»Hurensohn«: Die Diskriminierung von Sexarbeit in Fußball-Stadien

Der Kampf gegen Rassismus und Homophobie in Fankurven zeigt Wirkung. Die Diffamierung von Sexarbeit gehört noch zum Alltag

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 7 Min.
Stadionalltag in Schrift und Wort: »Hurensohn«
Stadionalltag in Schrift und Wort: »Hurensohn«

»Ich bin nicht der Mann für große Worte«, grinst Bastian Schweinsteiger auf einer Feier mit seinen Fans. Dann beginnt der Fußballstar zu klatschen und stimmt zu einem Gesang an, den er aus dem Stadion kennt. Schon nach der ersten Silbe haben es alle erkannt, grölen zusammen: »BVB! Hurensöhne!« An jenem Abend im Jahr 2014 machte sich Schweinsteiger, damals noch aktiver Mittelfeldspieler bei Bayern München, bei den Anhängern seines Klubs zum Helden – sorgte aber auch für einen kleinen Skandal.

Denn als eine Videoaufnahme seines Schmähgesangs im Internet kursierte, hagelte es Beschwerden aus Dortmund. Schweinsteiger sah sich gezwungen, ein eiliges Video aus dem Urlaub zu veröffentlichen: »Ich möchte mich dafür entschuldigen, bei allen Fans von Borussia Dortmund, Verantwortlichen und Spielern.« Er fügte hinzu: »Mit dem Schimpfwort möchte ich keinen beleidigen«, und: »Ich hoffe, alles wird wieder gut!«

Öffentlich gesehen, wurde dann auch alles wieder gut: Bald waren die Äußerungen des Weltmeisters vergessen, der heutige Fernsehexperte galt wieder als der allseits beliebte Typ, der er immer gewesen war. Schließlich hatte Schweinsteiger ja auch nichts Besonderes gesagt: Das Wort »Hurensohn« gilt in der Fußballkultur zwar nicht als gewählte Ausdrucksweise, ist aber bis heute immer wieder zu hören. Es gehört quasi zum guten, schlechten Ton der Fankurve.

An fast jedem Wochenende singen es Fans in den großen Stadien, um ihre Gegner zu verunglimpfen – nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa. Hütet etwa ein Torwart das Tor direkt vor der Kurve der gegnerischen Fans, werden dessen Abstöße oft mit dem Dreiklang »Arschloch! Wichser! Hurensohn!« begleitet. Als der Stürmer Timo Werner vor einigen Jahren eine dreiste Schwalbe gemacht hatte, kursierte ein Video einiger Polizisten, die gleichzeitig Fußballfans waren und sangen: »Timo Werner ist ein Hurensohn!«

Für richtig große Empörung sorgte die Beschimpfung aber an einem Bundesligaspieltag im Jahr 2020: Gleichzeitig bezeichneten die Anhängerschaften mehrerer Klubs Dietmar Hopp, Investor der TSG Hoffenheim, als Hurensohn. Diverse Fans hatten damit zum Ausdruck bringen wollen, dass Hopp durch seine Beteiligung die 50+1-Regel unterwandere. Der Deutsche Fußball-Bund aber sah eine Grenze überschritten: Einen Mann wie Hopp, der sich mit viel Geld und Herzblut für den Fußball einsetze, dürfe man nicht derart beschimpfen. Es wurden Strafen verhängt.

Wobei wie jedes Mal eine Frage ausblieb: Wer wurde im Fall Hopp – und wird in ähnlichen Situationen immer wieder – eigentlich wirklich beleidigt? Wurde hier nur ein Investor verunglimpft, weil er mit seinen Millionen den Wettbewerb im Fußball verzerrt? Oder werden die Hunderttausenden Frauen und Männer herabgewürdigt, die sexuelle Dienstleistungen anbieten? Denn wer für eine Beschimpfung das Wort »Hurensohn« verwendet, hält Sexarbeit offenbar für etwas, das keinen Respekt verdient. Ohnehin sollten solche Tiraden eigentlich verwundern: Seit einem guten Jahrzehnt fährt Europas Fußballverband Uefa eine offensive PR-Kampagne mit dem Schlagwort »Respect.« Im populärsten Sport der Welt soll offiziell niemand diskriminiert werden.

