»Herr Puntila und sein Knecht Matti«: Revolution mit Generalprobe

Das Brecht-Stück »Herr Puntila und sein Knecht Matti« hat Premiere am Berliner Ensemble. Ein Besuch auf den Proben

»Noch nicht einmal auf der Bühne ist der gewaltsame Umsturz der herrschenden Gesellschaftsordnung umsetzbar.«
»Noch nicht einmal auf der Bühne ist der gewaltsame Umsturz der herrschenden Gesellschaftsordnung umsetzbar.«

»Es geht um Klassenverhältnisse.« Regisseurin Christina Tscharyiski ergreift das Wort und eröffnet mit diesem Satz die Konzeptionsprobe im Großen Salon des Berliner Ensembles. »Es geht um Herren und Knechte.« In aller Kürze skizziert sie die Inhalte der Arbeit.

An diesem Vormittag des 1. März stellt sie zusammen mit dem künstlerischen Team den Mitarbeiter*innen die neue Produktion vor. Einen ersten Eindruck des Bühnenbilds liefert das etwa ein Kubikmeter große Sperrholzmodell der Bühne des Großen Hauses. Die Silhouetten der Kostüme, deren Gestaltung den inhaltlichen Kern des Stücks aufgreift, hängen auf Papier aus. Alle Abteilungen des Hauses sind bei dieser Präsentation anwesend. In etwa 50 Tagen wird »Herr Puntila und sein Knecht Matti« Premiere haben.

Finnisches Volksstück

Das Volksstück ist in Zusammenarbeit von Hella Wuolijoki und Bert Brecht 1940 in Finnland entstanden. Es spielt historisch im 19. Jahrhundert zu Zeiten der Feudalherrschaft. Heute, wo die reichsten 0,1 Prozent der deutschen Bevölkerung geschätzt über 20 Prozent des Gesamtvermögens besitzen, ein Großteil des Eigentums Betriebe mit vielen Beschäftigten sind, sich gleichzeitig die Arbeiterschaft ausdifferenziert und neue, prekäre Arbeitsverhältnisse entstehen sowie in Europa große Streiks stattfinden, ist das Stück noch aktueller als zu seiner Entstehung vor über 80 Jahren.

In die heutige Zeit passt es auch wegen eines weiteren Inhalts. Brecht sah »mehr Landschaft drin als in irgendeinem meiner Stücke«. Wenn Puntila seinen Arbeiter*innen von der Natur vorschwärmt und sie fragt: »Habt ihr keine Vaterlandsliebe?«, hört man den Kapitalisten zwischen den Zeilen sagen: »Was braucht ihr Lohn? Ihr habt doch die Natur und die Nation!« Puntila schätzt die Natur, die Wiesen und Seen, seine Felder und Wälder, aber nur deshalb, weil er sie ausbeuten kann. Der Besitz gibt ihm auch das Recht, sie zu zerstören.

Für die Zerstörung der Umwelt und unserer Lebensgrundlagen werden heute Konzerne wie Bayer, Shell, Vattenfall, VW und Tesla verantwortlich gemacht. So hat Extinction Rebellion dieser Tage deren Firmensitze angegriffen. Mit Warnwesten bekleidete Aktivist*innen schütteten schwarzes Kunstöl in die Eingangsbereiche von Unternehmen, Lobbyverbänden und Parteibüros, die sich teils fußläufig zum Berliner Ensemble befinden. Sie prangern damit, so formulieren sie es, die soziale Ungerechtigkeit und das kapitalistische Wirtschaftssystem an. Den Klassenantagonismus, auf den Extinction Rebellion verweist, versuchte Brecht mit seiner Konzeption des Stücks herauszuarbeiten.

Vollsaftiger Humor

Vor knapp 75 Jahren schrieb »Neues Deutschland« über die Berliner Erstaufführung durch das neu gegründete Berliner Ensemble, das als Gast im Deutschen Theater gastierte. Der ND-Autor hob den »vollsaftigen Humor mit unabtrennbarem gesellschaftlichen Hintergrund« hervor und sprach von einer »lustigen Überzeichnung« – so gefiel ihm Brechts episches Theater mit V-Effekt.

