Asyl am Campus statt in Containern

Stadt Potsdam informiert Anwohner über geplante 143 Wohnungen für Flüchtlinge im Ortsteil Golm

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.

Vor der Sporthalle der Potsdamer Ludwig-Renn-Grundschule salbadert am Dienstagabend der Stadtverordnete Chaled-Uwe Said (AfD) ins Mikrofon. Seine Partei verteilt ein Flugblatt mit der Forderung, Flüchtlinge abzuschieben und einen Zuzugsstopp für die Landeshauptstadt zu beschließen. Die Jusos stehen fast unmittelbar daneben und halten dagegen. Sie verteilen ebenfalls ein Flugblatt, gemeinsam erstellt mit Linksjugend, Grüner Jugend, Jungen Liberalen und dem Allgemeinen Studierendenausschuss der Universität Potsdam. »Golm bleibt solidarisch und weltoffen«, steht da. Rechtsextreme Erzählungen von vermeintlich drohender »Ausländergewalt« und »Überfremdung« behindern diesem Flugblatt zufolge die konstruktive Diskussion, die der im Ortsteil Golm geplante Wohnungsbau für Flüchtlinge und Bedürftige verdiene.

Gleich wird in der Sporthalle Bert Nicke, Geschäftsführer der kommunalen Wohnungsgesellschaft Pro Potsdam, die Anwohner darüber informieren, was und wann am Kossätenweg und am Eichenweg geschehen soll. Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) wird erklären, warum das notwendig ist.

Die Fläche am Kossätenweg hatte Pro Potsdam 2021 erworben, um dort Wohnungen für Gastwissenschaftler der Universität Potsdam zu bauen. Doch während die Stadt in den Jahren 2013 bis 2021 insgesamt 3250 Flüchtlinge aufnahm, waren es allein im vergangenen Jahr 2700. Für das laufende Jahr werden 1470 Flüchtlinge erwartet, erläutert Oberbürgermeister Schubert. Es seien aber aktuell nur noch 500 Plätze frei. Deshalb sollen zügig neue Kapazitäten entstehen und außerdem Sozialwohnungen. 32 Unterkünfte werden über das Stadtgebiet verteilt – für jeweils höchstens 500 Menschen, wie Schubert betont. Denn Massenunterkünfte wie vor Jahren im ehemaligen Landtag auf dem Brauhausberg und behelfsmäßige Quartiere wie in der Metropolis-Halle und in der Biosphäre soll es nicht mehr geben. Containerdörfer sollen der absolute Ausnahmefall bleiben, zumal die Container mittlerweile so stark nachgefragt sind, dass die Preise explodieren. 30 000 Euro würden für einen einzigen Containerplatz verlangt, beklagt Schubert. Für die Summe könne man aber auch schon richtige Häuser bauen. Langfristig ist das Geld so besser investiert.

Sechs dreigeschossige Häuser mit 72 Wohnungen für 180 Menschen will die Pro Potsdam GmbH am Kossätenweg bauen. Im Juni soll der Bauantrag gestellt werden. Die Stadtverwaltung wird die Häuser für 25 Jahre anmieten. Später könnten doch noch Wissenschaftler einziehen. Am Eichenweg sind auf einem ehemaligen Sportplatz 71 Wohnungen für 260 Flüchtlinge vorgesehen. Mike Schubert macht sich angesichts der Wohnungsnot in Potsdam keine Sorgen um die Nachnutzung. Ursprünglich waren am Eichenweg sogar 79 Wohneinheiten für 302 Menschen geplant. Doch 30 bis 40 Meter entfernt stehen Eigenheime. Es gab die Befürchtung, von oben könnten die Gärten eingesehen werden. Darum verzichtet Pro Potsdam auf das vierte Obergeschoss. Die Häuser werden damit drei Meter niedriger ausfallen.

Das ist ein Beispiel für noch mögliche Kompromisslösungen. Einer alten Frau, die nach knapp zwei Stunden die Turnhalle verlässt, während die Debatte noch weiterläuft, genügt das nicht: »Die hätten mal eine Abstimmung machen müssen: Wer ist dafür?« Aber das kommt nicht in Frage. Das stellt der Oberbürgermeister klar: »Dies ist eine Informationsveranstaltung. Hier wird nicht festgelegt, ob überhaupt gebaut wird.« Denn zur Aufnahme von Flüchtlingen verpflichteten die Genfer Konvention und das Asylgesetz. Auf Brandenburg entfallen 3,1 Prozent der in Deutschland ankommenden Menschen und von denen wiederum müsse Potsdam 6,6 Prozent unterbringen.

