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Gendarmenmarkt in Berlin: Platz zum Frustablassen

Die Umgestaltung des Gendarmenmarkts wirft grundsätzliche Fragen zur Bauwende auf – nicht nur in der Haupstadt

Oben karg, drunter Schwammstadt: Der Gendarmenmarkt in neuem Gewand
Oben karg, drunter Schwammstadt: Der Gendarmenmarkt in neuem Gewand

Positiv formuliert könnte man sagen: Berlins umgestalteter Vorzeigeplatz sorgt für Aufsehen. »Parkplatz im Herzen Berlins«, »Grauen aus Stein und Beton«, »Bäume overratet« lauten nur einige der Urteile, die in den sozialen Medien über den Gendarmenmarkt, auch auf prominenten Accounts, zu lesen sind. Auch das Satire-Portal »Der Postillon« ist sich nicht zu schade, eine fiktive Meldung abzusetzen. »Grashalm auf frisch saniertem Gendarmenmarkt entdeckt: Berliner Stadtverwaltung rückt mit Flammenwerfern an«, titelt es.

Gut zweieinhalb Jahre hat es gedauert, den altehrwürdigen Gendarmenmarkt im Bezirk Mitte zu modernisieren, rund 21 Millionen Euro hat das Projekt gekostet. Doch nur wenige Tage nach der Eröffnung sieht sich Bausenator Christian Gaebler (SPD) gezwungen, das Ergebnis zu verteidigen. »Das sollten sich alle erst mal in Ruhe angucken«, beschwichtigt er am Dienstag. »Ich glaube, dann wird sich die Aufregung auch wieder legen.« Auch er selbst, so Gaebler, sei ein Fan davon, wenn es viele Bäume gäbe. Er verweist auf hitzebeständige Bäume, die am Rand des Gendarmenmarkts bereits gepflanzt worden seien.

Wirtschaftlichkeit, Klimaanpassung und Denkmalschutz wollte die landeseigene Grün Berlin GmbH auf dem neuen Platz vereinen. An Argumenten fehlt es nicht: Ein unterirdisches Leitungsnetz soll verhindern, dass Regenwasser die Kanalisation bei Starkregen überlastet und sie in Berliner Gewässer überlaufen lässt. Ebenfalls unter der Oberfläche verlegte Kabel sowie versenkbare Anschlüsse für Trink- und Schmutzwasser ermöglichen barrierefreie Veranstaltungen, unabhängig von den Räumlichkeiten des Konzerthauses.

Und doch fehlt von Grün auf dem neuen Gendarmenmarkt jede Spur, anders als es der Name des beauftragten Unternehmens vermuten ließe. Zugunsten der unterirdischen Infrastruktur und denkmalschützerischen Auflagen sind sogar Bäume gefällt worden. Das gestalterische Konzept fußt darauf, wie der Gendarmenmarkt zu DDR-Zeiten aussah.

»Denkmalschutz ist wichtig, aber er muss sich auch bewegen können«, sagt Julian Schwarze, Stadtentwicklungsexperte der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, zu »nd«. Er begrüßt einerseits die durchlässige Oberflächengestaltung des Gendarmenmarkts, die sich am Prinzip Schwammstadt orientiert, kann aber auch die Kritik an fehlenden Bäumen nachvollziehen. »Wenn wir 35 Grad im Sommer haben, ist es ehrlicherweise egal, ob Rasen oder Stein, wenn es keine Bäume gibt, die Schatten spenden können.«

»Ich denke, dass wir diesen Platz heute anders planen würden, auch in Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz.«

Julian Schwarze (Grüne)
Stadtpolitikexperte im Abgeordnetenhaus

Der Beschluss zum Umbau des Gendarmenmarkts stammt noch aus dem Jahr 2009 und hat demensprechend mehrere Senate überdauert, auch unter Beteiligung der Grünen. Schwarze sieht in der Berliner Stadtentwicklungspolitik generell die Tendenz, an alten Planungen weiter festzuhalten, obwohl sie aktuellen Entwicklungen angepasst werden müssten. Ein Problem, das gerade bei der Konzeption neuer Stadtquartiere auftrete. »Geschwindigkeit alleine ist kein Qualitätsmerkmal«, sagt Schwarze. Er wünsche sich mehr Mut zur Umplanung, auch wenn sich Projekte dadurch ein, zwei Monate verlängern sollten.

