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Geschichten vom »Weißen Gold«
Schloss Weyer im oberösterreichischen Gmunden beherbergt eine der bedeutendsten europäischen Sammlungen Meissener Porzellans
Herzlich willkommen im Schloss Weyer«, begrüßt der Hausherr seine Gäste. Staunend stehen die Besucher im arkadengesäumten Innenhof des zweistöckigen Renaissanceschlösschens im oberösterreichischen Gmunden, das Otto Schober als »einfache aber geschichtsträchtige Mauern« umschreibt. Der Wiener Unternehmer entdeckte das rund 500 Jahre alte sanierungsbedürftige Anwesen 1980 während einer Dienstreise und verliebte sich sofort. Man kann sich das Gesicht seiner Frau vorstellen, als er sie von unterwegs anrief und ihr mitteilte: »Ich kauf uns ein Schloss.«
- Galerie Schloss Weyer, Gmunden, Karl-Josef-von-Frey-Gasse 27, Tel: 043 7612 65018; wegen Bauarbeiten 2023 geöffnet vom 18. Juli bis 19. August, Di bis Fr 10 bis 12 und 14 bis 17.30 Uhr sowie Sa 10 bis 13 Uhr. Nach telefonischer Absprache sind Führungen aber jederzeit möglich.
Inzwischen haben sich Renate Schobers Nerven längst beruhigt – die »einfachen Mauern« wurden von Grund auf saniert und beherbergen heute die größte und umfangreichste Sammlung Meissener Porzellans außerhalb Meißens. Man könnte auch sagen: Schloss Weyer ist so etwas wie die exklusive Verpackung für einen unermesslich wertvollen Schatz aus drei Jahrhunderten.
Bevor die Besucher darüber mehr erfahren, bittet die Hausherrin erst einmal zum Kaffee. Vorsichtig und in der Hoffnung, dass diese es nicht bemerkt, dreht eine der Besucherinnen die Untertasse um, um zu schauen, ob das Zwiebelmuster wirklich echtes Meissener ist. Doch Renate Schober entgeht nichts. »Sie müssen die gekreuzten Schwerter nicht unter dem Porzellan suchen«, sagt sie lächelnd. »Schauen Sie, hier auf dem Muster sind die gekreuzten Schwerter ebenfalls abgebildet.« Während die Gäste ihren Kaffee schlürfen, erfahren sie noch mehr Interessantes über das älteste Muster der Meissener Porzellanmanufaktur, das dort seit 1731 gemalt wird und bis heute nichts an Beliebtheit verloren hat.
Die nächsten Stunden sind voller Geschichten, denn jedes der mehr als 1000 verschiedenen Objekte, die Renate und Otto Schober in mehr als fünf Jahrzehnten zur größten privaten Sammlung Europas zusammengetragen haben, wird zu einem aufgeschlagenen Buch, sobald einer von beiden davorsteht. Die gut ein Meter hohe kobaltblaue Deckelvase zum Beispiel, die 1985 zum 275. Jubiläum der Manufaktur im Stil alter chinesischer Monumentalvasen angefertigt wurde. »Nur einer konnte das, der Freidreher Gerhard Wronkowski«, erzählt Otto Schober. »Nicht nur, weil er der Erfahrenste in dieser speziellen Technik war, sondern auch, weil er mit seiner Größe von fast zwei Metern als einziger körperlich in der Lage war, so ein gewaltiges Teil überhaupt zu drehen.« Nach dem Jubiläum verkaufte die Manufaktur die Vase an die Gmundener Sammler. Als Jahre später ein Duplikat angefertigt werden sollte, gab es niemanden, der dazu in der Lage war. Wronkowski war längst in Rente, und sein Sohn, der den Auftrag ausführen sollte, hatte nicht die Statur seines Vaters geerbt, seine Arme waren einfach zu kurz, um die Vase zu formen. »So blieb unsere ein Einzelstück«, freut sich Otto Schober.
Viele solcher Unikate und deren Geschichten werden die Gäste noch sehen und hören. Doch vorher wollen sie gern wissen, wie die Österreicher eigentlich zu einer solch außergewöhnlichen Sammlung kamen.
»Angefangen hat alles mit einer kleinen Vase«, erzählt Renate Schober, die gelernte Edelsteinschleiferin ist und schon immer ein Faible für Schönes hatte. Ihr Mann indes hatte mit Porzellan nichts am Hut. Der erfolgreiche Unternehmer ist Maschinenbauer, besitzt zahlreiche Patente für Wasserpumpen und Druckluftwerkzeuge, die er weltweit verkauft und somit das finanzielle Polster für die Sammelleidenschaft erwirtschaftet.
