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Der Abriss im Osten soll weitergehen
Wohnungswirtschaft beklagt fehlende Mittel für Investitionen und »Ignoranz« beim Bund
In der DDR hieß das in einem bekannten Lied verbreitete Motto »Bau auf, bau auf«. Nach ihrem Ende lautete die Devise: »Reiß ab, reiß ab«. Viele Häuser und ganze Wohnviertel wurden abgerissen, bis 2015 verschwanden laut einer Bilanz im Auftrag des Bundesbauministeriums 330 000 Wohnungen vom Markt. Sie hatten leer gestanden, weil aus den ostdeutschen Bundesländern ab 1990 Hunderttausende Menschen abgewandert waren. Der Bund förderte den »Stadtumbau Ost« mit knapp zwei Milliarden Euro. Der Leerstand wurde auf diese Weise binnen eines Jahrzehnts von 16 auf neun Prozent gesenkt.
Jetzt zeigt sich: Die Abhilfe wirkte nur vorübergehend. In Sachsen-Anhalt liege die Leerstandsquote aktuell wieder bei 12,5 Prozent, sagt Jens Zillmann, Landeschef des Verbands der kommunalen Wohnungsunternehmen. Wären derzeit nicht 21 000 Wohnungen mit Flüchtlingen belegt, betrüge sie gar mehr als 14 Prozent. Einen Wert von 15 Prozent definierte die Politik einst als existenzbedrohend für Wohnungsunternehmen, weil Kosten weiterlaufen, aber Einnahmen aus Mieten fehlen. In vielen kleineren Städten im Bundesland, sagt Zillmann, stehe bei kommunalen und genossenschaftlichen Vermietern bereits jede fünfte Wohnung leer. Drei Gesellschaften in Sachsen-Anhalt mussten deswegen bereits aufgeben.
Und die weiteren Aussichten sind düster. Allein in den drei Ländern Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen wird die Zahl der Einwohner bis 2035 um rund eine halbe Million zurückgehen. Zudem wird die Bevölkerung immer älter; fast jeder Vierte wird bald über 67 Jahre alt sein. Die Folge: Der Leerstand wird weiter stark steigen, und an erneuten Abrissen in merklichen Größenordnungen führt kein Weg vorbei. Weil das ein »ganz klares Ostspezifikum« sei, müsse die Bundespolitik erneut mit einem speziellen Förderprogramm reagieren: »Wir brauchen einen neuen Stadtumbau Ost.«
Darauf aber deutet derzeit nichts hin. »Eine Programmatik ist nicht zu erkennen«, sagt Zillmann. Weder der amtierende Ostbeauftragte der Bundesregierung, der SPD-Politiker Carsten Schneider, noch seine beiden Vorgänger hätte sich »keiner dem Thema auch nur annähernd zugewandt«. Generell werfen die Wohnungsverbände der drei Bundesländer der Bundespolitik »Ignoranz und Realitätsverweigerung« vor. Für sie stehe nicht das regionale Überangebot an Wohnungen im Fokus, sondern der vielerorts bestehende Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Behoben werden soll dieser durch den Neubau von 400 000 Wohnungen. Auch das halten die kommunalen und genossenschaftlichen Vermieter im Osten für wenig zielführend. Frank Emrich vom Verband der Thüringer Wohnungs- und Immobilienwirtschaft spricht gar von einer »Phantomdebatte«. Wegen der enorm gestiegenen Bau- und Kreditkosten lägen die Mieten im Neubau inzwischen bei rund 17 Euro je Quadratmeter; um sie auf ein sozial verträgliches Maß abzusenken, seien hohe Subventionen nötig. Viel sinnvoller sei es, in den Wohnungsbestand zu investieren und diesen zu modernisieren.
Ohne geeignete Förderprogramme mangelt es den ostdeutschen Vermietern dafür allerdings zunehmend an Geld. In Sachsen seien die Ausgaben für Modernisierungen zuletzt um 15 Prozent zurückgegangen, sagt Mirjam Philipp vom Verband der sächsischen Wohnungsgenossenschaften. Einerseits fehlen durch den Leerstand Einnahmen. Andererseits sollen die verbliebenen Mieter nicht über Gebühr belastet werden. Ihre Einkünfte lägen oft nur knapp über der Grenze, die zum Bezug von Wohngeld berechtigt. Die Mieten von derzeit im Schnitt 5,30 Euro je Quadratmeter sollten deshalb höchstens moderat angehoben werden, betont Philipp: »Wir sind sozial verantwortungsvolle Vermieter.« Die Kehrseite davon ist: Für erforderliche Baumaßnahmen »ist kein Geld mehr da«.
Dabei sind manche unumgänglich. So sollen Wohnungen in Deutschland zunehmend klimaverträglich beheizt werden. Bisher allerdings kommt die Wärme zu fast 90 Prozent aus Gas, Öl oder Fernwärme aus fossilen Quellen. Eine Umstellung auf erneuerbare Energien sei »gut, richtig und erreichbar«, betont Philipp. Allerdings müssten dafür bundesweit binnen zehn Jahren 286 Milliarden Euro investiert werden, sagt Rainer Seifert vom Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Sachsen. Er drängt darauf, dass der Bund ein Drittel davon verbindlich übernimmt, immerhin neun Milliarden pro Jahr. Ein weiteres Drittel müssten die Vermieter stemmen. Auf die Mieter kämen dem Modell zufolge Kosten von 75 Cent je Quadratmeter und Monat zu – für eine 60-Quadratmeter-Wohnung rund 540 Euro im Jahr.
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