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Griechenland: Keine Regierungsmehrheit für niemand
In Griechenland wird vor der Wahl schon über eine Neuwahl im Juli spekuliert
Nicht gerade mit Spannung, wohl aber mit einem bitteren »Vorgeschmack« wird in Griechenland die Parlamentswahl am 21. Mai erwartet. Seit 2019 regiert im Parlament von Athen die rechtskonservative Nea Dimokratia (ND) unter dem Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis. Eigentlich hatte Mitsotakis vor, die Wahlen Anfang April stattfinden zu lassen, dann verlegte er den Termin aufgrund der schlechten Stimmung im Lande nach dem Zugunglück von Tempi. Am 28. Februar waren auf der Strecke zwischen Athen und Thessaloniki, in der Nähe von Tempi 57 Menschen ums Leben gekommen, als ein Reisezug frontal mit einem Güterzug zusammenstieß. Was aus externer Perspektive als tragischer Unfall verstanden werden konnte, wurde in Griechenland sofort als Symbol und Resultat des nicht funktionierenden, ungerechten Systems gedeutet.
Kyriakos Mitsotakis fürchtet nicht erst seit Tempi um seine Mehrheit im Parlament: Bei dieser Wahl kommt eine Wahlrechtsreform zum Tragen, die die linke Syriza-Regierung (2015-2019) unter Alexis Tsipras verabschiedet hatte. Mit dem einfachen Verhältniswahlrecht entfällt der Bonus von bis zu 50 Sitzen (von insgesamt 300 in der griechischen Vouli) für die stärkste Kraft, mit dem sich jahrzehntelang die etablierten Parteien ihre Regierungsmehrheit sicherten. Für eine absolute Mehrheit, wie sie Mitsotakis anstrebt, sind 47 Prozent der Stimmen nötig. Bei der vergangenen Wahl 2019 kam die ND auf 39,8 Prozent und Syriza auf 31,53 Prozent. Vermutlich wird bei der Verteilung der 300 Parlamentssitze nach dem noch geltenden Verhältniswahlrecht keine Partei eine regierungsfähige Mehrheit erreichen. Schon im Januar 2020 änderte die ND deshalb das Wahlgesetz nochmal, den zweiten Wahlgang betreffend: Der Bonus des Wahlsiegers, durch den er anteilsmäßig bis zu 50 zusätzliche Sitze erhält, wurde für die zweite Runde wieder eingeführt. Die ND-Regierung thematisiert ständig den zweiten Wahltermin, auch wenn er nicht offiziell ist: Griech*innen sollen sich schonmal das erste Juliwochenende freihalten.
Für eine Mehrheit sind in einem zweiten Wahlgang rund 38 Prozent der Stimmen nötig. Machbar für die ND – meint Kyriakos Mitsotakis selbst, meinen einige Prognosen, meinen auch internationale Expert*innen. Dabei ist es mit den Umfragen (in Griechenland) so eine Sache: Einerseits können sie mit ihrer Präsenz die öffentliche Meinung beeinflussen, andererseits ist das Misstrauen Umfragen gegenüber groß. Vor dem sogenannten »Oxi-Referendum« 2015 sagten die Prognosen beispielsweise einen völlig anderen Ausgang voraus.
Zur Erinnerung: 2010 unterwarf sich Griechenland wegen der Schuldenkrise einem Strukturanpassungsprogramm, um neue Kredite zu bekommen. Wie Irland und Portugal erhielt das Land von einer internationalen Gläubiger-Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und EU-Kommission Kredite. Dafür wurden dem Land harte Sparmaßnahmen aufgezwungen, wie Renten- und Gehaltskürzungen. Auch die Privatisierung von Staatseigentum wurde auferlegt. Die Maßnahmen verschlimmerten die soziale Krise und brachten einen massiven Anstieg der Armut.
2015 war es der linken Syriza in einem historischen Wahlsieg gelungen, das griechische Zweiparteiensystem aufzubrechen. Denn die Regierung wurde seit den 1980ern abwechselnd von zwei Parteien gestellt: ND und die sozialdemokratische Pasok. Syriza trat mit dem Versprechen an, sich vom Troika-»Sparprogramm« zu lösen. Das Versprechen wurde zwar eingelöst, doch die Probleme blieben. Im Jahr 2018 betrug die Staatsverschuldung rund 349,9 Milliarden Euro, die bis 2022 weiter auf 372 Milliarden Euro anstiegen.
Für die Syriza-Regierung war die Abhängigkeit von der Troika relevant, da die Austeritätsmaßnahmen mit der Ausrichung der linken Partei kollidierten. Für einige linke Kritiker*innen bestätigte sich ihre Analyse im Nachhinein, dass diese Partei alles mittragen würde. Das dritte Kreditprogramm endete August 2018. Damit zeigten Investoren wieder Vertrauen in die Bonität des hochverschuldeten Landes, sodass sich Griechenland wieder selbst am Kapitalmarkt finanzieren kann. Dennoch kam diese Botschaft medial und wirtschaftlich erst der aktuellen Regierung zu Gute.
In seiner Amtszeit seit 2019 konnte sich Kyriakos Mitsotakis als »Macher« in Szene setzen. In der Corona-Pandemie wurden staatliche Krankenhäuser zu Covid-Krankenhäusern. Allerdings blieben Privatkliniken außen vor. Sie konnten dringende, lukrative Operationen durchführen. Weil alles zentral über Athen geregelt wird, konnten die Impfungen effektiv gemanagt werden. Dabei half die fortgeschrittene Digitalisierung im Land. So hatte die Regierung einen Vertrag mit der umstrittenen US-Firma Palantir Technologies abgeschlossen, um im Falle einer Pandemie sensible Daten über die Bürger*innen zur sozialen Überwachung zu sammeln.
Auch wenn die Bevölkerung vielfach enttäuscht erscheint, stellen die Alternativen auf dem Wahlzettel keine ernsthafte Bedrohung für die ND dar. Andererseits sind die starren Parteipräferenzen seit der Schuldenkrise immer mehr in Bewegung geraten. Angehörige der Opfer von Tempi verklagen nun auch Mitsotakis persönlich. Das sorgt für Schlagzeilen in den Medien und bringt den Unmut von Griech*innen zum Ausdruck. Das und die Unberechenbarkeit der Umfragen könnten am Sonntag für Überraschungen sorgen.
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