Seit den 1970er Jahren reiste er regelmäßig zur Leipziger Messe, sie begleitete ihn oft. Während er dort seinen Geschäften nachging, reiste sie nach Meißen, um selber zu sehen, wie das Porzellan entsteht. »Ich war total fasziniert, kaum etwas anderes hat mich jemals so begeistert«, erzählt sie. Bald schon knüpfte Renate Schober erste Kontakte zu Gestaltern, Malern und Künstlern und nahm über die Jahre an zahlreichen Seminaren teil. Die Wissbegierde und das Fachwissen der jungen Frau beeindruckte die Meissener Experten. Wie sehr, zeigt sich auch daran, dass der einstige Abteilungsleiter für künstlerische Gestaltung der Porzellanmanufaktur, Peter Häßlich, als er 2004 nach 50-jähriger Tätigkeit in Rente ging, sein komplettes Handwerkszeug Renate Schober für die Sammlung überließ.
Wohl spätestens, als Otto Schober das erste Mal selbst in Meißen war, erwischte auch ihn das unheilbare Porzellan-Virus. Als beide mal wieder die Manufaktur besuchten, wurden sie gefragt, ob sie nicht spezielle Pinsel besorgen könnten, die es in der DDR nicht gab. Nichts leichter als das, dachte sich Otto Schober, doch als er sie in einer Wiener Spezialhandlung kaufen wollte, erfuhr er, dass diese die letzten gerade an die Wiener Porzellanmanufaktur Augarten verkauft hatte. Da Otto Schober sein Versprechen einhalten wollte, fragte er in der berühmten Wiener Manufaktur nach, ob sie ihm ein paar der Pinsel verkaufen könnten, nicht ahnend, dass er dort offene Türen einrannte. »Wir geben alle her, wenn uns Meissen dafür Farben liefert«, sagte der Direktor und erklärte: Bis 1945 habe Augarten bestimmte Farben von dort bekommen, dann brach der Kontakt leider ab. So kam es, dass Schober zur nächsten Messe die gewünschten Pinsel nach Meißen und von dort die ersehnte Farbe nach Wien brachte.
Die Sammlung wuchs und wuchs, und mit dem Erwerb von Schloss Weyer hatten Schobers nun auch den Platz, sie repräsentativ zu zeigen. Heute kann man dort in sieben Räumen auf eine Zeitreise durch die 313-jährige Geschichte der Porzellanmanufaktur Meissen gehen. Nirgendwo anders, außer in Meißen selbst, bekommt man einen solch umfassenden Überblick über die Entwicklung des »Weißen Goldes« von seiner Erfindung durch Johann Friedrich Böttger im Jahr 1708 über die Gründung der ältesten Porzellanmanufaktur Europas 1710 bis in die Gegenwart. Schobers besitzen Arbeiten von allen großen Gestaltern, die den Ruf der Manufaktur über die Jahrhunderte prägten.
Eine besondere Geschichte erzählt auch eine kleine Figur des aus dem Salzkammergut stammenden Hofnarren Augusts des Starken, Joseph Fröhlich, die Johann Joachim Kändler 1736 in dessen Auftrag als diplomatisches Geschenk für die von Fröhlich unterhaltenen Gäste entwarf. Als Renate Schober sie in einer Ausstellung sah, wollte sie diese gern für die eigene Sammlung erwerben. Die Form gebe es noch, erfuhren Schobers auf Nachfrage in Meißen, sie müsse jedoch repariert werden, was sich für eine Figur nicht lohnen würde. »Wir nehmen auch mehrere«, entschied Otto Schober, der auch mit Meissener Porzellan handelt, »wie viel würden denn aus der Form machbar sein?« Wenn alles gut geht, acht bis zehn, so die Antwort. Er gab die Bestellung auf, doch als er 2007 die acht Figuren in der Manufaktur abholen wollte, bekam er eine Absage mit der Begründung, Bundeskanzlerin Angela Merkel wolle sie als diplomatisches Geschenk für die Teilnehmer des G8-Gipfels erwerben. Sieben davon wollte Schober ja hergeben, aber: »Für Frau Merkel selbst wird das Stück ja nicht notwendig sein«, sagte er und berief sich auf seinen Vertrag. So kam es, dass sieben Hofnarren an die Regierungschefs der G8-Staaten verschenkt wurden, der achte aber nach Gmunden ging. Mit einem kleinen Unterschied zum Original aus dem 18. Jahrhundert: Bei diesem zieren Fröhlichs Hemd winzige Streublümchen, bei dem diplomatischen Geschenk aus dem 21. Jahrhundert sind es Eurozeichen. 2010 übrigens schuf der damalige Chefplastiker, Jörg Danielczyk, anlässlich des 300-jährigen Bestehens der Porzellanmanufaktur eine moderne Interpretation der Figur des Hofnarren. Sein »Harlekin« aus braunen Böttger-Steinzeug fand selbstverständlich auch einen Platz in der Schoberschen Sammlung.
