Expertenrat zur Klimapolitik: Zielerreichung unwahrscheinlich

Expertenrat für Klimafragen sieht die geplanten Änderungen am Klimaschutzgesetz skeptisch

  • Verena Kern
  • Lesedauer: 4 Min.

Als das Umweltbundesamt (UBA) Mitte März seine Berechnungen für die deutsche Treibhausgasbilanz des vergangenen Jahres vorlegte, titelten viele Medien: »Deutschland erreicht Klimaziel 2022«. Der CO2-Ausstoß ging im Vergleich zum Vorjahr von 760 Millionen auf 746 Millionen Tonnen zurück, ein Minus von 1,9 Prozent. Ist damit alles gut? Nein, sagte UBA-Chef Dirk Messner damals. Das Tempo reiche nicht, um auch das Klimaziel für 2030 zu schaffen. Damit die Emissionen wie geplant dann nur noch bei 440 Millionen Tonnen liegen, müsse Deutschlands Ausstoß ab sofort und jedes Jahr um sechs Prozent sinken – dreimal so stark wie letztes Jahr.

Nein, sagt jetzt auch der Expertenrat für Klimafragen. Das fünfköpfige Gremium legte am Montag seinen Prüfbericht vor, in dem – wie im Klimaschutzgesetz vorgesehen – die UBA-Berechnungen bewertet werden. »Die vertiefte Analyse zeigt, dass nicht alles gut ist«, sagte der Ratsvorsitzende Hans-Martin Henning, Chef des Fraunhofer-Instituts für solare Energiesysteme, bei der Präsentation des Berichts.

Der Emissionsrückgang 2022 war laut Expertenrat im Wesentlichen krisenbedingt und folglich nur »von temporärer Natur«. Wegen des Ukraine-Kriegs und der Energiekrise war das Wirtschaftswachstum geringer als angenommen, die Industrie drosselte ihre Produktion, die Bürger*innen heizten weniger. Zwar habe der Ausbau grüner Technologien langsam zugenommen, doch die fossilen Energien seien nicht entsprechend zurückgefahren worden. Für die nächsten Jahre heißt das: Ohne zusätzliche Anstrengungen wird Deutschland im Jahr 2030 bei einem CO2-Ausstoß von 630 Millionen Tonnen landen – 190 Millionen Tonnen über dem Zielwert.

Die Sektoren Gebäude und Verkehr fielen dem Expertenrat auch 2022 wieder negativ auf. Sie verfehlten erneut die Emissionsziele, die das Klimaschutzgesetz vorgibt. Der Verkehrsbereich emittierte sogar mehr als im Jahr davor. Weil dieser Überschuss auf die kommenden Jahre angerechnet wird, baut sich ein immer größerer Emissionsberg auf. »Eine Zielerreichung bis 2030 ist im Verkehr besonders unwahrscheinlich«, sagte Forscher Henning. Beide Sektoren müssen nun Sofortprogramme vorlegen, mit denen die Lücke geschlossen werden kann. Dafür haben sie laut Gesetz drei Monate Zeit.

Schon in den vergangenen Jahren war dies für die zuständigen Ministerien keine Lieblingsaufgabe. Die vorgelegten Sofortprogramme wurden vom Expertenrat immer wieder moniert, das Programm von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) fiel sogar komplett durch: Es habe zu wenig Substanz, um überhaupt geprüft zu werden. »In diesem Jahr sollte das anders sein«, mahnte Henning. »Wir gehen davon aus, dass das Klimaschutzgesetz Gültigkeit hat.«

Doch in diesem Punkt ist vieles unklar, denn die Bundesregierung will das Gesetz ändern und die bisherigen Sektorziele aufweichen. Damit, wie viele vermuten, vor allem dem Verkehrsminister weitere unrühmliche Auftritte erspart bleiben, sollen die Sektoren nicht mehr jährlich bilanzieren müssen, wie viele Emissionen sie zu verantworten haben, sondern die Ergebnisse der Sektoren werden miteinander verrechnet. So zumindest hat es der Koalitionsausschuss Ende März beschlossen. Schafft beispielsweise die Industrie mehr Reduktion, könnte dies dem Verkehr aus der Patsche helfen, wenn dieser erneut keine oder zu wenig Einsparungen erreicht.

Der Expertenrat kritisiert diese Pläne deutlich. Die Ressortverantwortung, eine der großen Errungenschaften des Klimaschutzgesetzes, werde tendenziell geschwächt, so das Gremium. Zudem steige die Gefahr, dass die Klimaziele verfehlt werden, wenn die Verpflichtung zum Nachsteuern gelockert wird. »Das unterhöhlt die Glaubwürdigkeit des Klimaschutzgesetzes«, sagte die Co-Vorsitzende Brigitte Knopf vom Berliner Klimaforschungsinstitut MCC.

Die große Frage ist: Wie ernst nimmt die Politik ihre selbstgesteckten Ziele? Zweifel wecken nicht nur die unzureichenden Sofortprogramme aus dem Hause Wissing. Knopf verwies auch auf einen Bericht über die langfristige Entwicklung der Treibhausgasemissionen, den die Bundesregierung gemäß Klimagesetz dem Parlament bis Ende März hätte zusenden müssen. Passiert ist – nichts.

Dass ein Sektor dem anderen aushelfen kann und die Klimaziele dennoch erreicht werden, so wie die Bundesregierung sich das vorstellt, ist zudem wenig wahrscheinlich. »Kein Sektor ist auf dem Pfad«, stellte Henning klar. Sprich: Es gibt gar keine Verteilungsspielräume. Und nach EU-Regeln muss Deutschland ohnehin in allen Bereichen, die nicht vom Emissionshandel abgedeckt sind, wie eben Verkehr und Gebäude, jährlich bestimmte Reduktionsziele schaffen – oder entsprechende Zertifikate teuer nachkaufen.

Wie die Ampel die geplante Verrechnung der Sektoren im Einzelnen ausgestalten will, ist noch offen. In der Koalition dürfte damit weiterer Streit vorprogrammiert sein. Kaum lag der Prüfbericht des Expertenrats vor, meldete sich Julia Verlinden von den Grünen zu Wort und betonte, die Sektorziele blieben auch nach der Novelle des Klimaschutzgesetzes bestehen und könnten jährlich überprüft werden. Ob das die FDP auch so sieht?

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