Verlierer ist die Verfassung

Gastbeitrag: Unter den Richtern des höchsten brandenburgischen Gerichts sollten nicht nur Juristen sein

  • Volkmar Schöneburg
  • Lesedauer: 4 Min.

Mein Vater würde sich im Grabe umdrehen. Aber auch die anderen Mütter und Väter der Brandenburger Landesverfassung können wohl nur mit dem Kopf schütteln, wenn sie sehen, was für ein Trauerspiel seit Monaten um die Besetzung einer Richterstelle am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg abläuft.

Andreas Dresen muss nach zehnjähriger Amtszeit aus dem Gericht ausscheiden. So sieht es das Gesetz vor. Der herausragende ostdeutsche Regisseur ist kein Jurist. Aber die Landesverfassung regelt ausdrücklich die Beteiligung von Laien. Das neun Richter umfassende Gericht setzt sich zu je einem Drittel aus Berufsrichtern, Mitgliedern mit der Befähigung zum Richteramt oder Diplomjuristen und Mitgliedern zusammen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen müssen. Damit öffnet die Verfassung die Tür für drei nichtjuristische Mitglieder.

Der dahinterstehende Gedanke ist klar: Die Verfassung will bewusst gesellschaftliche Kräfte an der Rechtsprechung beteiligen. Sie sollen anderen als den juristischen Sachverstand einbringen. Es ging den Autoren der Verfassung, die mal als die modernste deutsche Landesverfassung galt, um die Plausibilität und Verständlichkeit von Entscheidungen. Schwierige juristische Sachverhalte sollten auch von Nichtjuristen überprüft werden können.

Intellektuelle wie der Theologe Richard Schröder oder der Theatermann und Autor Florian Havemann haben in diesem Sinne am höchsten Brandenburger Gericht gewirkt. Auch die Schriftstellerin Juli Zeh wurde vor Jahren zur Verfassungsrichterin gewählt. Zwar verfügt sie über ein abgeschlossenes Jurastudium, aber ernannt wurde Zeh, weil sie eine bekannte Schriftstellerin ist. Sie und Andreas Dresen sind gegenwärtig die Laien am Gericht.

Nun müsste man ja annehmen, dass für Dresen ein Nichtjurist vorgeschlagen wird. Doch weit gefehlt. Seit dem Herbst vergangenen Jahres rankt sich um die Nachbesetzung ein parlamentarisches Trauerspiel. Vorläufig letzter Akt sind die beiden Vorschläge, die in dieser Woche das Licht der Öffentlichkeit erblickten. Einmal schlägt die Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) den Bundesverwaltungsrichter Andreas Koch, geboren in Ostberlin, vor. Sicher ein guter Jurist. Zustimmung erhielt dieser Vorschlag durch SPD, CDU und Grüne.

Die Freien Wähler konterten diese Personalie, indem sie den ehemaligen Eberswalder Arbeitsrichter André von Ossowski als Kandidaten benannten. Politisch gesehen kein schlechter Schachzug. Hatte sich doch dieser Richter mit Erfolg gegen eine Versetzung im Zuge der Arbeitsgerichtsreform gewehrt. Die Brandenburger Justizministerin Susanne Hoffmann (CDU) hatte die Versetzung unter Missachtung des Richtergesetzes vollzogen, an dem sie als Abteilungsleiterin im Justizministerium vor Jahren selbst mitgearbeitet hatte. Ein klarer Bruch der Verfassung. Die Ministerin zählt zur Exekutive, also zur vollziehenden Gewalt. Deren Aufgabe ist die Umsetzung der durch den Landtag, den Souverän, verabschiedeter Gesetze, nicht deren fadenscheinige Umschiffung. Mit ihrem Kandidaten thematisieren die oppositionellen Freien Wähler zugleich nochmals den Verfassungsbruch der Ministerin.

Was bei diesen Spielchen auf der Strecke bleibt, sind die Verfassung und ihre Regelung zur Zusammensetzung des Gerichts. Die AfD hat nun auch noch einen eigenen Kandidaten für den Posten des Verfassungsrichters angekündigt – den Rechtsanwalt Roland Hartwig, der bis 2021 ihr Bundestagsabgeordneter war. Alle drei Bewerber sind Juristen, keine Laien. Dem wird entgegengehalten, dass die Regelung zu den Laienrichtern in der Verfassung lediglich eine Kann-Bestimmung sei. Darüber lässt sich trefflich streiten. In dem einschlägigen Kommentar zur Landesverfassung heißt es: Es dürfte dem Geist der Verfassung widersprechen, dass das nichtjuristische Element völlig ausfällt oder nur noch durch eine Alibi-Person vertreten wird. Der Geist der Verfassung speiste sich nicht zuletzt aus der 1989er Demokratiebewegung. Elemente waren unter anderem eine Basisdemokratie und eine effektive Kontrolle der Macht. Insofern dürfte schon die Wahl eines siebten Juristen in das Verfassungsgericht nicht völlig unzulässig, aber nur in Ausnahmefällen statthaft sein. Die Wahl eines achten Volljuristen hingegen steht im Widerspruch zur Verfassung.

Volkmar Schöneburg (Linke) war von 2009 bis 2013 brandenburgischer Justizminister. Vorher war er von 2006 an selbst Richter am Landesverfassungsgericht. Sein Vater, der Juraprofessor Karl-Heinz Schöneburg, war von 1993 bis 1998 ebenfalls Verfassungsrichter in Brandenburg – von der PDS nominiert. Er hatte den Text der 1992 vom Landtag angenommenen und durch Volksentscheid bestätigten Verfassung mit entworfen.

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