Tatsächlich ist schon die Lektüre der Komödie »Herr Puntila und sein Knecht Matti« äußerst unterhaltsam. Puntila ist einsam, betrinkt sich und wird dann gegenüber seinen Beschäftigten menschlich beziehungsweise geht dann, wie es Matti formuliert, »nach dem Gefühl«. Puntilas Fähigkeit zur Selbstreflexion ist immer wieder erheiternd, wenn er beispielsweise nach dem »Anfall von Nüchternheit« nicht mehr doppelt, sondern in seinen Augen nur noch die Hälfte der Welt sieht.

Der Herr und sein Knecht

Puntila schwankt zwischen Besoffensein und Nüchternsein hin und her. Alle auf dem Gutshof kennen seine wechselnden Gemütszustände. Auch Matti weiß um deren Folgen. Sein einerseits mutig-freches, anderseits sehr unterwürfiges Verhalten wird durch den Promillewert seines Herrn bestimmt. Betrunken sucht Puntila seine Nähe und will sein Freund sein. Matti verneint die Freundschaft entschieden. Erst nach einem Befehl seines Herrn und nachdem er ausdrücklich betont hat, dass er dem Befehl folgen wird, bestätigt er, dass »keine Kluft ist« zwischen ihnen.

Teilweise spielt Matti mit den jeweiligen Situationen und warnt andere vor falschen Hoffnungen. Andererseits lässt er sich auch einlullen und zum Ausleben der Männerfreundschaft mitreißen. Dann pissen sich beide unterm Nachthimmel voll.

Anfänge

Vor etwa anderthalb Jahren wählte die Dramaturgie des Berliner Ensembles das Stück für den Spielplan aus und terminierte die Premiere für Frühjahr 2023. Eine Komödie bietet sich dafür an, weil ein heiteres Stück Menschen anlockt, die es in dieser Jahreszeit eher nach draußen zieht statt in dunkle Theaterräume, erzählt Johannes Nölting, der vor einem halben Jahr die dramaturgische Betreuung der Inszenierung übernommen hat. Für das Stück mit zwei raumeinnehmenden Männerrollen, in dem es zwangsläufig auch um Männlichkeit geht, haben er und seine Kolleg*innen in der Intendanz und Dramaturgie die 34-jährige Tscharyiski vorgeschlagen. Sie möge sich das Stück und die Frauenrollen mal angucken, das sei doch ihr Thema.

Es sei ein schweres Stück, stellt Tscharyiski fest. 80 Prozent des Textes spreche die Hauptfigur Puntila – gegenüber der alle anderen Figuren als Unterlegene erscheinen. Nach ihrer Zusage hat sie neben den beiden titelgebenden Männerrollen nur Schauspielerinnen gewählt, die sämtliche anderen Rollen spielen.

Während die beiden männlichen Figuren allerdings bloße Schablonen sind, sind vor allem die vier Rollen der Schmugglerin, des Apothekerfräuleins, des Kuhmädchens und der Telefonistin interessant, die von Dela Dabulamanzi, Nina Bruns, Pauline Knof und Nora Moltzen gespielt werden. In starken Auftritten berichten sie Eindrückliches aus ihrem Leben. Ohne sie würde die Gesellschaft nicht funktionieren und damit das ganze Stück.

In der aktuellen Inszenierung bekommen sie das erste und auch das letzte wichtige Wort. Mehr noch als die Frauenrollen hat Tscharyiski jedoch die Rolle der Knechte gestärkt, indem sie die Arbeiterklasse durch einen Chor mit gewaltiger Gesangsstimme auf die Bühne bringt.

Auf der Probebühne

Im März sind die Schauspieler*innen mit der Regie sechs Tage die Woche auf der seit 2018 genutzten Probebühne am Technikmuseum. Etwa fünf Wochen vor der Premiere sitzen sie am Vormittag um einen Tisch und lesen im Stück. Auch Brecht ist anwesend, nicht nur durch seine Textvorlage, auch durch seine einst formulierten Gedanken. Tscharyiski zitiert den Dramatiker: »Puntila ist nur menschlich, wenn er betrunken ist, da er dann gegen seine Interessen handelt«.

Die Künstler*innen fragen aufmerksam nach und diskutieren miteinander, fangen an zu spielen, indem sie Vorschläge machen, wie man die einzelnen Sätze gestisch umsetzen kann. Nora Quest ist die erste, die aufsteht und sich im Raum auf und ab bewegt. Frei und ohne Manuskript in der Hand spricht sie den Text ihrer Figur. Sie spielt Eva, Puntilas Tochter, die sich gerade flirtend und mit steigender Nervosität mit Matti (gespielt von Peter Moltzen) verabredet, um in der finnischen Sauna eine Affäre vorzutäuschen. Dazu reicht Regiehospitantin Luise Steinbach die Requisiten, steuert sofort danach die Drehbühne und bedient den Scheinwerfer.

