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Mehr Geld fürs Gesundheitswesen von Besserverdienern?

SPD-Fraktionsvize Schmidt regt an, dass Beschäftigte mit hohem Gehalt mehr in die Krankenkasse zahlen. Wie Wissenschaftler den Vorschlag bewerten

  • Eva Roth
  • Lesedauer: 6 Min.
Mehr Besserverdienende sollen künftig den regulären Beitragssatz zur Krankenversicherung zahlen. Das hat SPD-Fraktionsvize Schmidt angeregt. Der Sozialforscher Bäcker nennt das eine gute Möglichkeit, um die Finanzierung des Gesundheitswesens zu stabilisieren.
Mehr Besserverdienende sollen künftig den regulären Beitragssatz zur Krankenversicherung zahlen. Das hat SPD-Fraktionsvize Schmidt angeregt. Der Sozialforscher Bäcker nennt das eine gute Möglichkeit, um die Finanzierung des Gesundheitswesens zu stabilisieren.

Den gesetzlichen Krankenkassen droht in diesem Jahr ein hohes Defizit. Seit Wochen wird darüber gestritten, woher zusätzliches Geld kommen soll, um Leistungskürzungen zu vermeiden. Die FDP sperrt sich gegen mehr Steuerzuschüsse, die im Koalitionsvertrag vereinbart sind. Die SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt hat nun diese Woche angeregt, über eine höhere Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung nachzudenken. Dies liefe darauf hinaus, »Besserverdienende stärker zu belasten«, schreiben »Handelsblatt« und »Spiegel«. Was heißt »stärker« konkret und wie schätzen Sozialforscher und ein Wirtschaftsweiser den Vorschlag ein?

Zurzeit beträgt der Krankenkassenbeitrag im Schnitt 16,2 Prozent des Bruttogehalts, inklusive des durchschnittlichen Zusatzbeitrags, der je nach Kasse unterschiedlich hoch ist. Die Hälfte dieser 16,2 Prozent geht vom Bruttolohn ab, die andere Hälfte zahlen die Unternehmen. Dieser Beitragssatz gilt für die meisten Beschäftigten – aber nicht für alle.

Wer mehr als 5000 Euro brutto verdient, zahlt anteilig weniger – oft deutlich weniger. Für Beschäftigte mit einem Monatseinkommen von 10 000 Euro, die freiwillig gesetzlich versichert sind, beträgt der Satz beispielsweise nur rund 8 statt 16 Prozent. Denn Krankenkassenbeiträge sind nur bis zu einem Gehalt von derzeit 4987,50 Euro fällig, für Einkommen über dieser sogenannten Beitragsbemessungsgrenze wird nichts an die Kassen abgeführt.

Besserverdienende können überdies zu einer privaten Krankenversicherung wechseln, wenn ihr Gehalt über der sogenannten Versicherungspflichtgrenze liegt, wenn sie also mehr als 5500 Euro im Monat verdienen. Menschen mit geringerem Lohn dürfen das nicht. Insofern werden Beschäftigte mit hohen Einkommen derzeit doppelt begünstigt.

SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt sagte nun dem »Handelsblatt«, sie finde es sinnvoll, über eine »deutliche Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze« in der gesetzlichen Krankenversicherung zu diskutieren. Es sei kein Geheimnis, dass die SPD eine Anhebung auf das Niveau der Rentenversicherung befürworte. Dies würde bedeuten, dass künftig auch Besserverdienende bis zu einem Bruttogehalt um die 7000 Euro den regulären Krankenversicherungsbeitrag zahlen müssen.

Ähnlich argumentiert die Grünen-Fraktionsvize Maria Klein-Schmeink. Sie verwies im »Handelsblatt« darauf, dass sich Finanzminister Christian Lindner gegen höhere Steuerzuschüsse für die Krankenkassen sperre. Hier geht es insbesondere um das Versprechen im Koalitionsvertrag, die Beiträge von Bürgergeld-Bezieher*innen zu erhöhen, und zwar mit Steuermitteln. Denn das Geld reicht derzeit bei weitem nicht. Wenn das nicht passiert, müssten andere Wege wie eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze erwogen werden, so die Grünen-Politikerin.

Der Sozialwissenschaftler Gerhard Bäcker von der Universität Duisburg-Essen hält den Vorschlag für eine gute Möglichkeit, um die Finanzierung des Gesundheitswesens zu stabilisieren. Zwingend notwendig sei dabei, gleichzeitig die Versicherungspflichtgrenze entsprechend anzuheben, sagte der Experte für Sozialpolitik dem »nd«. Damit sich jene Besserverdienenden, die jetzt freiwillig gesetzlich versichert sind, nicht dazu entscheiden, aufgrund der steigenden Beiträge doch noch in die private Krankenversicherung (PKV) zu wechseln.