Die Realität sieht anders aus. »Natürlich ist es schlimm«, sagt André Nolte, ein Sexworker aus Berlin und Sprecher des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen. Aus dem auch durch Schmährufe ständig bekräftigten Stigma resultierten für Sexworkerinnen und Sexworker tägliche Probleme: »Wir haben Schwierigkeiten, Räume anzumieten, Konten zu eröffnen, Werbung zu schalten.«

Dass es solche Probleme überhaupt gibt, ist kurios. Schließlich ist Sexwork in Deutschland nicht nur offiziell erlaubt, sondern auch nachgefragt. »Wir haben ganz viele Kunden!«, sagt André Nolte und muss lachen, wenn er hinzufügt: »Aber dass die alle mit uns auf der Straße stehen und unsere roten Regenschirme hochhalten? Das ist nicht der Fall.« In Fußballstadien mögen mittlerweile hin und wieder Regenbogenfahnen zu sehen sein, als Symbol der Offenheit gegenüber LGBT-Personen. Ein roter Regenschirm, Zeichen für Sexarbeit, ist praktisch nirgends sichtbar.

Aber woran liegt es, dass im Fußball das Wort »Hurensohn« Fans und sogar Profis so locker von den Lippen geht? Das fragt sich auch Helen Breit, die seit zwei Jahrzehnten Anhängerin des SC Freiburg ist und sich bei der »Supporters Crew« sowie in bundesweiten Fanbündnissen stadionpolitisch engagiert. »Ich hatte über eine lange Zeit auch den Eindruck, dass es vorbei ist.« Wobei sich Breit nicht sicher ist, ob es sich hierbei um »stumpfe Pöbelei« handelt oder die gezielte Herabwürdigung von Sexwork.

Auch in der Kurve des SC Freiburg – eigentlich ein Verein, der bekannt ist für eine Fanszene, die sich offen zumindest gegen Rassismus und Sexismus stark macht – ist das Wort Hurensohn kaum tabu. Helen Breit bestätigt, dass Hurensohn-Rufe nicht nur vereinzelt zu hören sind, »sondern in kollektiven Rufen.« Unter organisierten Fangruppen werde dies auch zur Sprache gebracht. »Support und der Ausdruck auf Rängen im Stadion werden immer verhandelt.« Aber: »Mal kommt man besser zu Übereinstimmungen und mal schlechter.«

Aus der Sicht von Sexworkerinnen und Sexworkern also in den meisten Fällen schlechter. Denn indem sie wie selbstverständlich herabgewürdigt werden, verbessert sich ihre soziale Stellung kaum. »Wir haben kaum eine Lobby«, sagt André Nolte. Sodass er sich auch permanent existenzielle Sorgen mache. Seit Jahren gibt es Bemühungen, den Job Prostitution, der von Hunderttausenden betrieben und von Millionen nachgefragt wird, gesetzlich zu verbieten.

Selbst in ihrer derzeitigen Legalität sieht sich die Prostitution an den Rand gedrängt. Wer etwa aufgrund seiner Sexualität diskriminiert wird, kann eine solche Schlechterstellung rechtlich geltend machen. »Aber wenn man zu mir sagt: ›Ne Hure will ich hier nicht haben‹, dann ist das nicht der Fall«, so Nolte. Mehrere Verbände plädieren daher dafür, ein Verbot der Diskriminierung aufgrund von Sexwork ins Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufzunehmen.

Dann würden vielleicht auch die Hurensohn-Rufe in den Stadien irgendwann aufhören. Könnte der Fußball, als beliebtester Sport, aber auch ohnedies zu einem Wandel in der Gesellschaft beitragen? Der Umgang mit Homosexualität macht grundsätzlich optimistisch: Vor einem Jahrzehnt waren homophobe Vokabeln in Stadien noch ähnlich selbstverständlich wie »Hurensohn«, sind es nach langer Aufklärungsarbeit heute aber nicht mehr. Als sich im Februar der tschechische Fußballprofi Jakub Jankto als schwul outete, wurde die Sache medial gar nicht mehr so viel diskutiert. Steht als nächstes ein entspannterer Umgang mit Sexwork bevor?

Helen Breit schätzt, wenn einerseits organisierte Fans auf das Thema aufmerksam machten und andererseits die Vereine Maßnahmen ergriffen: »Dann, glaube ich, könnten wir in zehn Jahren noch mal sprechen und sagen: Das ist sehr viel besser geworden.« Wobei André Nolte schätzt, dass dies nicht annähernd genügen würde. Außerdem wäre eine Enttabuisierung nötig. »Sexarbeit wird konsumiert. Und ich würde mir eine Welt wünschen, wo man das auch offener sagen kann.« Es sei einfach eine Dienstleistung. »Und die Menschen erbringen diese Leistung im Regelfall gerne.«

Möglich, dass viele Fans einfach irgendein Schimpfwort brauchen, um die Gegner herabzuwürdigen. Aber vielleicht ist eines Tages die Zeit reif, dass sich ein Fußballprofi mit Stolz als Spross eines Sexarbeiters oder einer Sexarbeiterin outet. Und dass »Hurensohn« irgendwann gar kein Schimpfwort mehr ist. Wobei in den Fankurven von heute wenig darauf hindeutet.

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