Die szenischen Proben leben in dieser frühen Phase von der kollektiven Kreativität. Es wird viel gelacht, wenn die Szenen erstmals auf der Bühne gespielt werden. Dabei wird ausgiebig experimentiert, originelle Ideen ausprobiert, diese weiterentwickelt, für immer verworfen oder ganz neu variiert. Allen macht es sichtbar Spaß.

In einem solchen kollektiven Prozess sind die Schauspieler*innen nicht nur Personen, die eine Rolle verkörpern, sondern zugleich auch Ideengeber*innen, Autor*innen neuer Szenen und Kritiker*innen. Sascha Nathan improvisiert in seiner Rolle als Puntila mehr als zehn Varianten der Rückkehr vom Gesindemarkt. Eine ist lustiger als die andere. Er verändert die Betonung, nutzt verschieden lange Sprechpausen oder schweigt plötzlich, wechselt die Gesten von Augenzwinkern bis Ausspucken, schleudert seinen Arm um sich herum, bewegt seinen ganzen Körper, spielt mit Annäherung und Distanz.

Wie viel Liebe zum Detail in einem kurzen Auftritt steckt, fällt später vielen Zuschauer*innen vermutlich gar nicht auf – und auch die Schauspieler*innen vergessen manche Ratschläge, die sie hier mehrmals geprobt haben.

Der Bühnensaal

Wenn sich bei der Premiere der Eiserne Vorhang heben wird und hinter dem Portal verschwindet, öffnet sich für die Zuschauer*innen ein Bergpanorama. Einige sehen darin eine leuchtende Börsenkurve. Die vorderen Seitenwände des Zuschauerraums sind mitsamt Logen als Fassaden auf die Bühne verlängert worden. Mit dieser Umsetzung durch Bühnenbildner Thilo Ullrich werden der Raum und sein Publikum ein Stück weit mit auf die Bühne geholt. Das korrespondiert mit einer späteren Szene, wenn Puntila ins Parkett geht und damit die Bühne in den Zuschauerraum erweitert. Dann wird der Saal zum Gesindemarkt, die Zuschauer*innen zu Arbeitssuchenden, die sich auf dem Markt anbieten müssen, wo sich Puntila neue Beschäftigte sucht und sie ausfragt, was sie beruflich machen und wann sie morgens aufstehen.

Die Verbindung von Bühne und Zuschauersaal wirft die Frage auf, welche Menschen eigentlich ins Theater gehen. In der Regel werden es nicht die frühaufstehenden Kuhmägde sein, viel eher die Puntilas, vermutet Dramaturg Johannes Nölting. Und die Puntilas, dieser Gedanke drängt sich auf, können sich köstlich amüsieren, selbst wenn ihnen ein Spiegel vorgehalten wird.

Das Outfit der Klassen

Anfang April beginnen die Endproben auf der Bühne im Großen Haus, wo insgesamt 50 Scheinwerfer von mehreren Beleuchter*innen bedient und die Drehbühne von zwei Maschinist*innen programmiert und gesteuert werden. Zweieinhalb Wochen vor der Premiere eignen sich die Schauspieler*innen ihren neuen Arbeitsplatz an, wo die Wege weiter sind als noch auf der Probebühne. Sie bespielen den Raum und erklettern die Fassade.

Wenn Puntila auf dem Gesindemarkt den Matti lehrt: »Auf die Kleider musst du besonders schauen«, ist das ein Rat an die anwesenden Zuschauer*innen. Die Kostüme werden bei den Endproben schon getragen. Die ersten Entwürfe lagen bereits während der Konzeptionsprobe auf Papier vor. Die wie gemalt wirkenden Silhouetten seien Collagen, die sie zu Hause an ihrem Computer entworfen hat, erklärt die freischaffende Kostümbildnerin Jelena Miletić. Zu erkennen ist der Blaumann, den die Arbeiter*innen des Chors tragen werden.

