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»Über Israel reden« von Meron Mendel: Im Land der Nahost-Experten
Alle haben eine Meinung, kaum einer weiß Bescheid: In »Über Israel reden« analysiert Meron Mendel den deutschen Israel-Diskurs
Es gibt in Deutschland gerade keinen Israeli, der mehr in der Öffentlichkeit steht als Meron Mendel. Nicht nur ist er Professor für transnationale Soziale Arbeit und Direktor der Bildungsstätte »Anne Frank« in Frankfurt am Main, er schreibt auch mit seiner Ehefrau, der Politologin Saba-Nur Cheema, eine Kolumne für die »FAZ«. Mendel ist Jude, Cheema Muslimin – ihre Beiträge drehen sich vor allem um ihr bireligiöses Zusammenleben und daran anknüpfende gesellschaftliche Fragen.
Aufmerksamkeit erlangte Mendel, der sich nach 20 Jahren im Land auch als Deutscher versteht, zuletzt auch über seine Kritik an der Kasseler Kunstschau Documenta fifteen. Die meisten mögen sich erinnern: Das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa geriet letzten Sommer wegen mehrerer Exponate mit antisemitischen Inhalten in die Schlagzeilen, was äußerst unterschiedliche öffentliche Reaktionen hervorrief. Während die einen angesichts der dargestellten Schmähungen von Jüdinnen und Juden Alarm schlugen, sahen die anderen in den Anschuldigungen Rassismus gegenüber Vertretern des Globalen Südens. In den angeprangerten Kunstwerken erblickte so mancher lediglich eine legitime Kritik am Staat Israel.
Mendel versuchte damals, zwischen Künstlern, Politikern und der Öffentlichkeit zu vermitteln, nahm an einer Podiumsdiskussion teil und eine Beraterrolle an, von der er sich nach kurzer Zeit wieder zurückzog. Zu seiner Enttäuschung waren die Beteiligten »zufrieden damit, in ihren Wohlfühlpositionen zu verharren«.
Das schreibt der Historiker und Pädagoge in seinem kürzlich erschienenen Buch »Über Israel reden«. Darin arbeitet er neben der Documenta-Debatte auch andere Vorfälle der jüngeren Vergangenheit auf, als in Deutschland über Israel und Antisemitismus gestritten wurde – etwa den geplanten Ruhrtriennale-Auftritt des kamerunischen Postkolonialismustheoretikers Achille Mbembe, der in seinen Schriften die israelische Gesellschaft mit dem südafrikanischen Apartheidregime verglich, oder den durch den australischen Historiker A. Dirk Moses ausgelösten sogenannten Zweiten Historikerstreit. Moses warf den Deutschen eine »erinnerungspolitische Orthodoxie« vor, die es verhindere, neben dem Holocaust auch anderer Massenverbrechen zu gedenken – und fand damit hierzulande Zustimmung aus der Ecke der Postcolonial Studies.
Die Deutschen redeten gern und viel über das Land im Nahen Osten, konstatiert Mendel, und wüssten dabei wenig. Vor allem diene Israel den 80 Millionen Nahost-Experten hierzulande als Projektionsfläche: Sowohl dessen bedingungslose Inschutznahme als auch die Dämonisierung könnten eine Entlastungsfunktion annehmen. Das ist schlüssig, handelt es sich doch bei den meisten Deutschen um Nachfahren von Nazis, deren antisemitischer Wahn einen jüdischen Staat notwendiger denn je werden ließ.
Dass Deutschland also ein extrem gespaltenes und belastetes Verhältnis zu Israel hat, sollte nicht überraschen. Was aber passiert dort wirklich? Im Gegensatz zu den meisten Deutschen weiß Mendel diesbezüglich, wovon er spricht.
Im Kibbuz aufgewachsen studierte er Geschichte in Haifa, war in dieser Zeit aktives Mitglied politisch linker Gruppen, bemühte sich um eine Annäherung zu den Arabern. Während seiner dreijährigen Zeit im israelischen Militär, in der er auch im Westjordanland stationiert war, erlebte Mendel, dass »ein jedes Besatzungsregime nur über die Gewalt der Besatzer und die Angst der einheimischen Bevölkerung« funktioniere.
