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EVG und Bahn: Gewerkschaftliche Synchronstimme
Ab Dienstag werden die Tarifverhandlungen bei den Bahn- und Schienen-Unternehmen fortgesetzt
»Wir warten schon seit acht Wochen und bisher haben wir nix Verhandlungsfähiges bekommen«, sagt Cosima Ingenschay vergangenen Mittwoch in die vor ihr aufgebauten Mikrofone, hörbar ungeduldig. Soeben hat die stellvertretende Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG Warnstreiks für Freitag angekündigt, von drei bis elf Uhr. Im Vergleich zum »Monsterstreik« vom 27. März, als EVG und Verdi gemeinsam bundesweit den Fern-, Güter-, Flug-, Nah- und Schiffsverkehr bestreikten, harmlos, könnte man meinen. Andererseits: Wenn die Bahner*innen die Arbeit niederlegen, dann steht eben sehr schnell alles still im Fern- und Güterverkehr, auch wenn es nur ein paar Stunden sind, Zirkulationsmacht heißt das bei den Soziologen.
Zwei Tage nach der Pressekonferenz steht Ingenschay auf einem Hocker am Berliner Ostbahnhof. Sie ist umringt von Beschäftigten, die heute die Arbeit niederlegen, um Druck vor der zweiten Verhandlungsrunde zu machen, die am Dienstag beginnen soll. Die Sonne scheint. An den Hocker, von dem aus sie zu den anderen spricht, ist ein Schild gelehnt: »Heute ist kein Arbeitstag, heute ist Streiktag.« Ingenschay zählt noch einmal die zentralen Forderungen der EVG auf, darunter die Anhebung von Tabellenlöhnen, die noch unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegen und nur durch einen Zuschuss diesem entsprechen; eine kurze Laufzeit von zwölf Monaten, denn »wir sehen ja, wie dynamisch die Lage ist«, zwölf Prozent Lohnsteigerung. Und die sicherlich wichtigste Forderung: mindestens 650 Euro mehr im Monat für alle.
Für alle heißt: Nicht nur für die 180 000 Beschäftigten bei den diversen Unternehmen der Deutschen Bahn, sondern auch für 50 000 weitere Kolleg*innen bei Schienen- und Bahnunternehmen. Denn: Diesmal verhandelt die EVG für alle diese insgesamt knapp 50 Unternehmen zeitgleich. Damit will die Gewerkschaft es schaffen, der Zersplitterung ihres Tarifvertrags entgegenzuwirken und die Standards zu vereinheitlichen, indem die Tarifrunden synchronisiert werden. Für den Warnstreik am Freitag waren daher auch nicht nur Beschäftigte der Deutschen Bahn aufgerufen. Zwei Unternehmen der Transdev-Gruppe hatten versucht, den Streik mit einer einstweiligen Verfügung noch zu stoppen. Aber ohne Erfolg: Ein Arbeitsgericht in Frankfurt am Main erklärte ihn am Donnerstagabend für zulässig.
Bundesweit nahmen dann laut EVG-Vorsitzendem Martin Burkert mehr als 23 000 Eisenbahner*innen am Ausstand teil. Es war nach dem »Monsterstreik« die zweite Arbeitsniederlegung der EVG im laufenden Tarifkonflikt, der im Februar begonnen hat. Bisher seien ihnen nur inakzeptable 27 Monate und eine Lohnsteigerung von fünf Prozent angeboten, auf die zentrale Festgeldforderung sei zunächst gar nicht eingegangen worden, sagt die EVG. Stattdessen wurde eine Einmalzahlung von 2500 Euro vorgeschlagen. »Das haben wir gar nicht gefordert und der Arbeitgeber weiß genau, dass die Kolleginnen und Kollegen eine solche Zahlung nicht wollen, weil diese nicht nachhaltig ist und am Ende einfach verpufft«, so Verhandlungsführer Kristian Loroch.
Nachdem die in der Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst eingesetzte Schlichtungskommission am 15. April einen Schlichtungsvorschlag für den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes vorgelegt hatte, meldete sich die Bahn-Arbeitgeberseite umgehend zu Wort und forderte, an dieser Schlichtung orientiert zu einem Abschluss zu kommen – die EVG lehnt das ab.
Um diese demonstrative Entschlossenheit zu verstehen, muss man sich in Erinnerung rufen, dass die Gewerkschaft für ihre Mitglieder nicht nur einen gegen die Inflation wirksamen Abschluss liefern muss, sondern auch einen, der die Folgen der in der Corona-Pandemie geübten Zurückhaltung dämpft. 2020 und 2021 hatte es de facto Nullrunden bei der Bahn gegeben.
Die Tarifrunde mit der EVG ist nach Post und öffentlichem Dienst schon die dritte große Tarifauseinandersetzung im Bereich der Daseinsvorsorge und Infrastruktur in diesem Jahr. Doch sie wird nicht die Letzte sein: Im Herbst läuft nicht nur der zweite große Flächentarif im öffentlichen Dienst, der Tarifvertrag der Länder, aus, sondern auch der Bahn-Tarifvertrag mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), die mit ähnlich hohen Forderungen und bekanntermaßen hoher Streik- und Konfliktbereitschaft ihre Tarifrunde führen dürfte. Doch bevor die GDL dran ist, wird wohl die EVG zunächst noch weiter in den Arbeitskampf eintauchen: Ein plötzlicher Abschluss, wie bei der Post, ist zwar nicht auszuschließen, gerade weil die EVG in der Vergangenheit das gewerkschaftliche Co-Management oft routiniert vorgeführt hat. Zugleich liegen ihre Forderungen und die Vorstellungen der Arbeitgeber im Moment weit auseinander.
Am Mittwoch, vor den Kameras, betont Cosima Ingenschay: sich zusammenzusetzen, wenn nichts vorliegt, über das man rede könne, sei »Tariffolklore«. Dass man sich die nicht leisten könne, hatte sie schon kurz nach dem Abbruch der ersten Gesprächsrunde Ende Februar erklärt. Auch wegen der Synchronisierungsbestrebungen der EVG: »Wir verhandeln mit 50 Unternehmen gleichzeitig, ein Verhandlungszyklus dauert vier bis sechs Wochen – das zieht sich«, so die 44-Jährige. Man habe also schlicht und ergreifend keine Zeit für Gespräche ohne Grundlage.
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