DDR-Opfer: Gesundheitliche Schäden durch die Haft

Diskussion über DDR-Opfer in der Landeszentrale für politische Bildung

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 5 Min.

Dass die DDR Menschen aus politischen Gründen inhaftierte, ist allgemein bekannt. Die Aufarbeitungs- und Aufklärungsarbeit hat in den vergangenen Jahrzehnten bereits viel geleistet. Die Medien interessieren sich für das Schicksal der Betroffenen, es gab Spielfilme und Dokumentationen. Viele Dauerausstellungen, so in der Lindenstraße in Potsdam, stellen die Ereignisse in der DDR aus der Perspektive der Opfer dar. Die institutionelle Absicherung fehlt auch nicht: Stiftungen und Ämter wurden geschaffen, um ihre Interessen und Entschädigungsansprüche zu vertreten. Der inzwischen verstorbene Brandenburger Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) erklärte sogar einst ausdrücklich, dass den Opfern der DDR im Bundesland keinerlei Nachteile entstehen würden.

99 Brandenburger befragt

Dass die Betroffenen das aber vielfach anders sehen, wurde am Mittwochabend in der Landeszentrale für politische Bildung deutlich. Die Zentrale hatte zu einer Veranstaltung unter dem Titel »Politische Haft in der DDR – Gesundheitliche und gesellschaftliche Folgen« eingeladen. Vorgelegt wurden die Zwischenergebnisse eines mehrjährigen Forschungsvorhabens unter der Überschrift »Landschaften der Verfolgung«. In diesem Rahmen wurden bislang 450 Menschen befragt und untersucht, die in der sowjetischen Besatzungszone oder der DDR aus politischen Gründen inhaftiert worden waren. 99 von ihnen leben in Brandenburg. Einbezogen in die Forschung waren auch Familienangehörige. Ein Fünftel der Befragten sind Frauen. Im Einzelfall antworteten auch Menschen, die in Frankreich oder in den USA leben. Koordinatorin Tolou Maslahati sagte, insgesamt lebten noch rund 200 000 Menschen, die als Opfer der DDR anzusehen seien.

Stefan Röpke von der Berliner Universitätsklinik Charité stellte als Ergebnis der Untersuchung vor, dass Krankheiten wie Bluthochdruck, Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen, beginnende Demenz oder Alkoholsucht beim untersuchten Personenkreis zweifellos mit messbar größerer Wahrscheinlichkeit aufträten als bei Menschen, die vor 1990 nicht im Gefängnis gesessen hätten. Negative Auswirkungen ließen sich auch bei der folgenden Generation nachweisen. Dieser Befund gelte statistisch, er sei also für die Gruppe herausgearbeitet. Was den Einzelfall betreffe, sei es aber nicht so einfach, diese Symptome von »Volkskrankheiten« eindeutig auf die Haft vor Jahrzehnten zurückzuführen. Unabhängig davon sei bei den Betroffenen zum Teil »extrem schweres Leid« nachweisbar.

Die brandenburgische Stasi-Landesbeauftragte Maria Nooke informierte darüber, dass in Brandenburg etwa 5000 Menschen eine Opferrente erhielten. Aber nur in 44 Fällen seien gesundheitliche Folgeschäden anerkannt worden, die zu höheren Entschädigungen führten. Das ist Nooke angesichts des verbreiteten Leids dieser Menschen zu wenig. Sie forderte, den Ermessensspielraum hier weiter auszuschöpfen und die Arbeit der Gutachter zu verändern.

Mit dem Hinweis, die Studie werde von der Stiftung Aufarbeitung und von der Bundesregierung finanziert, erkundigte sich Moderatorin Jana Steinke, ob von dieser Seite »politische Ziele« vorgegeben worden seien. Nein, erklärte Professor Röpke. Man habe sich um den Auftrag beworben, aber in jedem Fall hätten die Wissenschaftler über die Fragestellung und das Vorgehen selbst bestimmt.

Im Anschluss ging es auch um die Frage, ab wann politische Verfolgung beginnt. Röpke äußerte zunächst, dass die Probanden alle unschuldig im Gefängnis gesessen hätten. Später fügte er hinzu, dass es auch »uneindeutige Fälle« gegeben habe, weil sich die Verfolgung von Straftaten und die politische Verfolgung in konkreten Fällen auch gemischt habe.

Schwierige Abgrenzung

In der Diskussion wurde deutlich, wie schwierig in diesen Fällen die Abgrenzung ist, denn »Rowdytum«, »asozialer Lebenswandel«, »Fluchtversuch«, »Fluchthilfe« und »staatsfeindliche Hetze« waren zu DDR-Zeiten verboten und Haftgründe. Heute gibt es diese Straftatbestände aber nicht mehr. In der Zeit der Besatzungszonen von 1945 bis 1949 galt nur das Recht, das der alliierte Kontrollrat über die Deutschen verhängt hatte, zweifellos ein »Recht der eisernen Faust«. Es sah ausdrücklich die Möglichkeit für jede Besatzungsmacht vor, Deutsche zu internieren, die – ohne bestimmter Verbrechen schuldig zu sein – als »für die Ziele der Alliierten gefährlich« betrachtet wurden. Offen blieb, ob die höhere Erkrankungswahrscheinlichkeit sich ausschließlich auf politische Gefangene bezieht oder ob alle Menschen, die irgendwann in ihrem Leben einmal im Gefängnis saßen, dadurch ähnliche Schädigungen davontragen.

Eine Frau im Publikum sagte, sie sei in Sachsenhausen zur Welt gekommen, weil ihre Mutter von einem sowjetischen Tribunal verurteilt worden sei. »Ich war später dann ein sehr ängstliches Kind und hatte große Konzentrationsschwierigkeiten. Aber ich erlebe eben auch, wie viele Kinder heute solche Konzentrationsschwierigkeiten haben.«

Auch in der BRD nicht entschädigt

Allgemein kamen Ämter, Verwaltungen und Gutachter an diesem Abend nicht besonders gut weg. Vor dem Hintergrund, dass sie fast immer die beantragten Leistungen nicht gewähren, sagte der Jurist Körner: »Das bewegt mich emotional sehr. Ich weiß nicht, was dahintersteckt.« Aber das Problem beschränkt sich offenbar nicht auf Brandenburg. Ein Herr berichtete, sein Vater sei nach dem Krieg im sowjetischen Workuta inhaftiert gewesen und nach seiner Freilassung nach Westdeutschland gegangen. Dort habe er ebenfalls keine Entschädigung erhalten. Von einem Beamten sei sein Vater mit dem Bescheid nach Hause geschickt worden, völlig unschuldig könne er nicht in Haft geraten sein: »Irgendwas musst du doch gemacht haben.« 1950 sei das Bundesversorgungsgesetz in Kraft getreten, sagte Jurist Körner. Es habe »nicht gut funktioniert.«

Martina Weyrauch von der Landeszentrale für politische Bildung forderte neue Gesetze. Die Stasi-Beauftragte Nooke berichtet von einer Vermutungsregelung, an der gearbeitet werde. »Ob sie durchkommt? Da bin ich eher skeptisch.«

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