Das Kuhmädchen und ihre drei Gefährtinnen tragen einfache Kleidung, die mitsamt der Stiefel an Schutzbekleidung wie in einer Molkerei erinnert. Jedes der weitgehend einfarbigen Kostüme strahlt in einer anderen Farbe: orange, türkis, grün und gelb. Diese Warnfarben seien inspiriert von den Ridern und der Markenfarbe ihrer Lieferdienste Lieferando, Wolt und andere, verrät Miletić. Der Fahrradkurier gehöre zum neuen digitalen Proletariat.

Richter, Probst und Advokat haben Mäntel in Lederoptik an. Mehrfarbige Kleidungsstücke aus teuer wirkenden Stoffen tragen nur Eva und Puntila. Dessen Anzugweste hat dezente Farbvariationen, die ihm besonders stehen, wenn er beim finnischen Polterabend anlässlich des Junggesellinnenabschieds mit seinem Gewehr die Porzellanteller zerschießt.

Alles mit allem

Mitte April, eine gute Woche vor der Premiere, ist die sogenannte AMA1, die erste Probe mit allem, also mit Licht, Maske, Kostüm und Musik. Unruhiges Gewusel und Aufregung herrscht da im Großen Haus. Alle laufen durcheinander, es muss noch so viel vermittelt und letzte Absprachen getroffen werden.

Dann geht es endlich los und zum ersten Mal wird alles an einem Stück gespielt. Manche Schauspielerinnen sind nicht wiederzuerkennen, so gut ist die Maske mit eigens geknüpfter Perücke. Bis zu vier Mal werden einzelne mithilfe zweier Ankleider*innen ihre Kostüme wechseln müssen. Die Frühaufsteherinnen tragen heute Abend Warnwesten – wie die Aktivist*innen von Extinction Rebellion bei ihren Aktionen am Vormittag. Nun ist auf der Bühne erstmals auch der Chor der Arbeiter*innen in ihren blauen Overalls dabei. Im Anschluss der Aufführung versammeln sich Regieteam, Schauspieler*innen, Assistent*innen und Hospitant*innen zur sogenannten Kritik.

Inszenierte Revolution

In bürgerlichen, neobarocken Räumen zu hören, dass es hier und jetzt um Klassenverhältnisse geht, ist ungewohnt, aber auch faszinierend. Insofern erinnerte der Beginn der Konzeptionsprobe an die bewegende Eröffnungsszene von »Die Mutter«, ebenfalls von Tscharyiski inszeniert. Gleich am Anfang dieses Lehrstücks mit dem programmatischen Untertitel »Anleitung für eine Revolution« wird dieses durch Kapitalismusanalysen verschiedener Epochen Schritt für Schritt in die Gegenwart geholt. Es erlebt nun seine Fortsetzung, denn in der Puntila-Matti-Inszenierung findet die Revolution statt – und zwar in aller Konsequenz: Puntila wird vom Gesinde getötet.

Die Knechte werden zum Subjekt, ihr Bewusstsein erwacht, sie sind viele und können sich organisieren. Gemeinsam beseitigen sie den Herrn. Der Aufstand und die Revolte, der Sturz und das Ende der Herren, kurz: Die Revolution ist die Aufhebung des Herr-Knecht-Verhältnisses, die sich viele heimlich wünschen. Gleichzeitig überrascht dieser kurze utopische Moment: Wie kann das Stück jetzt ohne Puntila überhaupt weitergehen?

Puntila, der Herr, unternimmt natürlich alles gegen die Revolution. Kurzerhand steht er von den Toten auf und warnt im nüchternen Zustand: »Ey, so nicht! Revolution – das geht zu weit. Macht gerne Volksbegehren oder Online-Petitionen. Wir drehen die Zeit zurück und spielen noch mal neu. Das ist immer noch mein Stück!« Er ist der Herr. Er bestimmt und er erlaubt nur Reformismus, der die Herrschaftsverhältnisse nicht grundlegend ändern wird.

Die neu eingefügte Szene zeigt das Dilemma unserer Zeit: Politische Aktivist*innen gehen noch nicht so weit, die Büros der Konzerne zu stürmen, den Bossen Plastiktüten überzuziehen, um sie zu ersticken. Noch nicht einmal auf der Bühne ist der gewaltsame Umsturz der herrschenden Gesellschaftsordnung umsetzbar. Der Einschub gehört zu den genialsten Einfällen der Inszenierung, der während der Proben entstanden ist, spontan gespielt und dann eingearbeitet wurde.