Die PKV hätte dadurch weniger potenzielle Kunden – der Chef des PKV-Verbands, Thomas Brahm, lehnt die Idee denn auch ab. Bäcker erinnert indes daran, dass andere europäische Länder sich keine Doppelstrukturen mit gesetzlicher und privater Vollversicherung leisten. Das sei eine deutsche Spezialität.

Auch in Deutschland sind übrigens etliche Besserverdienende freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung, obwohl sie wechseln könnten: Im April waren es rund 3,2 Millionen Beschäftigte. Das rechnet sich laut Bäcker etwa für Personen, deren Familienangehörige in der gesetzlichen Kasse beitragsfrei mitversichert sind. In der PKV müssen hingegen Partner*innen und Kinder einen eigenen Vertrag abschließen.

Der Wirtschaftsweise Achim Truger betonte auf Anfrage, dass die Finanzierungsfrage der Krankenkassen jetzt geklärt werden müsse. »Überstürzte Leistungskürzungen wären die schlechteste Lösung, insofern bleiben kurzfristig nur Einnahmeerhöhungen«, sagte er dem »nd«. Der im Koalitionsvertrag vorgesehene höhere Steuerzuschuss für Bürgergeld-Bezieher*innen sei »sehr sinnvoll«. »Es ist mir unverständlich, dass diese Lösung innerhalb der Ampel mit Hinweis auf die knappe Kasse des Bundes blockiert wird, denn die schlechte Finanzlage im Haushalt hat sich die Koalition mit der frühzeitigen Rückkehr zur Schuldenbremse im laufenden Jahr und dem großzügigen Abbau der kalten Progression selbst eingebrockt«, so Truger.

Wenn sich daran nichts ändere, »bleibt gar nichts anderes übrig, als die Beitragsbemessungsgrenze zu erhöhen, wenn man die Beitragssätze nicht allgemein anheben möchte.« Der Vorschlag hätte laut Truger durchaus positive Effekte: Die Zahl der gesetzlich Versicherten würde steigen und das System stabilisiert.

Der Gesundheitsökonom Heinz Rothgang blättert die Möglichkeiten auf, die die Politik hat, um mehr Mittel zu beschaffen: Man könne über höhere Steuerzuschüsse reden oder die allgemeinen Beitragssätze anheben. Letzteres würde alle treffen, auch Einkommensschwache. Eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze würde hingegen nur Einkommensstärkere treffen, so der Professor an der Universität Bremen.

Das Solidarprinzip sei ein normativer Grundsatz in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Das heißt konkret: Wer ökonomisch leistungsfähiger ist, zahlt mehr. Bei höheren Arbeitseinkommen sind höhere Beiträge fällig. »Die Beitragsbemessungsgrenze durchbricht dieses System.« Insofern könnte man sogar eine komplette Abschaffung fordern, so Rothgang, was er nicht tue, weil man dann fragen könne, ob die Versicherungsbeiträge noch in einem angemessenen Verhältnis zu den Leistungen stehen. »Eine Anhebung halte ich aber auch rechtlich für unproblematisch«, sagte Rothgang dem »nd«.

Die FDP sperrt sich gegen den Vorschlag: Mehr Geld würde »zu einem noch weiter aufgeblähten System führen«, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der FDP, Andrew Ullmann dem »Handelsblatt«. Auch die Arbeitgebervereinigung BDA spricht von einem Ausgabenproblem. Die Arbeitgeber kritisieren schon lange die Höhe der Sozialbeiträge, das sind für sie Kosten. Und bei einer Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze müssten nicht nur Besserverdienende, sondern auch Unternehmen den höheren, regulären Beitragssatz zahlen.

Kurzfristige und deutliche Einsparungen der Krankenkassen hält Rothgang indes für unrealistisch. Zwar gebe es immer »Ineffizienzen im Gesundheitsbereich«. Als wichtiges Beispiel nennt er die unzureichende Verzahnung von Leistungen wie Vorsorge, ambulante und stationäre Behandlung und Reha. »Doch das wird seit Jahrzehnten beklagt und wird sich bestenfalls langfristig ändern.«

Die AOK bemängelt, dass eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze »wieder nur auf eine alleinige Belastung der Beitragszahlenden« hinauslaufe. Wenn es das Ziel sei, die notwendigen Finanzmittel auf breitere Schultern zu verteilen, seien mehr Steuermittel geeigneter, so die Vorsitzende des AOK-Bundesverbands, Carola Reimann. Doch letztlich sei die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze eine politische Grundsatzentscheidung, die von der Ampelkoalition zu treffen sei. Zwingend wäre dann, betonen Reimann wie Bäcker, dass auch die Versicherungspflichtgrenze angehoben wird.

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