- Politik
- Krieg im Ostkongo
Krieg im Ostkongo : Die Angst der vergessenen Frauen
Im Ostkongo drohen Zivilisten in die Schusslinie der bewaffneten Gruppen zu geraten
Chantal Salumu wohnt mit ihren drei Kindern in einer Holzhütte in der Millionenstadt Goma im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Sie sitzt auf ihrer Polstercouch, die das einzige Zimmer zur Hälfte ausfüllt. Über den grau-braunen Polstern hängt ein Bild von Jesus. Die Frauenaktivistin ist gläubig. Sie betet jeden Tag, dass sie nicht überfallen wird, dass sie ihren Kindern vor der Schule wieder Milchbrei servieren kann statt heißes Wasser mit einer Prise Zucker. Aber alles Beten hilft nichts.
Im Ostkongo ist Krieg. Die Miliz M23 hat Monate lang wichtige Handelszentren in der Provinz Nord Kivu besetzt, um ihren Einfluss im Land zu vergrößern. Jetzt zieht sie sich von einigen Gebieten zurück. Aber wie alle Milizen und teilweise auch Regierungssoldaten verlangt die M23 Wegezoll auf den Pisten, auf denen Gemüse, Obst und Holzkohle nach Goma gelangen. Chauffeure erzählen, dass sie bis zu 500 US-Dollar pro Ladung bezahlen müssen, was die Preise in Goma in die Höhe treibt.
Ein Sack Maismehl kostet inzwischen 28 Dollar statt 18 Dollar. Der Preis für einen Sack Holzkohle, den alle zum Kochen brauchen, hat sich auf 40 Dollar verdoppelt. Das trifft die Bevölkerung hart. Zwei Drittel der 90 Millionen Kongolesen leben unter der Armutsgrenze. »Manche Frauen sind so verzweifelt, dass sie mit Männern schlafen, nur damit sie einen Happen zu essen bekommen«, erzählt Salumu.
Die 38 Jahre alte Aktivistin engagiert sich bei der Organisation »Rien sans les femmes« (nichts ohne die Frauen). Sie ist oft in Lagern für Geflüchtete unterwegs. »Das Elend bricht mir das Herz«, sagt sie, die selbst am Existenzminimum lebt. Sie habe beobachtet, wie Frauen sogar schmutzige Shorts ihrer Kinder als Binden benutzten, als sie ihre Periode hatten.
Die Kämpfe haben seit Juli letzten Jahres laut Hilfsorganisationen 600 000 Menschen aus ihren Dörfern vertrieben. 1400 Zivilisten seien getötet worden, zehn Millionen Menschen auf Nothilfe angewiesen. Eines von mehr als 100 Lagern, die rund um Goma entstanden sind, befindet sich am Fuß des Nyiragongo-Vulkans. Auf dem Weg dorthin säumen selbst gebastelte Zelte aus Ästen und Plastikplanen den Straßenrand. Überall liegen spitze Lavasteine. Josiane Maombi sitzt gedrängt mit 25 anderen geflüchteten Menschen in einer Hütte aus Zeltplanen, die etwa so groß ist wie ein Gartenhäuschen. In dieser Baracke treffen sich die Vertriebenen, wenn es etwas zu besprechen gibt. »Ich bin seit fünf Monaten im Lager. Nur zwei Mal haben wir Essensrationen bekommen«, erzählt Maombi. Die 38 Jahre alte Kongolesin ist mit ihrem Mann und ihren acht Kindern drei Tage lang zu Fuß durch Dornengebüsch marschiert, um den Kämpfen zu entfliehen. Der Mais auf ihrem Feld ernährt jetzt die Milizen.
»Wir Frauen müssen im Wald Feuerholz suchen. Viele werden vergewaltigt«, schimpft Maombi. Die meisten Frauen würden das aus Scham geheim halten. »Alle stehen am nächsten Morgen auf und sehen zu, wie sie die Familie ernähren.« Nach Erkenntnissen von Menschenrechtlern sind die Täter Milizionäre, Soldaten, Polizisten oder Angehörige mafiöser Netzwerke, die Bodenschätze aus dem Kongo in die Nachbarländer Ruanda und Uganda schmuggeln. Die Rohstoffe speisen internationale Lieferketten und landen unter anderem in Handys oder in Batterien für Elektroautos.
Vor kurzem seien Leute von der Provinzregierung gekommen und hätten Maismehl und Matratzen verteilt, erzählt Bäuerin Maombi. Es sei aber von allem viel zu wenig da gewesen. Nur ein paar alte Frauen hätten eine Matratze erhalten. Die anderen müssen auf den Lavasteinen liegen. Damit diese nicht allzu sehr ins Kreuz piksen, haben manche Bohnenstroh auf den Schlafplatz gelegt.
Ngerageze Mwamini hat es bis ins Krankenhaus der Baptisten nach Goma geschafft. Ihr linkes Bein steckt in einem Verband. »Ich habe mich mit Nachbarn unterhalten. Plötzlich ist ein Geschoss eingeschlagen und hat meine Wade zerfetzt«, erzählt die 25 Jahre alte Bäuerin. In der Nähe ihres Dorfes hatten sich die Armee und die M23 bekämpft.
