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Kai Wegner zum Regierenden Bürgermeister in Berlin gewählt
Fehlstart: Erst nach drei Wahlgängen wird der CDU-Landeschef gewählt – mit Stimmen der AfD?
Die ersten Gratulanten hatten sich schon angemeldet: Um 12.54 Uhr am Donnerstagmittag wünschte der Berliner Mieterverein per Mail »der neuen Landesregierung unter dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner gutes Gelingen«. Derjenige, dem diese Wünsche galten, hatte in diesem Moment aber wenig zu jubeln. Denn wenige Minuten zuvor war Kai Wegner (CDU) im ersten Wahlgang gescheitert. 80 der 159 Abgeordneten hätte er hinter sich versammeln müssen, auf 86 Abgeordnete kommen CDU und SPD gemeinsam. Die komfortable Mehrheit nutzte wenig: Gerade einmal 71 Abgeordnete stimmten im ersten Wahlgang für Wegner, 86 gegen ihn.
Es wurde hektisch. Zunächst wurde die Sitzung für eine halbe Stunde unterbrochen, die Fraktionen zogen sich zu Beratungen zurück. Besonders die SPD ließ sich viel Zeit, bevor sie in den Plenarsaal zurückkehrte. Doch auch im zweiten Wahlgang durfte Wegner nicht jubeln. Mit nur 79 Stimmen scheiterte Wegner erneut am Quorum. Für weitere anderthalb Stunden mussten sich die Beobachter gedulden, nur um zu sehen, wie die Sitzung erneut unterbrochen wurde. Der Ältestenrat zog sich zurück, um die Wahlmodalitäten zu klären.
Erst um 16.45 Uhr, Stunden nach Beginn der Abgeordnetenhaussitzung, stand fest, dass Wegner es geschafft hatte. 86 Stimmen erhielt er am Ende. Zuvor hatte die AfD erklärt, dass sie im dritten Wahlgang für Wegner gestimmt hatte. Die Meldung verbreitete sich wie ein Lauffeuer unter den Abgeordneten, im Plenarsaal bildeten sich vor der Bekanntgabe des Ergebnisses Menschentrauben.
Wegner nahm die Wahl an – obwohl er nach einem ähnlichen Wahlverlauf in Thüringen 2020 das Verhalten der dortigen CDU-Fraktion scharf kritisiert hatte. Es dürfe keine Zusammenarbeit »mit oder in Abhängigkeit von der AfD« geben, hatte Wegner damals erklärt. Davon wollte er nun nichts mehr wissen: Er ließ sich mit der Formel »So wahr mir Gott helfe« vereidigen. Einige Abgeordnete von Grünen und Die Linke blieben demonstrativ sitzen, die Fraktionen verweigerten geschlossen den Beifall. Auch in der SPD-Fraktion wurde nur verhalten applaudiert.
Ein Sprecher der SPD-Fraktion sprach im Anschluss mit Blick auf den Inhalt der Rechtsaußen-Erklärung von einer »Lüge«. CDU und SPD hätten zusammen 86 Abgeordnete, und diese 86 Abgeordneten hätten dann im dritten Wahlgang auch geschlossen für Wegner gestimmt. »Wir brauchen keine Stimmen der AfD und wollen sie auch nicht«, sagte der Sprecher zu »nd«.
Beweisen lässt sich weder das eine noch das andere. Die Wahlgänge waren schließlich geheim. Die rechtsextreme Partei hat 17 Abgeordnete im Abgeordnetenhaus. Dass die Partei geschlossen für Wegner stimmte, ist rechnerisch unwahrscheinlich. Trotzdem wird Wegners Amtszeit mit unangenehmen Fragen zu seinem Verhältnis zu den Rechtspopulisten beginnen.
Und klar ist: Die schwarz-rote Koalition startet mit einem hässlichen Makel in ihre ersten Amtstage. Mit dem Anspruch angetreten, das von Wegner im Wahlkampf gebetsmühlenartig herbeizitierte »Chaos« in der Hauptstadt zu beenden, stürzt die große Koalition schon vor ihrem eigentlichen Beginn über sich selbst. Der Ex-Luftwaffenkadett Wegner wird zum Bruchpiloten, der mit einer unsicheren Parlamentsmehrheit arbeiten muss.
