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1. Mai: Revolutionär oder entpolitisiert?
Der Tag der Arbeit findet dieses Jahr ohne das »Myfest« statt und stellt die wackelige Koalition vor Herausforderungen
Der neue Senat sitzt noch nicht so richtig im Sattel und schon kracht es in der Hauptstadt. Zum 1. Mai, dem Tag der Arbeit, ruft die radikale Linke einmal mehr zu großen Protesten auf. In der ganzen Stadt haben Initiativen etliche Demonstrationszüge angekündigt.
Der große Auftakt zum Revolutionären 1. Mai soll allerdings in Neukölln stattfinden. Nach einer Kundgebung am U-Bahnhof Boddinstraße um 17 Uhr wollen die Veranstalter ihren Demonstrationszug über die Hermannstraße, Sonnenallee und den Kottbusser Damm bis hin zum Oranienplatz starten. Wie das Revolutionäre 1.-Mai-Bündnis in einem Aufruf mitteilt, stehen unter anderem die steigenden Lebenserhaltungskosten, Mieterhöhungen und der Krieg in der Ukraine im Fokus.
In der Erklärung lässt sich Wut auf die Berliner CDU erkennen. »In einem Land, das den Arier-Nachweis ›erfunden‹ hat, wird derjenige unter Generalverdacht gestellt, der Rahul heißt und nicht Ralf«, kritisiert das Bündnis. Doch auch frühere Senate kommen nicht unbescholten davon: Unter SPD und Linke seien in den 2000er-Jahren Hunderttausende staatliche Wohnungen privatisiert worden, während Rot-Grün-Rot den Volksentscheid zur Enteignung von Immobilienkonzernen missachtet habe.
Sowohl in der alten als auch der neuen Landesregierung ist es Innensenatorin Iris Spranger (SPD), die am 1. Mai im Blickpunkt steht. Seit Amtsbeginn beharrt sie in ihrer Sicherheitspolitik auf einer harten, potenziell eskalativen Linie. Mit der Polizeiwache am Kottbusser Tor, zusätzlichen Tasern für Berliner Beamte und einer harten Linie gegen die Klimaaktivist*innen der Letzten Generation hat Spranger für Missfallen in der linken Szene gesorgt.
Mit dem Kreuzberger »Myfest« entfällt in diesem Jahr zudem eine Veranstaltung, die als gewaltfreie Alternative zu den üblichen Ausschreitungen ins Leben gerufen wurde. Der Bezirk beharrt auf nicht erfüllten rechtlichen Rahmenbedingungen, die Organisator*innen beklagen sich im Gegenzug über fehlende Unterstützung.
Auf große Gegenliebe scheint das »Myfest« im Kiez jedoch ohnehin nicht mehr zu stoßen. So argumentiert nicht nur die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg Clara Herrmann (Grüne), auch die Nachbarschaftsinitiative Bizim Kiez übt seit Jahren Kritik. »Das wurde zwar zur Befriedung eingeführt, hat sich letzten Endes aber zu einer Veranstaltung für Partytouristen entwickelt«, sagt Philipp Vergin von Bizim Kiez zu »nd«. Das »Myfest« sei mittlerweile »völlig entpolitisiert« und habe zuletzt hauptsächlich für genervte Anwohner*innen sorgen können. Regulierungsversuche des Bezirks seien erfolglos geblieben und hätten die Feierei noch weiter in den Kiez verlagert.
Die Mehrheit bei Bizim Kiez weine dem »Myfest« keine Träne nach, führt Vergin aus. »Wir können aber auch nicht sagen, dass die Welt besser geworden ist durch die Absage.« Der 1. Mai habe sich zum alljährlichen Katz-und-Maus-Spiel entwickelt: zwischen der Polizei und Leuten, die in erster Linie eine Auseinandersetzung suchen. Aus der Sicht Vergins wird es in Zukunft darauf ankommen, ob es den Initiativen gelingt, den Tag der Arbeit zu »repolitisieren«.
Als Alternative zum Revolutionären 1. Mai gilt mitunter die MyGruni-Demo im Ortsteil Grunewald. Dort organisiert die Initiative Quartiersmanagement Grunewald einen satirischen Protestzug durch das örtliche Villenviertel. Unter dem Motto »Kohleabbau ganz neu denken« wollen sich die Teilnehmer*innen für Umverteilung und Enteignung stark machen. Zumindest Vergin von Bizim Kiez findet: »Es ist die coolere Veranstaltung.«
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