trotz heftiger Proteste des Fahrgastverbandes Pro Bahn die Reißleine. Die staatlichen Österreichischen Bundesbahnen, kurz ÖBB, waren weniger skeptisch bei dem Nischenprodukt, umwarben potenzielle Nachtzugreisende mit dem Spruch »Lässig statt stressig«. Der Erfolg gibt den Österreichern recht, die deshalb kräftig in den weiteren Ausbau investieren. Konkurrenz kommt von neuen Playern, die – unterstützt von der EU – mit neuen Linien und neuen Konzepten auf den Markt drängen.

Infos
  • Über www.nachtzug-urlaub.de sowie www.bahndampf.de/nachtzug kann man sich über bestehende Nachtzugverbindungen sowie geplante Strecken informieren. Tickets kann man über die Internetseiten der Betreiber buchen: www.nightjet.com; www.bahn.de/angebot/international/nachtzug; www.snalltaget.se/en/; www.europeansleeper.eu/en;
    www.midnight-trains.com/en/home

    Die Klimakrise könnte die Renaissance der Nachtzüge beschleunigen, die sich als Alternative zu innereuropäischen Flügen anbieten. Denn sicher ist: Fliegen ist laut Umweltbundesamt die umweltschädlichste Art der Fortbewegung. Schätzungen zufolge liegt der Anteil der Luftfahrt an den globalen CO2-Emissionen bei etwas mehr als zwei Prozent. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn Substanzen wie Stickoxide, Aerosole, Feinstaub und Wasserdampf, die bei der Verbrennung von Kerosin entstehen, befeuern den Treibhauseffekt. Die Luftfahrtbranche, so der schwedische Professor Stefan Gössling, dürfte deshalb für rund fünf Prozent des Erwärmungseffekts verantwortlich sein.

    Bei einem Flug von Berlin nach London und zurück fallen knapp 600 Kilogramm CO2 an: Das stellt bereits ein Viertel jenes Pro-Kopf-Wertes dar, der als vertretbar für das Klima gilt. Bahn, aber auch Reisebus, schneiden sehr viel besser ab. Ein Zug im Fernverkehr etwa produziert 36 Gramm Treibhausgase pro Personenkilometer. Im Beispiel Berlin–London und zurück käme der Reisende so auf knapp 80 Kilogramm CO2. Das gute Gewissen gibt es allerdings nicht fürs kleine Geld: Während Flugtickets – dank Nichtbesteuerung von Kerosin – oft für ’n Appel und ’n Ei zu bekommen sind, kann es im Nachtzug deutlich teuer werden, vor allem, wenn man im bequemen Schlafwagen reisen möchte. Bis zu 200 Euro kann die Fahrt von Hamburg nach Basel im Nightjet kosten, im Liegewagen werden 160 Euro fällig. Flugscham muss man sich auch leisten können.

    Trotz der Preise ist die Perspektive, am Heimatort einzusteigen, geruhsam einzuschlafen und erholt am Urlaubsort auszusteigen, verlockend. 1,4 Millionen Fahrgäste sind pro Jahr in den blauen Waggons der »Nightjets« unterwegs, was die Marke zum europäischen Marktführer macht. Das Geschäft läuft so gut, dass die ÖBB ihr Netz zwischen Hamburg und Rom, Paris und Budapest kontinuierlich erweitert. 2019 fuhr erstmals ein Nachtzug von Wien nach Brüssel, zwei Jahre später folgte die Verbindung über München und Mannheim nach Paris, wo man rechtzeitig zum Frühstück eintrifft. Bratislava, Ljubljana, Budapest, Rom und Zagreb sind weitere Ziele. Von Stuttgart oder München geht es im Schlaf sogar in das Strandstädtchen Split, wobei Reisende gar ihr Auto oder ein Motorrad mitnehmen können. Rund 700 Millionen Euro will das Unternehmen in den kommenden Jahren in ihr Nachtzug-Streckennetz investieren, berichtete eine österreichische Zeitung, die sich auf Aussagen von ÖBB-Chef Andreas Matthä berief. Bis 2025 soll sich demnach die Passagierzahl verdoppeln.

    Die Österreicher sind nicht die einzigen, die sich für das einstige Auslaufmodell begeistern. Nachdem die Europäische Kommission 2021 zum europäischen Jahr der Schiene erklärt hatte, stuft sie Nachtzüge als Teil des Aktionsplanes »Green Deal« ein, mit dem Europa klimaneutral werden will. Für EU-Verkehrskommissarin Adina Valean sind die rollenden Hotels auf Schienen gar eine Art »Game changer«, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens doch noch zu erreichen. Grenzüberschreitenden Zugverbindungen, auch in der Nacht, kämen große Bedeutung zu.

