Noch immer verdrängter Genozid

Nachfahren von Opfern erinnern an deutsche Kolonialverbrechen in Ostafrika

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 5 Min.

Cesilia Mollel und John Mbano haben eine lange Reise hinter sich. Aus dem Süden Tansanias sind sie nach Deutschland gekommen, um nach den sterblichen Überresten ihres Ahnen Songea Mbano zu suchen. Dessen Schädel befindet sich bis heute in dem Land, das Ende des 19. Jahrhunderts große Gebiete in Ostafrika zu seinem Eigentum erklärte und dessen Bewohner ausbeutete, versklavte, ermordete.

Am Dienstag führten Mollel und Mbano ein Gespräch mit Katja Keul (Grüne), Staatssekretärin im Auswärtigen Amt. Später schilderte das Ehepaar auf Einladung des Vereins Berlin Postkolonial vor Journalisten seine Eindrücke vom Stand der Aufarbeitung deutscher rassistischer und kolonialistischer Verbrechen in Afrika zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Songea Mbano wurde am 27. Februar 1906 gemeinsam mit zahlreichen weiteren Widerstandskämpfer*innen gegen die Kolonialherren hingerichtet. Er war ein wichtiger Protagonist des Maji-Maji-Aufstands von 1905 bis 1907. Die deutsche Schutztruppe schlug die geeinte Erhebung vieler Volksgruppen brutal nieder. Es starben bis zu 300 000 Menschen, die meisten, weil die Deutschen damals bereits die Strategie der verbrannten Erde anwandten, also Ernten und Vorräte zerstörten. Die Folge waren verheerende Hungersnöte. Bis heute ist dieser Genozid, im Unterschied zu jenem an den Herero und Nama im heutigen Namibia, im historischen Bewusstsein der deutschen Gesellschaft kaum verankert.

John Mbano ist der Urenkel von Songea Mbano. »Ich bin hier, weil sein Kopf hier vermutet wird«, sagte er am Dienstag. Sein Urgroßvater habe das Schicksal Tausender Gegner des deutschen Kolonialismus geteilt, die verfolgt und ermordet worden seien. Songea Mbano wurde zusammen mit elf weiteren Männern öffentlich gehängt, zur Abschreckung der Bevölkerung. In seiner Heimat erzähle man sich bis heute, dass bei Songea Mbana das Seil dreimal gerissen sei, er aber nicht starb. Daher sei er von den Kolonialisten erschossen und mit den anderen Hingerichteten im Ort begraben worden.

Songea Mbanos Grab wurde jedoch geöffnet, sein Kopf abgeschnitten und in einer Kiste nach Deutschland transportiert. »Seitdem trauert die Familie. Sie versuchen alles, um den Kopf nach Hause zu bringen, damit sie ihre Trauer beenden können«, erklärte John Mbano. Daher habe ihre Reise das Ziel, den Schädel des Urgroßvaters nach Hause zu bringen und traditionell zu begraben. »Wir haben es geschafft, hierherzukommen und wichtige Leute zu treffen«, sagte Mbano. Er lobte ausdrücklich die Arbeit der Aktivist*innen von Initiativen wie Berlin Postkonial, die auch Menschen in Tansania und den Teilen der Nachbarländer, die Anfang des 20. Jahrhunderts zu »Deutsch-Ostafrika« gehörten, unterstützen.

Cecilia Mollel ist Grundstuhllehrerin in Tansania und lehrt dort deutsche Kolonialgeschichte. »Es fällt uns immer schwer, Kinder darüber zu informieren, was in der Kolonialzeit passierte«, sagt sie. So können sie nicht verstehen, dass die Gegner*innen der Kolonialherrschaft nicht nur hingerichtet wurden. Als besonders verwerflich sehen sie es an, dass ihnen Körperteile abgeschnitten und nach Deutschland transportiert wurden. »Meistens fragen die Schüler*innen, ob denn die Geschichte mit den abgeschnittenen Köpfen stimme – und wie sie zurückgebracht werden können.« Sie sei dankbar, sagt Mollel, in Deutschland nach Antworten auf die Fragen ihrer Schüler*innen suchen und vielleicht manche finden zu können.

Überrascht zeigte sich die Pädagogin, dass die deutsche Kolonialgeschichte in deutschen Schulen kaum eine Rolle spielt. Sie habe aber Hoffnung, dass sich dies bald ändere, weil auch in der Bundesrepublik viele Menschen ihre Forderungen unterstützen. Mollel glaubt, dass jene, die sich für die Vergangenheit interessieren, eine Brücke zwischen den Menschen in Deutschland und in afrikanischen Ländern bauen können.

Auf die Frage, warum die deutsche Kolonialgeschichte hierzulande immer noch eine so geringe Rolle spielt, ging Mnyaka Sururu Mboro von Berlin Postkolonial ein. Ein zentraler Grund sei die rassistische Forschung, sagt der ebenfalls aus Tansania stammende Aktivist, der bereits seit 1978 in Deutschland lebt und seit Jahren dafür kämpft, dass sich die deutsche Gesellschaft ihrer Vergangenheit als brutale Kolonialmacht in seinem Herkunftsland stellt. In der Tatsache, dass die Gebeine noch immer nicht zurückgegeben wurden, sieht Mboro das Fortwirken rassistischer Missachtung bis in die Gegenwart.

Er kritisierte, dass auch Museen aus Leipzig und Berlin (Ost) Gebeine afrikanischer Menschen noch immer nicht an Nachfahren oder Herkunftsländer zurückgegeben hätten. Zugleich betonte Mboro, er sei im damaligen Leipziger Grassi-Museum für Völkerkunde Ende der 70er Jahre, also zu DDR-Zeiten, wesentlich respektvoller behandelt worden als in Museen der Bundesrepublik.

Mboro, der ebenfalls an dem Gespräch mit Staatssekretärin Keul teilgenommen hat, zeigte sich vorsichtig optimistisch, dass der Kopf von Songea Mbano in seiner Heimat begraben werden kann. Aktuell warten die Nachfahren auf das Ergebnis eines DNA-Tests, mit dem die Herkunft eines Schädels aus dem Berliner Naturkundemuseum geprüft werden soll.

Der Aktivist beklagt, dass vor allen die junge Generation nichts von der deutschen Kolonialgeschichte wisse. In der Schule werde nur über britischen und französischen Kolonialismus gesprochen. Dabei gebe es hierzulande Spuren des deutschen Kolonialismus. Dazu gehört auch das sogenannte Afrikanische Viertel in Berlin, in dem noch Straßen nach Kolonialverbrechern benannt sind bzw. waren, denn einige wurden inzwischen umbenannt.

Nach dem Pressegespräch nahmen die Aktiven von Berlin Postkolonial die vom Bezirksamt Mitte geplante Umbenennung der nach dem brutalen Kolonialisten Carl Peters benannten Petersallee in Maji-Maji-Allee symbolisch vorweg.

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