»Ich denke, dass wir diesen Platz heute anders planen würden, auch in Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz«, sagt Schwarze. Wenn es allerdings nicht möglich sei, sich im Rahmen des Denkmalschutzes an die neuen klimatischen Herausforderungen anzupassen, müsse der Rahmen geändert werden. Aus Sicht des Grünen-Abgeordneten zeigen die aktuellen Diskussionen, wie sehr die Angst der Berliner*innen vor überhitzten Plätzen im Vergleich zu 2009 gewachsen ist – weil sich eben auch das Klima radikal verändert hat.

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Dass beim Umbau des Gendarmenmarkts dessen Nutzung als Veranstaltungsort im Vordergrund stand, sei nicht abwegig. »Wir haben es hier natürlich nicht mit einem Kiezplatz wie dem Boxhagener Platz zu tun«, sagt Schwarze. Ob und wie der Gendarmenmarkt noch einmal angepasst werden muss, werde der kommende Sommer zeigen. »Wir müssen den Platz jetzt erst einmal in die Stadt hineinwachsen lassen.« Er hofft, dass die Debatte um den Gendarmenmarkt ihre Wirkung zeigen wird und Planer*innen bei kommenden Bauprojekten sensibilisiert.

Auch der Berliner Umweltschutzbund BUND sieht einen wichtigen Impuls. »Es ist gut, dass von vielen Menschen vehement mehr Begrünung in Berlin eingefordert wird«, teilt BUND-Geschäftsführerin Gabi Jung »nd« mit. Mehr Bäume könnten nicht nur einen Beitrag zur Klimaanpassung leisten, sondern als Lebensraum für viele Arten auch die Biodiversität vor Ort erhöhen. Und doch, sagt Jung, machten es sich einige Kritiker*innen zu einfach: »Das alles jetzt am Gendarmenmarkt festmachen zu wollen, ist zu kurz geblickt.« Berlin brauche auch Orte für Veranstaltungen, und der Gendarmenmarkt sei eben einer von diesen Orten.

In Mitte gebe es viele Orte mit großem Potenzial, an denen entsiegelt werden müsse, führt Jung aus. Sie nennt den Bereich vor dem Humboldt-Forum, »die überbreite Leipziger Straße« oder auch die Spandauer Straße zwischen Fernsehturm und Marx-Engels-Forum. Mehr Begrünung und Entsiegelung könne beispielsweise auch für eine bessere Vernetzung kleiner Parks sorgen, so Jung. »Sie sind dann sogenannte Trittstein-Biotope, die es Arten ermöglichen, zwischen den verschiedenen grünen Inseln in der Großstadt zu wandern.«

Wichtig ist dem BUND vor allem der Erhalt älterer Bäume. Bis neu gepflanzte Bäume Funktionen wie Schatten erfüllen können, vergehen laut Umweltschutzbund rund 30 Jahre. 60 bis 80 Jahre dauere es sogar, bis sie als Bruthöhlen dienen könnten. Das Regenwasser-System am Gendarmenmarkt begrüßt der BUND prinzipiell. Doch: »Wegen der hohen Kosten der am Gendarmenmarkt gewählten Lösung kann das nicht die Standardlösung sein.« Besser seien Lösungen wie tieferliegende Baumscheiben oder Gräben, in denen das Wasser versickern könne.

Beim erneuten Blick ins Netz wird derweil deutlich: Bei der Diskussion um den Gendarmenmarkt geht es nicht zuletzt um grundlegenden Frust über stadtentwicklungspolitische Entscheidungen überall in Deutschland. Unlängst kursierte das Bild einer weiteren zugepflasterten Fläche. Es ist der 2022 neu eröffnete Stuttgarter Marktplatz. mit dpa

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