Mwamini blutete, ein Nachbar hat sie auf dem Rücken zur Krankenstation getragen. Aber dort konnte niemand helfen. So ist sie mit einem Motorradtaxi eine Stunde lang über Stock und Stein in die nächste Stadt gefahren. Aber auch dort bekam sie keine Hilfe. Sanitäter haben sie dann in einem Krankenwagen nach Goma gefahren.
»Die meisten Patienten kommen in einem sehr schlechten Zustand an«, erzählt Anne-Kathrin Müller. Die deutsche Krankenschwester arbeitet für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und leitet die Behandlung der Kriegsopfer. Jeden Tag nimmt das Krankenhaus zwei bis vier Verletzte auf, und jede Woche sterben ein bis zwei.
Die 200 Betten im Spital reichen längst nicht mehr. Zelte mussten aufgestellt werden. »Die Patienten frieren in der Nacht«, beobachtet Müller. Denn es wird kalt, Goma liegt auf 1500 Meter Höhe am Rande des Masisi-Gebirges. 80 Prozent der Patienten sind Männer. Manche sind Milizionäre. »Wir fragen nicht, wir behandeln jeden«, sagt der Manager des Krankenhauses Serges Kilumbiro. Gelegentlich gebe es Ärger, wenn sich Kämpfer verfeindeter Gruppen Bett an Bett wieder fänden. Dann müsse er die Polizei holen.
Die Frauenrechtlerin Salumu ist wütend über die Gewalt. Die Schuld dafür gibt sie wie viele Kongolesen weniger der eigenen Regierung als dem Ausland. »Die Welt rafft unsere Rohstoffe. Aber dass wir zugrunde gehen, kümmert niemanden«, schimpft Salumu. So würden Europa und die USA der Ukraine mit allen Mitteln beistehen. »Über unsere Not sprechen sie nicht einmal«, klagt sie.
Der Frust sitzt tief in der Bevölkerung. Er richtet sich auch gegen die Friedensmission der Vereinten Nationen (Monusco), weil sich die Menschen nicht von ihr beschützt fühlen. Schon zwei Mal haben Männer vor dem Flüchtlingslager aus lauter Frust Konvois der Monusco attackiert. Anfang Februar haben die Blauhelme geschossen, um die Menge zu vertreiben. Dabei sind drei Menschen gestorben.
Entwicklungshelfer in Goma erzählen, dass manche Geldgeber die Budgets kürzen, seit die Europäer die Ukraine im Krieg gegen Russland aufrüsten. Salumu sagt, sie habe deswegen ihre bezahlte Arbeit für »Rien sans les Femmes« verloren und engagiere sich nun ehrenamtlich. Manchmal schickt Salumus Cousine Sandalen aus Tansania nach Goma, die Salumu auf Pump verkauft. »Aber jetzt bezahlen mir die Frauen keine einzige Rate zurück«, klagt sie. Sie müsste das Geld eintreiben, damit sie ihren Kindern wenigstens Zuckerwasser geben kann. Aber wegen der hohen Lebensmittelpreise habe niemand etwas übrig, seufzt sie.
Es sind aber nicht nur materielle Sorgen, die die Menschen plagen. Zola Kitandala ist Lehrer am Gymnasium in Goma. Er blickt besorgt beim Treffen in einem Café. »Wir haben alle Angst«, erzählt Kitandala. Die Schüler seien unkonzentriert. Wenn sie Klassenarbeiten schreiben, würden sie die Antworten schnell hinkritzeln, um möglich bald nach Hause zu kommen. Sie wollten bei ihren Eltern sein, falls die Miliz einmarschiere, wie 2012. Mehr als 20 000 Schüler auf dem Land hätten wegen der Kämpfe gar keinen Unterricht. »Es ist eine verlorene Generation«, klagt Kitandala.
Die alleinerziehende Mutter Salumu sorgt sich auch jeden Tag, wenn sie ihre Kinder zur Schule schickt. Sie steht um fünf Uhr auf, und kontrolliert, ob verdächtige Männer im Viertel herumschleichen. Sie hat Angst, dass ihre Kinder entführt werden könnten, was in Goma oft passiert. Wenn die Eltern das Lösegeld nicht bezahlen können, erschlagen die Kidnapper die Kinder und werfen die Leichen in den Kivusee.
Weil Salumu die Gewalt nicht hinnehmen will, hat sie sich in den Bus gesetzt, als die Regierung im Dezember mit einigen Rebellenführern in Kenias Hauptstadt Nairobi über Frieden verhandelte. Sie ist 24 Stunden lang gefahren und hat sich im Auftrag ihrer Frauengruppe Zutritt zum Hotel verschafft, wo die Männer geredet haben. Sie wollte sie bitten, endlich die Waffen zu strecken. Aber keiner hat zugehört, die M23 war erst gar nicht eingeladen. Salumu ist enttäuscht zurückgefahren und hat gebetet.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.