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Atomkraft: Jede ist sich selbst die Nächste
Shoko Bethke über das Erinnern an die Akw-Katastrophe in Japan
Sie haben ihr Ziel erreicht: 66 Jahre nach der ersten Inbetriebnahme hat Deutschland am vergangenen Wochenende seine letzten drei Kernkraftwerke abgeschaltet. Dafür gesorgt hatten auch jahrzehntelange Kämpfe der Anti-Atomkraft-Bewegung, dessen Feuer nicht zuletzt vor zwölf Jahren erneut entflammte, als am 11. März 2011 ein Tsunami unter anderem zu einer Atomkatastrophe in der Präfektur Fukushima führte.
Während japanische Nachrichten das Schicksal der über 20 000 Toten, Vermissten und Hinterbliebenen verfolgten, demonstrierten hierzulande Menschen vor dem Bundestag für die Abschaltung der Meiler. Dabei brannte sich der Name »Fukushima« in das kollektive Gedächtnis der Deutschen ein – ganz anders in Japan, wo am 11. März hauptsächlich an die Menschen gedacht wird, die infolge des Erdbebens ums Leben gekommen sind. Insbesondere betroffen war die Präfektur Miyagi, wo die Tsunami-Wellen locker eine Höhe von über zehn Meter erreichten.
Deshalb berichten japanische Medien positiv über die Symbolpolitik der deutschen Umweltministerin Steffi Lemke, die vor dem kürzlich stattgefundenen G7-Treffen in Karuizawa einen Abstecher nach Miyagi und Fukushima gemacht hat. In japanischen Medien ist zu sehen, wie Lemke gemeinsam mit Miyagis Bürgermeister Shirō Yamada die Erinnerungseinrichtungen besucht, im Gedenkpark Blumen niederlegt und eine Schweigeminute abhält.
Vermutlich reicht aber ein kurzer Pressebesuch nicht, damit der Grünen-Umweltministerin klar wird, wie unterschiedlich der 11. März in beiden Ländern wahrgenommen wird. Denn zum weiteren Besuch Lemkes gehörte auch ein Abstecher zum Kernkraftwerk Fukushima Daiichi. Am Wochenende wird die Ministerin mit den Worten zitiert, dass der Atomausstieg »Deutschland sicherer« mache und die Risiken »im Falle eines Unfalles« unbeherrschbar seien. Doch auch zwölf Jahre nach der Katastrophe stellt sich die Frage: Welche Fälle eines Unfalls meint Lemke eigentlich?
Denn anders als Japan, die Türkei oder Haiti wird Deutschland nicht von Tsunamis, Erdbeben oder anderen gewaltigen Naturkatastrophen heimgesucht. Es gibt durchaus Hochwasser mit schlimmen Folgen. Es sterben hierzulande aber keine mehrere tausend Menschen daran. Trotzdem diente der 11. März für die Grünen als Ereignis, das sich hervorragend instrumentalisieren ließ: Seht her, Japan hat jetzt eine Nuklearkatastrophe. Das wollen wir hier unbedingt vermeiden, wählt deshalb die Grünen.
Aus einer japanischen Perspektive wirkt diese Haltung Deutschlands kühl und herzlos. Denn wenn von »Fukushima« die Rede ist, wird über die tatsächlichen Opfer der Naturkatastrophe nicht gesprochen. Während japanische Nachrichten vor Trauer weinende Familien und Gemeinschaften zeigen, marschieren hierzulande die Massen für ihre eigene Sicherheit auf die Straße. Beachte: Es geht noch nicht einmal darum, gegen japanische Kernkraftwerke zu demonstrieren, sondern gegen die eigenen. Jede ist sich selbst die Nächste.
Zwölf Jahre später sind von den deutschen Anti-Kernkraft-Stimmen nur noch wenige übrig. Im ARD-»Deutschlandtrend« stimmten lediglich ein Drittel für die Abschaltung, wohlgemerkt aufgrund steigender Energiekosten und der Angst vor noch höheren Preisen. Und skandinavische Klimaaktivist*innen wie Greta Thunberg runzeln die Stirn, warum Deutschland Atomkraftwerke abschaltet, lieber Kohlekraftwerke betreibt und den Ausbau erneuerbarer Energien nur schleppend voranbringt. Denn das wird die Abschaltung bringen: Die kurzfristig höhere Kohleverstromung wird mehr CO2 in die Luft ausstoßen und damit die Gefahr weiterer Naturkatastrophen erhöhen. Nur eben nicht in Deutschland.
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