Linke Hessen vor der Wahl: Hauptgegner sind die Grünen

Hessische Linke stellt Liste für Landtagswahl auf und überrascht mit einer Ex-Grünen

Wechselt von den Grünen zur Linken: Barbara Schlemmer
Wechselt von den Grünen zur Linken: Barbara Schlemmer

Ein kleiner Coup ist der hessischen Linken für die Landtagswahl am 8. Oktober gelungen. Auf Platz 7 ihrer Liste stellte die Partei am Wochenende die Klimaaktivistin Barbara Schlemmer auf. Im Zuge der Proteste in und um den Dannenröder Forst wurde Schlemmer als Sprecherin des Bündnisses »Keine A49« überregional bekannt. Sie engagierte sich bisher bei den Grünen, sitzt für sie im Kreistag des Vogelsbergkreises, und ist sogar Fraktionsvorsitzende im Stadtrat von Homberg (Ohm). Auf die Bühne in der Stadthalle von Flörsheim tritt Schlemmer am Samstag mit einer »Wald statt Asphalt«-Fahne, dem Motto des Protests im Dannenröder Forst gegen den Ausbau der Autobahn 49. »Es hat sich ausgegrünt«, sagt sie zu Beginn ihrer Rede. In ihre alte Partei habe sie das »Vertrauen verloren«. Die Politik des hessischen Wirtschafts- und Verkehrsministers Tarek Al-Wazir kritisiert sie scharf. Dass der Grünen-Minister sich gegen weitere Autobahnprojekte stellt, glaubt sie nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre nicht mehr.

In die Linke hingegen hat sie Vertrauen gewonnen, die Partei habe viel »Unterstützung geleistet«. Schlemmer erinnert an eine Sitzung der Landtagsfraktion im Dannenröder Wald. »Noch« sei sie nicht Mitglied, sagt sie. Ihr Angebot an ihre neue politische Heimat: die Stimmen der jungen klimabewegten Menschen gewinnen. Der Landesvorstand der hessischen Linken unterstützt die Bewerbung Schlemmers, sie sei »ein Stachel im Fleisch der Grünen«, wirbt Fraktionschef Jan Schalauske für sie. Die Delegierten in Flörsheim folgen dieser Empfehlung und wählen die Anti-Autobahn-Aktivistin mit 75 Prozent Zustimmung auf die Liste.

Jan Schalauske ist es auch, der gemeinsam mit Elisabeth Kula die hessische Linke in die Landtagswahl führen wird. Beide wurden mit großer Zustimmung gewählt. Klar auszumachen war bei den Bewerbungsreden von Kula und Schalauske, dass sie die Grünen als Hauptgegner identifiziert haben. Elisabeth Kula verwies auf Hamburg, wo sich die Grünen in der vergangenen Woche gegen einen Untersuchungsausschuss zum NSU stellten und eine eigene Abgeordnete sogar abstraften. »Ohne uns hätte es weder einen NSU- noch einen Lübcke-Untersuchungsausschuss gegeben«, verwies Kula auf die Lage in Hessen. Auch auf die SPD könne man sich nicht verlassen, erklärte die Linken-Politikerin. Dafür reiche ein Blick nach Berlin, wo die Sozialdemokraten eine Koalition mit der CDU geschmiedet haben. Wer seine Stimme für Soziales und Klimagerechtigkeit abgeben wolle, müsse die Linke wählen.

»Die Bilanz von neun Jahren Schwarz-Grün ist katastrophal«, findet Jan Schalauske. Die Mieten explodierten in ganz Hessen, der Reichtum müsse endlich umverteilt werden. Von Aktiven aus Bewegungen und Gewerkschaften werde ihm deshalb immer wieder gesagt: »Reißt euch zusammen, ihr Linken, wir brauchen euch.« Das sei ein Auftrag, den man ernst nehmen müsse, so der Fraktionsvorsitzende, der seine Rede mit einem Appell beendet: »Entweder wir gehen mit wehenden Fahnen unter oder wir ziehen am 8. Oktober wieder in den Landtag ein!«

Die Chancen dafür sahen schon einmal besser aus. In der letzten Umfrage des Hessischen Rundfunks aus dem März lag die Partei nur bei 3 Prozent. Das ist weit entfernt vom Ergebnis im Jahr 2018, als die Linke mit 6,3 Prozent und damit acht Abgeordneten in den Landtag einzog. Bisher gilt die hessische Linke als einer der Stabilitätsanker der Partei im Westen. Seit 2008 ist sie ohne Unterbrechung im Landtag vertreten. Die Aufstellungsversammlung in Flörsheim stand im Zeichen des Umbruchs. Nachdem die heutige Linken-Vorsitzende Janine Wissler 2021 in den Bundestag wechselte und der langjährige Linken-Abgeordnete Hermann Schaus im vergangenen Jahr sein Landtagsmandat aus Altersgründen abgab, hat die Partei zwei ihrer prominentesten Gesichter verloren. Auch andere Landtagsabgeordnete wollen im Herbst nicht wieder kandidieren.

Einer, der sich dagegen wieder aufstellen lassen wollte, ist Torsten Felstehausen. Im Landtag machte sich der Innenpolitiker vor allem im Bereich Antifaschismus, gegen Grundrechtseinschränkungen wie das neue Versammlungsgesetz und für die Zusammenarbeit mit der Klimagerechtigkeitsbewegung stark. Felstehausen unterlag bei der Abstimmung um Listenplatz 4 jedoch Michael Müller, der wegen seiner Arbeit in der Landesgeschäftsstelle in der ganzen Partei gut vernetzt ist.

Zumindest nach außen spielte der Streit um Sahra Wagenknecht und eine mögliche Spaltung der Linken bei der Aufstellungsversammlung keine Rolle. Spitzen und Provokationen blieben in Redebeiträgen aus. Offenbar wirkt das Ziel, wieder in den Landtag einzuziehen, einigend.

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