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EU-Grenzen: Schneller abschieben
Innenministerin Faeser will die europaweite Asylpolitik verschärfen, Kritik kommt von Grünen und Linken
Die Zeichen stehen auf Abschottung. Am Donnerstag sprach sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im »Handelsblatt« für eine verschärfte Asylpolitik aus. Es werde in Brüssel über Verfahren verhandelt, die noch an der Grenze und nicht erst innerhalb der EU zu raschen Entscheidungen in wenig aussichtsreichen Asylverfahren führen sollen, sagt Faeser: »Dann können abgelehnte Asylbewerber schnell bereits von den EU-Außengrenzen aus zurückgeführt werden.« Am vergangenen Wochenende hatte sie verkündet, die Ampel habe sich darauf geeinigt, diesem Prinzip zuzustimmen.
FDP-Chef Christian Lindner sagte in einer Talkrunde von RTL/N-TV am Donnerstag: »Ich glaube, dass, um Kontrolle herzustellen, auch der physische Schutz der Außengrenze in Betracht gezogen werden muss« – etwa durch einen Grenzzaun. Auch Faeser hatte bereits im März gesagt, dass zur europäischen Asylpolitik »zu einem Teil« auch »hohe Zäune und Mauern« an den Außengrenzen gehörten.
Bei den Verhandlungen in Brüssel geht es um das »Gemeinsame Asylsystem« der EU, ein seit 2014 diskutiertes Gesetzespaket, für das die Kommission 2020 konkrete neue Vorschläge gemacht hatte. Eine der wichtigsten Neuregelungen sind die Asylverfahren an den Außengrenzen. Die Idee dazu stammt von Faesers Amtsvorgänger Horst Seehofer (CSU). Der Kerngedanke: Wer die Außengrenzen erreicht, kommt dort zunächst in Lager, um per Vorprüfung zu klären, ob überhaupt Zugang zu einem regulären Asylverfahren gewährt wird. Bis dahin gelten die Ankommenden als offiziell »nicht eingereist«. Nur wer aus Ländern mit einem EU-weiten Anteil an positiven Asylentscheidungen von über 20 Prozent stammt und nicht über einen »sicheren Drittstaat« einreist, darf für das reguläre Asylverfahren in die EU.
Im November 2019 hatte das damals von Seehofer geleitete Bundesinnenministerium den anderen EU-Staaten ein Papier vorgelegt. Es trug den neutralen Titel »Food for thought«, also »Denkanstoß«, und sollte die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ab 2020 vorbereiten. Seehofer wollte damit das dysfunktionale Asylsystem auf neue Füße zu stellen. »Offensichtlich unbegründete oder unzulässige Anträge müssen an den Außengrenzen sofort zurückgewiesen werden, und dem Antragsteller darf die Einreise in die EU nicht gestattet werden«, steht in dem Papier. »Wir sollten insbesondere prüfen, ob Personen aus sicheren Drittstaaten die Einreise verweigert werden sollte.« Mit »sicheren Drittstaaten« sind Transitstaaten wie die Türkei, Tunesien oder Marokko gemeint.
Die deutsche Ratspräsidentschaft endete im Juni 2020 – ohne Einigung in Sachen Asyl. Zu konträr blieben die Vorstellungen. Ein Knackpunkt: Länder wie Griechenland und Italien drängen seit Langem auf einen Verteilmechanismus. Staaten wie Deutschland und Frankreich sind damit im Prinzip einverstanden, andere, wie Ungarn oder Polen, strikt dagegen.
Sieben Gesetzesvorhaben im Asyl- und Migrationsbereich hat die Kommission seit der Präsentation des Pakts vorgelegt, darunter die sogenannte Screening-Verordnung. Die wurde bereits im Juni 2022 angenommen und schafft die Grundlage für das, was Faeser nun umsetzen will: ein verbindliches Registrierungsverfahren an den Außengrenzen, inklusive »Prüfung der Schutzbedürftigkeit« – in wenigen Tagen.