Was war geschehen? Nach den zwei gescheiterten Wahlgängen wiesen CDU und SPD jeweils die Schuld von sich, für die Wahlmisere verantwortlich zu sein. Dass die SPD verantwortlich sein könnte, liegt nahe. Beim Mitgliedervotum stimmten nur 54,3 Prozent der SPD-Mitglieder für den Koalitionsvertrag. Zuletzt gab es zudem auch parteiintern Kritik an der Besetzung der Staatssekretärsposten. Unter anderem der ehemalige Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) kritisierte, dass »Erfahrung für das Amt oder Qualität auf anderen Ebenen« bei der Besetzung offenbar keine Rolle gespielt hätten. Stattdessen habe man gescheiterte Abgeordnetenhauskandidaten mit Posten versorgt.
Entsprechend groß war die Aufregung bei der SPD. Stimmen aus der Fraktion beschreiben die Atmosphäre bei der Fraktionssitzung als »puren Horror«. Bei zwei geheimen Probeabstimmungen habe es nur zwei Nein-Stimmen gegeben, der Rest der Fraktion habe hinter Wegner gestanden, so das Ergebnis, das SPD-Politiker rasch nach Abstimmungsende durchstochen – offenbar um keine Zweifel aufkommen zu lassen.
Tatsächlich ist nicht sicher, ob alle oder auch nur die Mehrheit der Nein-Stimmen aus der SPD-Fraktion kamen. Im ersten Wahlgang stimmten 15 Koalitionsabgeordnete mit Nein. Mithin müsste fast die Hälfte der SPD-Abgeordneten gegen Wegner gestimmt haben. Das erscheint unwahrscheinlich, auch weil nur fünf Abgeordnete beim Mitgliedervotum für ein Nein zum Koalitionsvertrag geworben hatten.
Der Verdacht, den die SPD nach den gescheiterten Wahlgängen streute, erscheint daher nicht abwegig: dass Teile der CDU-Fraktion Wegner einen Denkzettel verpassen wollten. Dabei hatte erst am Montag ein CDU-Parteitag dem Koalitionsvertrag einstimmig zugestimmt. Dass einige CDU-Parlamentarier ihren Unmut über den Koalitionsvertrag, mit dem die CDU der SPD entgegengekommen war, ausdrücken wollten, erscheint möglich. Eine Probeabstimmung innerhalb der Fraktion endete allerdings einstimmig.
Auch persönliche Rechnungen hat Wegner in der CDU noch offen. Bei der Besetzung von Senatoren- und Staatssekretärsposten hatte Wegner die alte Garde der Partei weitgehend unberücksichtigt gelassen. Stattdessen nominierte er eigene Zöglinge aus der CDU-Fraktion und Experten aus den Bundesbehörden. Andere Konflikte liegen länger zurück: 2019 putschte er seine langjährige Erzrivalin, die Bundestagsabgeordnete Monika Grütters, aus dem Landesvorsitz. Auch den ehemaligen CDU-Hoffnungsträger Mario Czaja bootete Wegner bei der Listenaufstellung zur Bundestagswahl aus. Vor allem in den Ostverbänden sollen ihm dies nicht alle verziehen haben.
Beim politischen Gegner sorgte die Chaoswahl erwartbar für Kritik und Spott. »Die Wahl zeigt, wie gespalten die Fraktionen sind, die diese Regierung tragen sollen, und dass offensichtlich weder die Fraktions- noch die Parteivorsitzenden eine Durchsetzungsmacht haben«, sagte Katina Schubert, Abgeordnete der Linkspartei, dem »RBB«. Der Linke-Mietenexperte Niklas Schenker fragte ironisch in Anspielung auf die Silvesterdebatte, ob Wegner eine Anfrage nach den Vornamen der Abweichler beantragen werde.
Wegners Stolperwahl weckt Erinnerungen an vergangene Wahlgänge. 2006 war Klaus Wowereit (SPD), der eine rot-rote Koalition geschmiedet hatte, im ersten Wahlgang gescheitert – allerdings nur mit einer fehlenden Stimme. Im zweiten Wahlgang war er erfolgreich. Naheliegender ist da der Vergleich mit Heide Simonis (SPD). Sie war 2005 bei der Wahl zur Ministerpräsidentin in Schleswig-Holstein in insgesamt vier Wahlgängen gescheitert. Welche Abgeordneten ihr die Stimme verweigert hatten, ist bis heute nicht bekannt. Simonis zog sich anschließend aus der Politik zurück und nahm an der TV-Show »Let’s Dance« teil. Zumindest dieses Schicksal scheint Wegner vorerst erspart zu bleiben.
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