Häusliche Gewalt verhindern: Intervenieren, bevor es eskaliert

Das »Gentle Project« will häusliche Gewalt bei Geflüchteten verhindern. Die Finanzierung ist aber unsicher

Dass die psychosozialen Berater beim »Gentle Project« auf einem schmalen Grat wandern, wird bei der Pressekonferenz am Montag, mit der das Projekt vorgestellt werden soll, schnell klar. Sie betreuen Geflüchtete, die häusliche Gewalt anwenden oder befürchten, dies zu tun. In der Vergangenheit waren immer wieder Fälle von Gewalt in Flüchtlingsunterkünften bekannt geworden. Trauriger Höhepunkt war ein Vorfall in Pankow im Oktober, bei dem ein Ukrainer seine Ehefrau vor den Augen der Kinder tötete. »Solche Fälle können verhindert werden«, gibt sich Lothar Dunkel von der International Psychosocial Organization (IPSO), die für das Projekt verantwortlich ist, überzeugt.

Geflüchtete, die schon zu Tätern geworden sind oder befürchten, solche zu werden, psychosozial zu betreuen, bedeute dabei keineswegs, die Taten zu verharmlosen. Das Projekt solle die Strafverfolgung nicht ersetzen. »Gewalttaten werden natürlich auch weiterhin mit allen Mitteln des Strafrechts verfolgt«, sagt Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke), deren Haus das Projekt finanziert. Priorität genieße es weiterhin, Frauen und Kinder von gewalttätigen Männern räumlich zu trennen. Aber: »Wir sehen, dass Trennung als einzige Maßnahme nicht ausreicht«, so Kipping. Mit dem Programm solle verhindert werden, dass es überhaupt zu Gewalt komme. »Das ist nicht nur der menschlichere, sondern auch der effizientere und nachhaltigere Weg«, so Kipping.

Das Projekt läuft seit September vergangenen Jahres. Insgesamt 185 000 Euro zahlt der Senat dafür. Im Regelfall gehören zu einem Durchlauf acht wöchentliche Gruppensitzungen, dazu kommen Einzelgespräche, die sowohl in den Flüchtlingsheimen selbst als auch im IPSO-Beratungszentrum in Schöneberg stattfinden. Die Berater stünden aber auch nach diesen acht Wochen zur Verfügung, um Rückfälle in gewalttätiges Verhalten zu verhindern, sagt Mina Orang, die das Projekt leitet. Bisher hätten 176 Personen an dem Projekt teilgenommen, von denen 34 in der Vergangenheit mit gewalttätigem Verhalten aufgefallen waren. Die Gespräche finden in der Muttersprache der Teilnehmer statt. Aktuell wird Arabisch und die im Iran und in Afghanistan verbreitete Sprache Farsi angeboten, bald sollen auch Ukrainisch und Russisch dazukommen. Die Berater durchlaufen eine einjährige Ausbildung, viele von ihnen sind selbst als Geflüchtete nach Deutschland gekommen.

Die Teilnahme an dem Projekt ist freiwillig. Personen, denen die Teilnahme von Gerichten auferlegt wurde, gibt es nicht. »Dafür gibt es Projekte der Justizverwaltung, die das besser können«, sagt Monika Hebbinghaus, Pressereferentin des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten. »Unser Projekt ist auch nicht darauf ausgerichtet, dass Menschen mit Auflagen kommen.« Es gebe aber Personen, denen Sozialarbeiter mit Nachdruck deutlich machen, dass eine Teilnahme die letzte Chance vor einer strafrechtlichen Verurteilung sein könnte, schränkt Projektleiterin Orang ein. Das sei aber die Minderheit, die meisten würden aus eigener Motivation kommen.

Im Fokus der Gespräche stünde Selbstreflexion. »Wir wollen herausfinden, woher die Gewalt kommt und dann andere Lösungen aufzeigen«, sagt Orang und stellt klar: »Geflüchtete neigen weder von Natur aus noch kulturell zu Gewalt.« Viele Geflüchtete seien aber von psychischen Traumata belastet, dazu kommen stressfördernde Lebensbedingungen in den beengten Unterkünften. Weil das eigene Schicksal in der Hand der Behörden liegt, entwickle sich so bei vielen ein Gefühl des Kontrollverlusts. Für manche sei Gewalt gegen die eigene Familie dann ein Weg, sich wieder mächtig zu fühlen.

Die psychosozialen Berater versuchten, genau an dieser Stelle zu intervenieren und Wege aufzuzeichnen, wie diese Handlungsmacht auch ohne Gewalt wiedergewonnen werden kann. »Wir wollen den Menschen bewusst machen, dass sie eine Wahl haben«, sagt Aous Shaheen, einer der Berater im Projekt, im Anschluss an die Pressekonferenz zu »nd«. Für viele bedeute es schon einen Fortschritt, jemandem die eigenen Gewaltgedanken mitteilen zu können und sie zu reflektieren. »Wir wollen aus dem Teufelskreis herauskommen«, sagt Shaheen. Eine Psychotherapie ersetzen könne das achtwöchige Programm nicht, aber für viele sei es ein wichtiger Impuls, selbst etwas an ihrem Verhalten zu ändern.

Für die Projektinitiatoren überraschend interessierten sich mehrheitlich Frauen für das Projekt. 91 der 176 Teilnehmer seien Frauen. Ein Teil von ihnen nehme teil, weil im Rahmen des Projekts auch über Möglichkeiten für Frauen aufgeklärt wird, sich gegen gewalttätige Männer zu wehren. Viele von ihnen kommen aber auch, weil sie gegenüber ihren Kindern Gewalt ausgeübt haben oder befürchten, dies zu tun, berichtet Wafa Gazawi, eine Beraterin im Projekt, im Gespräch mit »nd«. »Wir hatten das Projekt zunächst als reine Männerarbeit geplant, aber das hat sich schnell als Scheuklappen-Denken gezeigt«, sagt LAF-Sprecherin Hebbinghaus.

Viele weibliche Geflüchtete spürten ein Gefühl der Wut, das sie nicht kanalisieren könnten, berichtet Gazawi. Dazu komme, dass viele geflüchtete Eltern hohe Erwartungen an die Karriere der Kinder haben, weil sie selbst häufig nicht in dem Beruf arbeiten könnten, den sie im Heimatland erlernt hatten. Wenn die Kinder diese hohen Erwartungen aus Sicht der Eltern nicht erfüllen, könne es zu Gewalt kommen – physisch oder psychisch. »Wir tun unser Bestes, um zu verhindern, dass solche Situationen zu Gewalt eskalieren«, sagt Gazawi. Viele Eltern glaubten, dass sie ihren Kindern mit diesem Druck langfristig etwas Gutes tun würden. Teil der Gespräche sei daher, den Eltern Empathie und Fähigkeiten zu vermitteln, produktiver auf Enttäuschungen zu reagieren.

Aktuell arbeiten vier Berater fest in dem Programm, dazu kommen Mitarbeiter auf Vertragsbasis. Insgesamt sind das sieben bis acht Personen – für mehr als 34 000 Geflüchtete in Berlin. Für Katja Kipping ist klar, dass es zunächst um ein »Pilotprojekt« gehe, das evaluiert werden müsse. Sie wünsche sich aber, dass das Projekt langfristig finanziert und ausgebaut wird. Für das laufende Jahr sei die Finanzierung noch sicher, danach müsse der neue Senat über die Fortführung entscheiden. Wafa Gazawi sieht ihre Aufgabe jedenfalls noch nicht als erfüllt an: »Wir wollen so viele Menschen wie möglich erreichen.«

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