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Machtkampf zwischen Einzelhandel und Industrie
Lebensmittelriesen wie Edeka sortieren mutmaßlich überteuerte Produkte von Markenherstellern aus
Die vertraute Windelsorte fehlt im Supermarktregal bei Edeka in Hamburg-Eppendorf, auch der weltberühmte Schokoriegel ist unauffindbar. Und für den Frischkäse, den der Enkelsohn gerne isst, muss ein Konkurrenzprodukt gekauft werden. Solche Lücken im Sortiment dürften sich bundesweit in allen Läden von Edeka und Netto finden. Denn zwischen Einzelhandel und den Herstellern von Markenprodukten tobt ein Machtkampf. Edeka trägt den Streit nun öffentlich aus: Vorstandschef Markus Mosa wirft der Industrie »Gier« vor.
Das Hintergrundrauschen liefert die Inflation. Allein im April legten die Verbraucherpreise um 0,4 Prozent im Vergleich zum Vormonat zu. Die rasanten Preissteigerungen, die Deutschland seit Monaten fest im Griff halten, zeigen nun auch an der Supermarktkasse immer stärkere Wirkung. Am Dienstag meldete das Statistische Bundesamt: Der Lebensmitteleinzelhandel verbuchte den größten Umsatzrückgang seit 1994.
Mosa sieht die Industrie in der Pflicht. »Die Gier der internationalen Markenartikler lässt nicht nach.« Sie sollten die Inflation »nicht weiter künstlich in die Höhe treiben«. Auf steigende Lebensmittelpreise trotz sinkender Kerninflation wies auch Allianz Trade, weltweiter Marktführer im Kreditversicherungsgeschäft, kürzlich hin. Demzufolge trieben die Lebensmittelpreise die Inflation in Deutschland und Europa an. Sie machten in der Bundesrepublik mittlerweile sogar rund 40 Prozent der Teuerung aus, während es im Vorjahr 20 Prozent waren. Ein Großteil der Kostensteigerungen könnten nicht durch die »historische Dynamik« erklärt werden, sondern durch »Profit-Hunger« der Hersteller. Besonders hoch sei das Profitstreben in Deutschland entwickelt, was die Allianz-Analysten auf unzureichenden Wettbewerb insbesondere unter den großen Herstellern verpackter Lebensmittel zurückführen.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) widerspricht den Vorwürfen. Rund 6000 Betriebe, die meisten davon kleine und mittelständische Firmen, stünden in Deutschland vier großen Handelskonzernen gegenüber. »Es ist anzuzweifeln, dass Unternehmen unter diesen Bedingungen über einen langen Zeitraum unverhältnismäßig und ungerechtfertigte hohe Profite generieren können.«
Bei der Vorstellung der Geschäftszahlen 2022 in Hamburg ging Edeka-Chef Mosa jüngst auf Konfrontationskurs: »Aktuell beliefern uns 17 Konzerne nicht, weil wir die Preise nicht akzeptieren.« Betroffen seien neben Mars, Procter & Gamble, Pepsi und Unilever auch Teilsortimente von Henkel und Schwartau. Bei vier weiteren Herstellern habe Edeka einen Bestellstopp verhängt, darunter beim US-amerikanischen Süßwarenspezialisten Mondelez. Im Moment gebe es bei einem Teil der Produkte noch Lagerbestände, die abgebaut würden, andere würden durch neue Hersteller ersetzt. Hierbei scheint es schwieriger zu werden, freie Produktionskapazitäten in der Industrie zu buchen. Einen Teil stellt Edeka in eigenen Betrieben her.
Andere Einzelhändler dürften von den Preiserhöhungen der Lieferanten ähnlich betroffen sein, machen sie aber nicht publik oder verfolgen eine kooperativere Strategie. Frühere Preiskämpfe hinterließen zudem den Eindruck, dass die Industrie eine differenzierte Strategie gegenüber den Handelskonzernen verfolgt. Im Fokus der Branche steht auch Nestle. Dessen verkaufte Mengen gingen zwar im ersten Quartal zurück, aber Umsatz und Gewinn stiegen, weil der weltgrößte Nahrungsmittelkonzern Preiserhöhungen um durchschnittlich 9,8 Prozent durchsetzen konnte. Für die Analysten der Bank Vontobel zeigt diese Entwicklung, dass die »Preissensitivität« der Kunden und die Bereitschaft, auf günstigere Alternativprodukte auszuweichen, bei populären Markenartikeln eher begrenzt sind.
Auf solche Meidbewegungen setzt allerdings Edeka. Der bundesweite Marktführer hat seine günstige Eigenmarke auf inzwischen 7000 Produkte ausgebaut. Insgesamt kann der Lebensmittelhändler mit bundesweit 11.077 Märkten und 408.900 Beschäftigten trotz des schwierigen wirtschaftlichen Umfeldes Wachstum verbuchen. Doch der Gewinn der Edeka-Zentrale in Hamburg und der sieben Regionalgesellschaften brach ein. Auch die rund 3500 Edeka-Kaufleute, die der Genossenschaft angehören, haben ein Minus gegenüber dem Vorjahr verbucht.
»In Zeiten einer hohen Inflation ist es unsere oberste Priorität, die privaten Haushalte zu entlasten«, so Mosa. »Daher haben wir trotz steigender Kosten in erheblichem Maß investiert, um die Verkaufspreise für Lebensmittel möglichst stabil zu halten – auch zulasten unserer eigenen Handelsmarge und unserer Ergebnisse.« Der Vorstandschef scheint optimistisch, dass Edeka, zu der auch die Discount-Tochter Netto gehört, den Preiskampf gewinnt. Die Gruppe steht für rund ein Drittel des deutschen Lebensmittelmarktes. Auf einen Zeitpunkt, wann die bekannten Marken wieder in den Regalen zu finden sein werden, wollte Mosa sich nicht festlegen. Allerdings rechne er eher mit Monaten als mit Wochen.
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