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Letzte Generation: Keine Straßenschlacht dank Klimaklebern
Die Ökoaktivisten sorgen dafür, dass die Gesellschaft in ihrem Hass auf sie geeint ist, meint Andreas Koristka
Es sind Bilder des Grauens, die sich in letzter Zeit in der Bundeshauptstadt abspielen: allüberall Zerstörung, Gewalt und achtlos abgestellte Elektroroller. In Berlin ist längst alles kaputt und vermüllt. Hier kratzt man sich nicht mehr mühsam den Hundekot vom Schuh, sondern man kratzt den Schuh aus dem Hundekot. Wenn sich jetzt auch noch ein paar Hippies im großen Stil an den Straßen festkleben, so, wie sie es gerade angekündigt haben, dann wird der ganze Laden, den man wegen der vielen Ruinen »Spreeathen« nennt, vollends kollabieren.
Das weiß auch Justizminister Marco Buschmann von der FDP. Mit Blick auf die Proteste der Klimaaktivisten der »Letzten Generation«, wies er darauf hin, dass in Berlin schon in den 1920er und -30er Jahren »straßenschlachtartige Zustände« herrschten, »weil sich Menschen am linken und rechten politischen Rand selbst ermächtigt fühlten, sich über die Rechtsordnung zu stellen und die eigenen Vorstellungen mit der Faust durchzusetzen«.
Andreas Koristka ist Redakteur der Satire-Zeitschrift Eulenspiegel. Für »nd.DieWoche« schreibt er alle zwei Wochen die Kolumne »Betreutes Lesen«. Alle Texte unter: dasnd.de/koristka
Zwar kann man Fäuste nicht ganz so effektiv einsetzen, wenn man mit den Handflächen am Asphalt klebt, aber grundsätzlich stimmt das natürlich. Selbst wenn der Justizminister Buschmann heißt, gilt in Deutschland nicht etwa das Gesetz des Dschungels, sondern die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Und in ebendieser Rechtsordnung, da ist sich Buschmann ganz sicher, »gelten die gleichen Regeln für alle«.
Deshalb muss jetzt mit der vollen Härte des Gesetzes gegen die Kleber vorgegangen werden. Wir haben schließlich schon einmal erlebt, wie ein paar dahergelaufene Klimaaktivisten Deutschland in die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs führten. Okay, streng genommen waren das die Nazis, aber es geht ums Prinzip! Man muss sich doch nicht wundern, dass sich Menschen radikalisieren, wenn man sie daran hindert, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren!
Es ist völlig natürlich, wenn den Pendlern die Nerven durchgehen und sie gegenüber den Pattex-Ökos handgreiflich werden. Die Springer-Presse hat mit ihrer Berichterstattung über die »Letzte Generation« schließlich alles dafür getan, dass der gesellschaftliche Hass sich nicht gegen Verhältnisse richtet, die einen dazu zwingen, jeden Morgen mit hohem Blutdruck in einer zugepupsten Schrottkarre zu sitzen und fürchten zu müssen, auch nur eine Minute zu spät auf der Arbeit zu sein, die man hasst. Stattdessen kann man seine Aggressionen lieber an ein paar leicht verwirrten Dreadlockträgern auslassen, die sich berufen fühlen, die Erde zu retten.
Und deshalb stimmt es vielleicht doch nicht so ganz, was Marco Buschmann gesagt hat. Die Aktionen der »Letzten Generation« haben überhaupt nicht das Potenzial für straßenschlachtartige Zustände. Im Gegenteil, die Klimaaktivisten sorgen dafür, dass die Gesellschaft in ihrem Hass auf sie geeint ist. Sie kanalisieren lediglich die Gewalt der Massen. Das sollte einem Justizminister doch nur recht sein. So kommen die einfachen Leute, während sie ein paar Warnwestenträger von der Straße schubsen, nicht auf andere dumme Ideen, wie zum Beispiel Geldautomaten zu sprengen oder die Revolution auszurufen.
Und wenn es dann noch die Chance gibt, mit ein paar albernen historischen Vergleichen ein paar Wählerstimmen abzugreifen, dann ist das doch toll für Marco Buschmann, das ganze politische System und die Marktwirtschaft! Wenn es keine Klimakleber gäbe, müsste man sie geradezu erfinden. Marco Buschmann sollte ihnen zum Dank ein paar Tafeln Demeter-Schokolade zur Kreuzung bringen oder wenigstens einen kleinen Strauß mit Fair-Trade-Biotulpen. Es könnte eine kleine Aufmerksamkeit dafür sein, was diese Menschen fürs Vaterland tun. Danach kann er sie dann wieder den aufgebrachten Lkw-Fahrern überlassen.
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