Der Grünen-Parteivorsitzende Omid Nouripur sagte, Voraussetzung für die Zustimmung der Grünen zu Faesers Vorstoß seien »unter anderem verbindliche Verteilungsmechanismen für Flüchtlinge in der EU«. Doch ein solcher Verteilmechanismus liegt gar nicht auf dem Verhandlungstisch.
Entlastung für die Staaten am Rand der EU soll nach dem Willen der Kommission ein »Solidaritätspool« bringen, über den andere EU-Mitglieder entweder freiwillig Aufnahmeplätze oder ersatzweise Geld- oder Sachleistungen bereitstellen können. Es handelt sich um die Verstetigung eines im Juni 2022 eingeführten Pilotprojekts. Bisher haben sich dafür 13 EU-Staaten gemeldet. Über den Mechanismus sollen zunächst bis Mitte dieses Jahres 12 000 Menschen aus Italien und Zypern umverteilt werden. Die Umsetzung ist schleppend – Deutschland etwa hat bisher nur rund 20 Prozent der zugesagten Zahl an Menschen aufgenommen.
Auch die Grenzverfahren an den Außengrenzen werden als Pilotprojekt bereits getestet. Die EU hat auf den Inseln Samos, Kos und Leros »Multi-Purpose Reception and Identification Centres« errichtet. Vom Screening bis zur Abschiebung ist hier alles an einem Ort. Weitere solcher Lager sollen folgen und die 2015 geschaffenen »Hotspots« ersetzen. Wer aus Syrien, Afghanistan, Somalia, Pakistan oder Bangladesch stammt und über die Türkei eingereist ist, wird schon heute in der Regel nicht mehr zum normalen Asylverfahren zugelassen.
Die Bundesregierung würde »sehr wesentliche Grundsätze« aufgeben, wenn sie den Kommissionsvorschlägen zustimmt, sagt der grüne EU-Abgeordnete Erik Marquardt. Er fürchtet »Massenhaftlager, Chaos an den Außengrenzen und die Ausweitung der Liste sicherer Drittstaaten«. Und wer über einen solchen komme, dessen Antrag soll per Vorprüfungen als unzulässig abgelehnt werden. »Die Menschen hätten dann keinen Zugang mehr zu rechtsstaatlichen Verfahren«, warnt Marquardt.
Auch die Linkspartei kritisiert Faesers Pläne, weil das Recht auf Asyl so ausgehöhlt würde. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, alle nach 2014 angekommenen Asylbewerber sollten pauschal anerkannt werden, wenn sie mindestens drei Jahre ohne Beanstandungen in Deutschland gelebt haben. So könne das deutsche Asylsystem entlastet werden. »Dann könnten wir uns die ganze Bürokratie und die Abschiebedebatten sparen. Dann müssten wir auch keine Arbeitskräfte mehr anwerben«, sagte Ramelow. Parteichefin Janine Wissler kritisierte: »Statt die unsäglichen Bedingungen in den Auffanglagern endlich zu beenden, verschiebt man die Verantwortung auf Drittländer.« Wissler sieht die Grünen in der Pflicht, gegen die Pläne vorzugehen. »Statt Vorschläge der Bundesinnenministerin durchzuwinken, erwarte ich von den Grünen deutlichen Widerspruch, um dem Versprechen einer menschenrechtsbasierten Flüchtlingspolitik gerecht zu werden.«
Am kommenden Mittwoch ist ein Bund-Länder-Treffen im Kanzleramt geplant, bei dem es vor allem um die Finanzierung der Flüchtlingskosten gehen soll. Am 8. Juni soll bei einem Treffen der EU-Innenminister dem Rat ein Mandat für die Verhandlungen mit Kommission und Parlament erteilt werden. Das EU-Parlament ist gegen die Schnellverfahren. Die Verhandlungen sollen vor der EU-Wahl im Februar 2024 abgeschlossen sein.
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