3350 Einladungen wurden an Haushalte in den Ortsteilen Golm und Eiche verteilt. Die Veranstaltung wurde kurzfristig in die Sporthalle verlegt, weil dort bis zu 400 Interessierte hineinpassen. Am ursprünglichen Ort wäre nur für 150 Menschen Platz gewesen. Die Sitzreihen füllen sich schnell. Etliche Leute stehen hinten, einige setzen sich auf den Boden. Am Einlass schauen Wachschützer in die Taschen und bitten, blaue Überzieher über die Schuhe zu stülpen, um das Parkett zu schonen. Polizei ist auch vor Ort. Die hätte man heute nicht gebraucht, wenn man gleich von September an »sauber kommuniziert« hätte, denkt ein Herr von der CDU, der sich zu Wort meldet. »Ihre Nachbarn in Golm sind alles – nur nicht rechtsradikal«, hält er Schubert vor. Denn der wohnt selbst in Golm. Ein Einkauf im Supermarkt wird für ihn schnell zur Bürgersprechstunde. Andere Kunden wenden sich spontan mit ihren Anliegen an ihn. Dass seine Nachbarn Neonazis seien, will Schubert nicht behauptet haben. Aber wenn er in seinem Briefkasten Hetzschriften der faschistischen Partei Der III. Weg finde, dann werde versucht, die Hetze von außen hereinzutragen, berichtet er.

Allerdings soll es auch rassistische und queerfeindliche Angriffe von Einwohnern auf Studierende am Campus Golm gegeben haben, beschwert sich ein Kommilitone. Linksfraktionschef Stefan Wollenberg kommentierte bereits vor der Versammlung: »AfD, III. Weg und Saskia Ludwig – da kommt zusammen, was offenbar längst zusammen gehört.« Es sei es beschämend, wie die CDU-Landtagsabgeordnete Ludwig »im offenen Schulterschluss mit Nazis Ressentiments gegen Geflüchtete schürt«.

Bernhard Stehfest von der CDU macht es sich am Dienstag leicht: »Wir müssen nicht beweisen, dass wir nicht rechtsradikal sind. Wir sind es einfach nicht.« Ludwig selbst fragt in scharfem Ton, warum die Flüchtlinge nicht auf dem ehemaligen Kasernengelände in Krampnitz untergebracht würden, wo ein neues Wohnviertel entstehe. Schubert hat das eigentlich längst erklärt: Das Gebiet sei noch nicht erschlossen. Jetzt bekräftigt er: »Warum machen wir es nicht? Weil es derzeit nicht umsetzbar ist.«

Es gibt erboste Zwischen- und Buhrufe. Aber andererseits spenden viele Zuhörer Beifall, als der evangelische Gemeindekirchenrat Hilfe bei der Betreuung der Flüchtlinge anbietet. Manche Sorge erweist sich als unbegründet, so die Angst vor Luftverschmutzung durch eine Heizung der Quartiere im Kossätenweg mit Holzpellets. Tatsächlich sei an Wärmepumpen gedacht, wird richtiggestellt.

So einfach hat es Fachbereichsleiter Robert Pfeiffer nicht, als er den Eltern im Saal garantieren soll, dass kein einziges Kind in eine weit entfernte Schulen pendeln müsse. Die Stadtverwaltung rechnet damit, dass unter den 446 Bewohnern der Asylunterkünfte 37 Krippen- und 50 Kindergartenkinder sein werden. Bei sieben Kitas im Einzugsbereich und einer achten, die noch dieses Jahr eröffnet werden soll, sei das kein Problem, versichert Pfeiffer. Eine »Herausforderung« nennt er aber die prognostizierten 74 Grundschüler und 62 Oberschüler. Die Ludwig-Renn-Schule ist die einzige staatliche Schule vor Ort. Ansonsten gibt es nur noch ein private Grundschule und keine einzige weiterführende Schule. Die Renn-Schule soll aber temporär erweitert werden.

Die fertigen Wohnhäuser würden ab dem dritten Quartal 2024 bezogen, aber nicht sofort voll besetzt sein, beruhigt Politiker Schubert. Das Schuljahr 2024/2025 hätte dann bereits begonnen. Schubert sagt: »Bis jetzt hat es in Potsdam in jedem Stadtteil funktioniert.« Zwar gebe es manchmal Probleme. Doch man finde überall Formen des Zusammenlebens mit den Flüchtlingen.

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