Aus der Bewegung

Die Proben erinnern wiederholt an Momente, die sich so auch bei Extinction Rebellion abgespielt haben können: Aktivist*innen sitzen zusammen, sprechen miteinander, suchen Antworten auf aktuelle Fragen, tauschen radikale Ideen aus, entwickeln Strategien, entwerfen konkrete Aktivitäten, diskutieren alles in allen Details, schmieden daraus neue Pläne und beziehen nach und nach immer mehr Menschen und auch Pressevertreter*innen ein.

Je näher dann die Aktion rückt, desto stressiger wird es. Es gibt keine freie Minute mehr, wenig Schlaf, so viel ist noch zu organisieren und abzusprechen. Alles, was sie nicht mehr hinbekommen, muss sich spontan in und aus der Aktion selbst ergeben, während im Theater bis einschließlich des Schlussapplauses weitgehend alles geprobt und für die Beteiligten erwartbar ist.

Wachsende Sichtbarkeit

Die letzte Probe vor der Generalprobe, zwei Tage vor der Premiere, ist zugleich eine öffentliche Voraufführung, die das Berliner Ensemble bei neuen Produktionen gerne anbietet. Innerhalb der vergangenen Woche hat sich noch krass viel getan. Es wurde mehr verändert als gleichgeblieben ist: Einzelne Szenen beginnen plötzlicher, der Koffer ist schwerer geworden, der Popcorneimer hinzugekommen, die Stimmen sind fester, die Musik lauter, der Gesang deutlicher, Bewegungen präziser, Puntila perverser, sein Anzugmotiv landschaftlicher, die Aufführung insgesamt kürzer. Mit dieser Entwicklung hat sich auch die Maske weiterentwickelt, beispielsweise wirkt die dezentere Schminke nicht mehr so clownesk.

Vielleicht erhält auch deswegen manches Szenenbild eine noch größere Ernsthaftigkeit wie der Bericht über den konsequenten Athi aus dem Lager für politische Gefangene, der sich weigert, etwas vom Klassenfeind anzunehmen. Deutlicher heraus sticht auch die Aussage Puntilas, die den Kollektivgedanken konkretisiert: »Wenn’s nach mir ging, tät ich alle Einnahmen vom Gut in eine Kass und wer vom Personal was braucht, nimmt heraus, denn ohne ihn wär ja auch nichts drin. (…) Ich bin beinahe ein Kommunist.«

Als Zuschauer zu lachen wirkt befreiend in Zeiten, in denen weder die politischen Verhältnisse noch die politischen Aktionen – weil sie nahezu wirkungslos bleiben – Heiterkeit bereiten. Revolution und Lachen scheinen heute fast nur noch im Theater möglich. Gleichzeitig wissen wir, dass keiner Revolution je eine Generalprobe vorausging.

Selbstermächtigung

Irgendwann ist der Punkt gekommen. Nachdem Matti schon begriffen hat, dass es keine Liebe zwischen Füchsin und Hahn geben kann und er das Verlobungsangebot mit Eva ausgeschlagen hat, entscheidet er, sich nicht mehr weiter so behandeln zu lassen. Er vollzieht einen Bruch und verlässt Puntila. Matti, der andere schon vor falschen Hoffnungen gewarnt hat, setzt selbst keine Hoffnung mehr auf einen guten Kapitalisten.

Puntila wird sich ohne Matti nicht mehr zurechtfinden. Er ist von der Anerkennung seiner Herrschaft durch den Knecht abhängig. Ohne Knecht ist er kein Herr mehr. Diese dialektische Aufhebung der gesellschaftlichen Widersprüche wird am Schluss – in der AMA1-Probenfassung noch weitaus drastischer als in der Endfassung – inszeniert, nachdem die vier starken Arbeiterinnen den Epilog »Den guten Herrn, den finden sie geschwind, wenn sie erst ihre eignen Herren sind« gesprochen haben.

Puntila wimmert und fleht, fast im Delirium: »Ey, kommt zurück!«, »Lasst uns den Schluss noch mal neu spielen!«, »Das ist immer noch mein Stück!«, »Wo ist der Chor?«, »Warum wird es immer dunkler?« Puntila ist kurz vorm Verrecken. Keiner hört mehr auf ihn. Alle hatten sie genug und sind gemeinsam gegangen.

Premiere 22. April.
Weitere Vorstellungen 23. April, 3. und 4. Mai.
www.berliner-ensemble.de

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