Manchem Objekt verhalf der Zufall nach Gmunden. »Wir hätten da was für Sie«, sagte ein Manufaktur-Mitarbeiter bei einem Besuch Schobers im Jahr 1976, und führte ihn auf den Dachboden. »Ich glaubte meinen Augen nicht«, erinnert er sich. »Etwa 150 dick eingestaubte Unikate standen da herum, die seit Jahrzehnten niemand mehr zu Gesicht bekommen hatte.« Wie er erfuhr, entstanden sie 1916 für eine geplante Schauhalle in der Manufaktur, die aber wurde niemals gebaut. Über die Jahre gerieten die erlesenen Unikate in Vergessenheit, bis sie durch einen Zufall wiederentdeckt wurden. Was er dafür bezahlen musste, darüber hüllt sich Otto Schober in Schweigen. »Wichtig ist doch, dass die einmaligen Schätze aus ihrem verrußten Verließ kamen und heute für jedermann sichtbar sind.«
Porzellan galt schon immer als Mittel der Diplomatie zur Bündnis- und Freundschaftspflege. Davon erzählen auch zahlreiche wertvolle Stücke in Schobers Sammlung. 1980 reiste Erich Honecker zu seinem ersten offiziellen Staatsbesuch in einem westlichen Land nach Österreich. In der Folge des Besuches gab es 1982 im Museum für Angewandte Kunst in Wien die europaweit erste Ausstellung der DDR mit Meissener Porzellan. Gezeigt wurden zahlreiche Meisterwerke bedeutender Künstler der Manufaktur vom Barock bis in die Gegenwart. Otto Schober, der beim Zustandekommen der Ausstellung half, konnte im Nachhinein mehrere Unikate erwerben, darunter Teile des 1973 von Prof. Heinz Werner entworfenen Service »1000 und eine Nacht«.
Bewundern kann man im Schloss Weyer auch eine gedeckte Tafel mit dem wohl aufwendigsten und berühmtesten Meissener Tafelservice, dem für den sächsischen Premierminister Heinrich Graf von Brühl geschaffenen Schwanen-Service. Fünf Jahre, von 1737 bis 1742, arbeiteten die Modelleure Johann Joachim Kändler, Johann Friedrich Eberlein und Johann Gottlieb Ehder an dem 2200 Teile umfassenden spätbarocken Service. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war es in Brühls ehemaligem Schloss in Pförten (heute Brody), seitdem gilt es als verschollen, nur wenige originale Stücke blieben erhalten. Einige davon sind heute im Schloss Weyer zu sehen, das komplette Service ließ Otto Schober nacharbeiten.
Der Hausherr bleibt vor der von Ernst Barlach 1922 geschaffenen Plastik »Schwebender Gottvater« aus braunem Böttger-Steinzeug stehen. »Ich hadere ein bisschen mit diesem Schokoladenbraun«, beginnt er seine nächste Geschichte. Als im Jahr 2000 der Herzog von Kent das neue Turmkreuz für die Frauenkirche, das durch Spenden des »Dresden Trust« aus dem Vereinigten Königreich finanziert wurde, nach Dresden brachte, wollte der damalige Ministerpräsident Kurt Biedenkopf der Queen ein Exemplar der Barlach-Plastik als Dank überreichen. Doch in einem der letzten Arbeitsschritte passierte in der Porzellanmanufaktur ein nicht zu reparierendes Malheur. Nun war guter Rat teuer. Woher so schnell einen neuen Gottvater besorgen? »Eines Tages bekam ich einen Anruf aus der Manufaktur«, erinnert sich Otto Schober. Die schilderten die Situation und sagten: »Alle Ihre Sonderwünsche wurden stets erfüllt, nun müssen Sie uns helfen. In einer Stunde kommt ein Auto und holt Ihren Gottvater ab!« Zwei Jahre später lieferte die Manufaktur einen neuen, mit dessen Farbabweichung zum Vorgänger Otto Schober sich aber bis heute nicht anfreunden kann. »So aber wurden wir zum königlichen Hoflieferant«, schmunzelt er.
Als sich die Besucher nach Stunden von den überaus charmanten Gastgebern verabschieden, haben sie in das porzellanene Geschichtenbuch nur hineingeschnuppert. »Kommen Sie unbedingt wieder«, verabschieden sich Renate und Otto Schober. »Es gibt noch so viel zu entdecken und zu erzählen.«
Die Recherche wurde unterstützt von A.R.T. RedaktionsTeam Salzburg.
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