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Corona und Klima: Geteiltes Elend
Was wir aus der Pandemie lernen können – und was nicht
Im Jahr 2020 staunten viele Klimabewegte, was plötzlich möglich schien bei politischer Krisenbearbeitung. Manche hofften, die Pandemie könnte auch klimapolitische Durchbrüche inspirieren. Drei Jahre später ist davon wenig übrig. Die Pandemie ist jetzt Endemie; gestorben wird weiter, nur will niemand mehr davon wissen. Jede minimale Klimamaßnahme stößt auf erbitterten Widerstand. Die Pandemiepolitik illustriert in dreierlei Hinsicht die gesellschaftlichen Strukturen, an denen auch die Klimabewegung zu verzweifeln droht.
Erstens hat sich die Staatsillusion der frühen Pandemiephase schnell verflüchtigt. Im Frühjahr 2020 nutzten Regierungen ihre formalen Handlungsspielräume für verhältnismäßig effektiven, wenn auch sozial selektiven Gesundheitsschutz. Diese »positive Technokratie« war nur möglich, weil Kapitalinteressen von der Pandemie kalt erwischt wurden. Als deren Kampagnen gegen Corona-Maßnahmen ins Rollen kamen, konnten sie den etablierten Kräfteverhältnissen entsprechend schnell Boden zurückgewinnen. Gleichzeitig wirkten die Vereinzelungseffekte der staatlichen Maßnahmen desorganisierend auf progressive Kräfte, einschließlich der Klimabewegung. Ökonomische Spaltungslinien, etwa der existenzielle Druck für Selbstständige, ließen sich so gezielt nutzen, um auf eine Rückkehr zum Normalgeschäft zu drängen. Auf lange Sicht bleibt es für progressive Kräfte schwer, über den Staat tiefgreifende Maßnahmen gegen eine breite Front von Wirtschaftsinteressen durchzusetzen: schlechte Aussichten für die Langstreckendisziplin Klimaschutz.
Zweitens kann sich eine effektive Krisenbekämpfung nicht in technischen Lösungen erschöpfen. Hier erfüllten die Impfstoffe eine zentrale ideologische Funktion, indem sie zum bequemen, alle Maßnahmen erübrigenden Ausweg aus der Pandemie überhöht wurden – den man in einem Akt westlicher Selbstsabotage dem globalen Süden weitgehend vorenthielt. Auch das ist ein aus der Klimapolitik vertrautes Spiel.
Drittens unterstrich die Pandemie die unaufhaltsame Wucht der spätneoliberalen Verdrängungsgesellschaft, die Fakten jederzeit bedarfsgerecht zuzuschneiden vermag. Bewegungen gegen Corona-Maßnahmen oder Klimapolitik brauchen keinerlei Programm außer Normalitätsnostalgie. Die Opfer der Klimakrise werden bald genauso als »eigenverantwortlich«, sprich: selbstverschuldet, klassifiziert wie Long-Covid-Patient*innen. Die abstrakte Feststellung, dass beide Krisen maßgeblich durch kapitalistische Verhältnisse befeuert werden, ließ sich bislang kaum in breitere politische Organisierung übersetzen. Dass kapitalistische Expansion gleichzeitig das Klima zerstört und Zoonosen provoziert oder dass die CO2-intensiven Infrastrukturen des integrierten Weltmarkts rasante Virenverbreitung befördern, wird nicht hören, wer es nicht hören will.
So weit, so schlecht. Das fortlaufende Infektionsgeschehen könnte nach heutigem Erkenntnisstand langfristige gesamtgesellschaftliche Gesundheitsschäden verursachen. Bei der Klimakrise steht das außer Frage. In Deutschland aber leben 2023 mehr eingefleischte Corona-Leugner*innen als Menschen, die das Virus noch ernst nehmen. Und mehr Menschen, die die Klimakrise faktisch leugnen, als solche, die darauf mit praktischen Konsequenzen reagieren.
Einen markanten Unterschied zwischen den Krisen aber sollten wir festhalten: Die Pandemie untergrub zunächst jede Sozialität. So erwies sich der Widerspruch, durch physischen Abstand solidarisch handeln zu sollen, als unüberbrückbar. Jede effektive Antwort auf die Klimakrise dagegen verlangt gerade nach Sozialität: gemeinsame Organisierung, Teilen von Ressourcen, öffentliche Infrastrukturen, buntes Straßenleben statt vereinzeltem Konsum. Die Klimabewegung hat all das auf zahllosen Klimacamps miteinander erfahren. Wo Infektionsschutz eine Pflichtübung bleiben wird, kann solidarisches klimagerechtes Zusammenleben im besten Fall Festivalcharakter annehmen. Fürs Klima ein Hoffnungsschimmer.
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