    Erstes Ergebnis dieser politischen Absichtserklärung: Das 2006 gegründete schwedische Bahnunternehmen Snälltåget verlängert ab April seine Linie von Hamburg nach Stockholm bis nach Berlin. Rund 17 Stunden dauert die Fahrt von der Spree bis in die skandinavische Metropole. Stationen auf dem Weg sind Hamburg und Malmö. 999 Kronen, rund 89 Euro, kostet die einfache Fahrt im Ruhesessel, die edel ausgestattete Schlafkabine mit eigenen WC und Dusche kommt deutlich teurer, dafür bekommen Reisende Komfort wie in der Businessclass geboten.

    Die Bundeshauptstadt gehört eindeutig zu den Gewinnern des Nachtzug-Revivals. Ab Mai geht eine weitere Verbindung an den Start – dieses Mal Richtung Westen. Dank der Unterstützung der EU, die zehn Pilotverbindungen fördert, nimmt das belgisch-niederländische Start-up »European Sleeper« die Strecke Berlin–Amsterdam–Brüssel in Betrieb, mit direktem Anschluss an den Eurostar nach London. Das Ticket für einen Sitzplatz gibt es ab 49 Euro, für den Liegesitz ab 79 Euro. Wer den komfortablen Schlafwagen vorzieht, muss mindestens 109 Euro berappen. WLAN, Kaffee sowie ein Frühstück sind dann inklusive.

    Das junge Unternehmen, das als Genossenschaft organisiert ist, macht mächtig Dampf. Im kommenden Jahr soll der Berlinexpress nach Dresden und Prag verlängert werden. 2025 soll es dann über Nacht von Amsterdam nach Barcelona gehen.

    Vom Luxus des Orient-Express, der Kaiser und Könige, Päpste, Maharadschas und Kalifen, Spione und Schmuggler willkommen hieß, dem Autoren wie F. Scott Fitzgerald, Agatha Christie oder Graham Greene ein literarisches Denkmal setzten, sind die Nachtzüge von heute Lichtjahre entfernt. Die Mutter aller Luxuszüge, Mythos und Ikone zugleich, wurde ein Opfer des vermeintlichen Fortschritts, entartete schließlich zur kostspieligen Schienenkreuzfahrt, bei denen sich zahlungskräftige Kundschaft von Kellnern mit weißen Handschuhen im nostalgischen Salonwagen bedienen lässt. Ein bisschen Luxus, nur stärker am Zeitgeist ausgerichtet, schwebt dem französischen Unternehmen Midnight Trains vor, das ab dem kommenden Jahr den Markt aufmischen möchte. Ausgehend vom Gare du Nord in Paris sollen Nachtzüge in ganz Europa unterwegs sein. Berlin, Hamburg, Kopenhagen, Budapest, Prag, Wien, Rom, Florenz, Venedig, Mailand, Madrid, Porto und Lissabon stehen auf der Liste der Gründer. 2024 soll eine erste Strecke in Betrieb gehen, wobei sich das junge Unternehmen über Ticketpreise und Abfahrtszeiten noch ausschweigt.

    Dafür haben Adrien Aumont und Romain Payet, die Köpfe hinter dem Projekt, klare Vorstellungen vom Aussehen ihres »Kindes«. Die beiden Macher träumen von einer Art »Boutique-Hotel auf Schienen«, mit modernen Kabinen, die sowohl für Einzelreisende als auch für Paare, Familien und größere Gruppen geeignet sind. Eine Bar, Restaurants sowie ein Concierge-Service, der über eine App gesteuert wird, sollen die Reise noch vergnüglicher machen. Bei allem angedachten Komfort: Das Reisen in der französischen Variante des Nachtzugs soll erschwinglich bleiben.

    Der Orient-Express, der von 1883 bis 2009 zwischen Paris und Istanbul verkehrte, zuletzt als unbedeutender Schnellzug, überwand zahlreiche Ländergrenzen. Eine Magistrale quer durch den Kontinent ist heute Zukunftsmusik. Denn es gibt viele Baustellen, die den Ausbau des Nachtzugnetzes behindern. Unterschiedliche Stromversorgungen, Sicherheitsstandards, Signalsysteme oder – wie in Spanien – andere Schienenbreiten machen internationale Verbindungen kompliziert und teuer. Solange dies so ist, bleibt Europas Bahnnetz ein Flickenteppich.

    Die Österreichische Bundesbahn setzt weiterhin auf Nachtzüge – auch von Deutschland aus.
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