Todesstrafe im Iran: Maschinerie der Gewalt

Während die Aufmerksamkeit für die Proteste im Iran abnimmt, steigt die Zahl der Hinrichtungen

  • Mina Khani
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Opposition im Exil baut Druck auf und gedenkt der Getöteten.
Die Opposition im Exil baut Druck auf und gedenkt der Getöteten.

Der iranische Staat hat in den letzten Wochen mehrere Menschen hingerichtet. Am vergangenen Samstag wurde der Oppositionspolitiker und schwedische Staatsbürger Habib Chab, der vor Jahren aus der Türkei entführt wurde, gehängt. Er gehörte der arabischen Minderheit im Iran an und hatte sich für die Rechte der Araber*innen im Iran eingesetzt. Viele Beobachter*innen sprechen von einer Hinrichtungswelle. Das Todesurteil gegen den Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd wegen »Verdorbenheit auf Erden« wurde bestätigt. Laut Amnesty International droht auch ihm unmittelbar die Hinrichtung. Er war im Juli 2020 von Angehörigen des iranischen Geheimdienstes in den Iran entführt worden.

»Das ist genau die Hinrichtungswelle, vor der wir Angst hatten. Sagt es den Menschen in Europa, sie retten unser Leben, wenn sie auf uns schauen«, sagte kürzlich eine Freundin, die vor kurzem erst aus dem Gefängnis freigelassen wurde. In den letzten Tagen hat der Staat im Iran mehrere Gefangene, darunter politische Gefangene hingerichtet. Yousef Mehrad und Sadrollah Fazeli Zareh sind zwei von den hingerichteten Gefangenen, die mit dem Vorwurf Blasphemie am früheren Morgen am 8. Mai hingerichtet wurden. Davor waren es Gefangene aus der Provinz Belutschistan. Gefangene, deren Namen vor der Hinrichtung kaum bekannt waren.

Nun, acht Monate nach dem Beginn der Freiheitsbewegung im Iran ist die politische Lage angespannt. Die Proteste auf den Straßen sind weniger geworden, nachdem mehr als 500 Menschen dabei ermordet wurden, darunter mehr als 50 Kinder und Jugendliche. 20 000 Menschen wurden bereits festgenommen.

Der Staat hatte schon im Dezember 2022 mit den Hinrichtungen angefangen. Der Rapper Mohsen Shekari war der erste Mann der Bewegung »Frau, Leben, Freiheit«, der hingerichtet wurde. Der ganze Prozess bis zu seiner Hinrichtung dauerte nur wenige Wochen. Seine Angehörigen haben vor kurzem bekannt gegeben, dass er »aufgefallen und festgenommen worden war, weil er einer Frau bei den Protesten helfen wollte, als die Repressionseinheiten sie angegriffen haben.« Er selbst sagte im Gefängnis zu anderen Gefangenen: »Nein, ich werde nicht hingerichtet, sie wollen mir nur Angst machen«. Die Familienangehörigen von Shekari hatten in der Hoffnung, dass der Staat ihn nicht hinrichten werde, wenn sie seinen Fall nicht in die Medien bringen, nicht die Öffentlichkeit gesucht. Diese erste Hinrichtung versetzte nicht nur der Familie einen Schock, sondern der ganzen Bewegung. Zwar gingen die Proteste weiter, allerdings auch die Hinrichtungen.

Die Strategie ist bekannt: Vor allem jungen Männern wurde schnell der Prozess gemacht, die Anklagen waren schwerwiegend. Die Hinrichtungen erfolgten ebenso schnell, dies setzte die Politik der Angst wieder auf die Tagesordnung. Als Menschen sich vor den Gefängnissen versammelten und viele Abgeordnete in Deutschland und anderen Ländern für die politischen Gefangenen in Gefahr symbolische Patenschaften übernahmen, verlangsamte sich die juristische Verfolgung zwischenzeitlich.

Doch seit Februar dieses Jahres ließen die Proteste weiter nach, in der Opposition in der Diaspora und im Iran begannen Streitigkeiten. Die Solidaritäts-Gruppe »Mahsa« begann auseinanderzubrechen. In ihr hatten sich so unterschiedliche Leute zusammengefunden wie Masih Alinejad, eine bekannte Journalistin in den USA, die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, Abdullah Mohtadi, der Vorsitzende der kurdischen Partei Kumala, Hamed Esmailion, der ehemalige Sprecher des Vereins der »PS 752«, der Angehörige des durch die Revolutionsgarden 2020 abgeschossenen Flugzeugs vertritt, die Menschenrechtlerin Nazanin Bonyadi und der Sohn des früheren Shahs, Reza Pahlavi. Ein breites Bündnis schien politische Vorteile zu haben, nun jedoch überwogen die Konflikte. Esmailion, Pahlavi und Bonyadi haben sich bereits aus dem Bündnis zurückgezogen. Sie haben aber schon angekündigt, dass sie sich in anderer Form weiter engagieren wollen.

Nun hat der Staat die Hinrichtungen wieder intensiviert. Zwischen der ersten Welle der Hinrichtungen und der zweiten Welle, die der Staat im Moment durchsetzt, wurden auch Mädchenschulen im Iran massiv mit Giftgas angegriffen, Beobachter*innen vermuten, dass das Regime dahintersteckt. Auch diese Angriffe sollen wohl die Bevölkerung einschüchtern.

Auch wenn die Opposition auf den Straßen nicht mehr so sichtbar ist, passiert weiterhin viel. Die Opposition organisiert sich im Iran und im Exil. Ein Teil der iranischen Diaspora baut Druck auf, um die Revolutionsgarden auf die Terrorliste der EU zu setzen. In Schweden ist dies gelungen, allerdings erst nach der Hinrichtung von Habib Chab. Vor einigen Wochen kamen mehrere Aktivist*innen und politische Oppositionelle zu einem Forum zusammen, um über die Zukunft des Irans zu sprechen. Einige der Beteiligten wurden seitdem festgenommen.

Der Protest ist aber auch zum Alltag geworden: Immer mehr Schauspieler*innen weigern sich, die Zwangsverschleierung zu tragen. Jeden Tag gibt es Bilder und Videos von den Frauen im Iran, die in der Öffentlichkeit mit offenem Haar unterwegs sind, von Männern, die kurze Hosen tragen. Immer noch gilt für viele Jugendliche und junge Menschen im Iran, dass es für sie kein Zurück in die islamistische Normalität geben wird.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.