In dieser Zeit lernte er auch den heutigen israelischen Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben Gwir kennen, der wegen rechtsradikaler Aktivitäten aus dem Militär ausgemustert worden war und als Siedler in Hebron Arabern offen den Tod wünschte. Dass Ben Gwir in der aktuellen Regierung von Benjamin Netanjahu zum Minister aufsteigen konnte, sieht Mendel im Wandel der israelischen Gesellschaft begründet. Dass Israel nach dem Sieg über die arabischen Staaten im Sechstagekrieg 1967 politisch »falsch abgebogen« sei, daran zweifelt er nicht. Das ist nachvollziehbar – allerdings kann man Mendel, auch wenn es in seinem Buch explizit nicht um den Nahostkonflikt an sich, sondern um das Verhältnis der Deutschen dazu geht, ankreiden, Wichtiges unerwähnt zu lassen. Etwa, dass palästinensische Führungen – darunter die radikalislamistische Hamas – einen Friedensprozess durch Terror erschwerten.
Mendel ist also sicher kein Verfechter des israelischen Status quo. Dennoch findet er deutliche Worte für jene, die zum Zwecke der Delegitimierung des jüdischen Staates Unwahrheiten verbreiten. Dessen Fortbestehen hält Mendel – so liest man es jedenfalls immer wieder implizit heraus – trotz aller Kritik für notwendig. In einfacher, klarer Sprache entkräftet er etwa die Behauptung, die Nakba – also die Vertreibung von 700 000 Palästinensern aus israelischem Land nach der Staatsgründung 1948 – sei das Pendant zum Holocaust (eine These, der, so wahnwitzig sie sich ausnimmt, immerhin laut einer Bielefelder Studienreihe die Hälfte der deutschen Bevölkerung zumindest teilweise zustimmt). Oder er widerlegt Dirk A. Moses Behauptung, der Holocaust sei in der Geschichte nicht präzedenzlos. Mendels luzide Ausführungen provozieren die Frage: Warum bloß sind diese einfachen Wahrheiten für viele – good will vorausgesetzt – so schwer zu verstehen?
Wie heiß die 2019 vom Bundestag als antisemitisch deklarierte Israel-Boykott-Bewegung BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) auch unter Linken diskutiert wird, bekam Mendel im letzten Jahr am eigenen Leib zu spüren. Zusammen mit Saba-Nur Cheema und der Antisemitismusforscherin Sina Arnold gab er den Sammelband »Frenemies« heraus, der die Konfliktlinien zwischen Antirassismus- und Antisemitismuskritikern herausschälen sollte. Noch vor der Veröffentlichung kam es zu einem Eklat: Über zehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zogen ihre Beiträge für den Band zurück, weil auch die BDS-Unterstützer Kerem Schamberger und Ramsis Kilani zu Wort kommen sollten, was den übrigen Beitragenden ihrer Aussage nach bis zuletzt vorenthalten worden war.
In seinem Buch beschreibt Mendel nun Teile des Vorfalls. Kilanis Haltung, zu der gehört, die Gründung des Staates Israel als »ethnische Säuberung Palästinas« zu begreifen, sieht Mendel als einseitig, »wenn nicht sogar als falsch« an. Dennoch wollte er Kilani als palästinensischem Aktivisten, dessen nächste Angehörige durch israelische Bomben im Gaza-Streifen ums Leben kamen, eine Stimme geben. Man könne von einem Palästinenser nicht erwarten, BDS zu verurteilen.
Mendels Konflikt zeigt, wie schwierig es ist, in dieser Frage eine moralisch richtige und gleichzeitig empathische Position einzunehmen. Letztlich aber scheint die von Mendel geplante Aufnahme der Palästina-Aktivisten in einen wissenschaftlichen Sammelband gerade in Anbetracht dessen, dass beide öffentlich auch islamistischen Terror als legitimen Widerstand gegen Israel verharmlosten, die falsche Schlussfolgerung zu sein. (Im Übrigen kam es dazu dann auch nicht.)
Es gibt also durchaus Dinge an diesem Buch, die streitbar sind – wie sollte es bei diesem Thema auch anders sein? »Über Israel reden« ist eine Aufforderung, angestammte Denkmuster zur Selbstvergewisserung, eben »Wohlfühlpositionen« zu verlassen und sich wirklich mit der Situation im Nahen Osten auseinanderzusetzen. Nicht zuletzt weist Mendel darauf hin, dass die Israel-Liebe, die seit 1967 vor allem von den politischen Eliten in Deutschland (nicht aber vom Gros der Bevölkerung) zur Schau gestellt wird, bei genauerem Hinsehen ein Trugbild ist – inklusive der daraus abgeleiteten »Staatsräson«. Solche Wahrheiten sind unbequem, aber genau deshalb ist es notwendig, sie auszusprechen.
Meron Mendel: Über Israel reden. Eine
deutsche Debatte. Kiepenheuer & Witsch,
224 S., geb., 22 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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