Emanzipation und Eleganz

Stolz und selbstbewusst sind die Frauen auf den Fotos von Roger Melis

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.
In den frühen 70er Jahren war das Hütetragen für manche Frauen eine Art von Punk.
In den frühen 70er Jahren war das Hütetragen für manche Frauen eine Art von Punk.

Die Frau mit Hut – dieses Foto ist 1974 in der Hauptstadt der DDR entstanden. Bis heute ist es mir aus der Zeitschrift »Sibylle« in Erinnerung. Dass der Fotograf Roger Melis (1940–2009) hieß, habe ich damals wohl nur flüchtig registriert. Und den Namen der jungen Frau – Barbara Weidt – weiß ich erst jetzt. Was mich an ihr fesselte: Wie selbstverständlich lässig sie Hut trug. Auch ich ging damals gern mit Hut ins »ND«, was wohl meine Art Punk gewesen ist.

Ich hätte nicht Sibylle heißen mögen, doch diese »Zeitschrift für Mode und Kultur« prägte mein Selbstbild – wer ich war und wer ich sein wollte. Jedenfalls keine »perfekte Hausfrau«, wie man damals sagte. Eine, die ihren Lebenssinn in einer geputzten Wohnung sieht. Und auch keine »Emanze«, der ein Mann nicht in den Mantel zu helfen wagt. (Seltsame Benimmregeln – bei meiner ersten Westreise wurden sie mir von DKP-Genossen erklärt.) Ich wollte auch nicht jede Saison einem neuen Modetrend hinterherjagen. Kleidung sollte gut und zeitlos sein. »Nachhaltig« würde man heute sagen.

Den Band »Roger Melis: Modefotografie 1967–1990« möchte man sich immer wieder anschauen. Für die einen werden Erinnerungen lebendig. Andere entdecken unbekannte Seiten der DDR. Ob dieses Land trist und grau gewesen ist, liegt im Auge des Betrachters. Zwar entstehen Modefotos in einer besonderen Atmosphäre, doch die Aufnahmen von Roger Melis haben nichts Artifizielles, Exzentrisches, Aufgesetztes. Oft wirken sie wie normale Straßenszenen.

Da ist das Bild »mit Hut« fast schon auserlesen. 1967 rennt Gisela Wendler in weißem Kleid an einem verfallenen Haus in Stralsund vorbei. 1972 stehen Monika Leske und Jutta Köhler gar nicht besonders fein gemacht vor einer Industrielandschaft in Halle/Leipzig. Grit Kundler ist 1984 unbeschwert und ziemlich eilig im Berliner Lustgarten unterwegs, trägt zum frühlingshaften Outfit allerdings schwarze Handschuhe. Unpassend? Unangepasst, sagt das Bild.

Roger Melis war in den 60er Jahren durch seine Porträtfotografie zur Monatszeitschrift »Sibylle« gekommen, die trotz einer Auflage von 200 000 Exemplaren Bückware war. Wie er sich achtungsvoll auf jene einlässt, die er fotografiert, und wie diese auf ihn reagieren, macht einen Reiz seiner Bilder aus.

Supermodels sein zu wollen, liegt diesen Frauen fern. Viele »waren zunächst Studentinnen oder junge Berufstätige, die von den Fotografen oder Redakteuren auf der Straße oder in Cafés entdeckt wurden«, schreibt Mathias Bertram im Vorwort. Auch habe es anders als im Westen »in der ostdeutschen Modefotografie keine Konkurrenz der Bilder« gegeben. »Oft mussten die Aufnahmen nicht einmal bestimmte Modelle bewerben.« Viele Kollektionen wurden in der Redaktion selbst entworfen.

Keine Handelsware also, bestenfalls in den hochpreisigen Modeläden »Exquisit« zu haben. Nach den wenigen Schnittmustern im Heft ließ sich manches selber nähen. Aber nicht nur um Mode ging es, sondern vor allem darum, wie sie präsentiert wurde: Wie die Frauen stolz und selbstbewusst ihr Leben in Besitz nahmen, wie Emanzipation und Eleganz für sie zusammengehörten. Das meiste, das im Band zu sehen ist, wäre heute ebenso tragbar. Doch finde mal so was in dieser Qualität und Langlebigkeit, das auch noch erschwinglich ist.

Roger Melis: Modefotografie. Hrsg. v. Mathias Bertram und Ulrike Vogt. Lehmstedt, 224 S., 150 Abb., geb., 48 €.

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