- Kommentare
- 1. Mai
1.-Mai-Demo in Berlin: Ritualisiertes Ohnmachtsgefühl
Wieder Spaliere, wieder Abfilmen, wieder Kessel: Die Revolutionäre 1.-Mai-Demo darf sich nicht mehr einhegen lassen
Ein rot beflaggter Frontblock, internationalistische Brigaden, ein standesgemäß vermummter schwarzer Block und dazwischen ein paar Tausend verirrte Party-Demonstrant*innen – auch in diesem Jahr wurde die Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration ihrem rituellen Charakter gerecht.
Revolutionär war daran allerdings kaum etwas. Enge Polizeibegleitung lotste den Protestzug von A nach B, derart eingehegt fühlte sich die Versammlungsfreiheit eher nach einer Versammlungsduldung an. Die Demonstrant*innen nahmen sich nicht die Straßen. Die Polizist*innen überließen ihnen widerwillig den Platz – bis zum Kottbusser Tor, wo sie die Teilnehmer*innen in eine Art Kessel mit lediglich zwei Nadelöhrausgängen drängten. Die Polizei nahm damit nicht nur eine Massenpanik in Kauf, sie ließ die Anwesenden auch deutlich spüren: Wir haben die Macht, nicht ihr.
Das staatlich legitimierte Dominanzgehabe brach nach der Demonstration nicht ab. Gerade am linkesten aller Feiertage vertrieben die Beamt*innen, zum Teil gewaltvoll, feiernde Menschengruppen aus der Oranienstraße und Umgebung – angeblich zum Schutz vor Autoverkehr. Doch Videos auf Twitter sprechen eine andere Sprache.
Was bleibt, ist ein Gefühl der Ohnmacht anstatt der Selbstermächtigung. Dabei könnte die 1.-Mai-Demo eine alljährliche Gelegenheit dazu bieten, die vereinte Stärke der Berliner linken Szene zu spüren und ganz im Sinne des Frühlingsanfangs Kraft zu sammeln. Gerade in diesem Jahr hätte sich zudem eine Kampfansage an Schwarz-Rot angeboten.
Mit rund 20 000 Menschen lag es nicht an zu geringer Mobilisierung. Die Veranstalter*innen sollten sich vielmehr fragen, wie sich die Einhegungsstrategie der Polizei durchbrechen lässt. Eine Route durch einen schickeren Kiez mit weniger Partyvolk, ein Sternlauf mit gemeinsamen Endpunkt und Stationen, die nicht so einfach abzuriegeln sind wie der Kotti: Das wären nur ein paar Ideen, um im nächsten Jahr nicht wieder ohnmächtig im Kessel zu landen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.