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Hertha BSC hat nach dem Abstieg den Abgrund vor Augen
Den Kampf um den Klassenerhalt haben die Berliner verloren. Ob sie kommende Saison in der zweiten Liga spielen dürfen, ist längst nicht klar
Mit sorgenvollem Blick stand Thomas E. Herrich schon vor dem Anpfiff auf der Haupttribüne des Berliner Olympiastadions. Das frühsommerliche Westend war am Sonnabend hingegen voller Hoffnung, rund 60 000 Fans wollten Hertha BSC im Abstiegskampf unterstützen. Thomas Letsch sprach später von einer »fantastischen Atmosphäre«. Der Trainer des VfL Bochum war zum ersten Mal in der Hauptstadt-Arena – und verließ sie als Sieger. So jedenfalls feierte sein Team das 1:1 mit mehr als 10 000 mitgereisten Bochumer Anhängern, die nun auch am letzten Spieltag noch vom Klassenerhalt träumen können. Weil die Berliner dafür drei Punkte gebraucht hätten, sind sie aus der Bundesliga abgestiegen. Herrichs Sorgen als Herthas Mann für Finanzen könnten größer kaum sein.
Die Stille nach dem Kopfball: Es war ein Moment, der so intensiv wohl nur im Sport zu erleben ist. Als der Ball in der vierten Minute der Nachspielzeit vom Kopf des Bochumers Keven Schlotterbeck den Weg ins Berliner Tor fand, verstummte schlagartig ein ganzes Stadion. Die erdrückend stille Ohnmacht war für kurze Zeit lauter als der Bochumer Jubel.
»Ihr habt das nicht verdient«, rief der Stadionsprecher kurz danach und bedankte sich bei den Berliner Fans für ihre »unglaubliche Unterstützung« in der gesamten Saison. Thomas Letsch war nicht ohne Grund beeindruckt – lautstark, bedingungslos und ob der Situation intensiver als sonst wurden Herthas Fußballer angefeuert. Nach dem Führungstreffer von Lucas Tousart in der 63. Minute hielt es für den Rest des Spiels kaum noch jemand auf den Sitzen. Und nur auf den ersten Blick erstaunlich ist der neue Vereinsrekord von durchschnittlich 53 600 Zuschauern in dieser Saison. Die Fans haben sich nach den vielen Umbrüchen, angefangen im letzten Sommer mit dem neuen Präsidenten Kay Bernstein und zuletzt mit der erneuten Verpflichtung von Trainer Pal Dardai, wieder mit ihrer Hertha versöhnt. Auch deshalb blieb es nach dem Schock des Gegentores wohl weitgehend ruhig. Als in der Ostkurve vereinzelte Böller knallten, wurden kurz Erinnerungen an frühere Eskalationen wach.
Wer hat einen Abstieg verdient? Sportlich gesehen eine Mannschaft, die nach 33 Spieltagen mit 26 Punkten am Tabellenende steht. Schuldige nannte Dardai nicht, als er nach der Partie sagte: »Hertha BSC ist nicht heute abgestiegen.« Wovon er sprach, wusste jeder. Seine Kritik an der Vereinsführung in den vergangenen Jahren mit Präsident Werner Gegenbauer sowie den Managern Michael Preetz und Fredi Bobic ist kein Geheimnis.
Die neue Stimmung bei Hertha BSC war auch auf der Mitgliederversammlung vor einer Woche zu erleben. Klar, Ikone Dardai wurde gefeiert. Andreas Neuendorf, neuerdings Leiter der Lizenzspielerabteilung, bekam Applaus, nachdem er öffentlich den Profis die Tauglichkeit abgesprochen und damit die Kaderzusammenstellung der letzten fünf Transferphasen hart kritisiert hatte. Kay Bernstein, der Präsident aus der Fankurve, nannte noch einen Namen der Krise. Für die prekäre Lage sei der ehemalige Finanzchef Ingo Schiller verantwortlich. »Es wurden 250 Millionen Euro verbrannt, die sind weg. Ein Irrsinn, der nie wieder passieren darf.«
Das Wort »Arbeit« betonte Dardai, als er am Sonnabend vorausblickte. »Wenn man arbeitet, dann wird es eine schöne Zukunft sein«, sagte er. Die Identifikationsfigur wird sie mitgestalten, ob weiterhin als Trainer der Profis oder als Verantwortlicher im Nachwuchsbereich, entscheide sich nach einer »gemeinsamen Analyse«. Faktisch heißt die Zukunft nach dem insgesamt siebten Abstieg zweite Liga. Es gibt aber auch Stimmen im Verein, die ob der finanziellen Schieflage daran zweifeln.
Geschäftsführer Thomas E. Herrich ist dafür verantwortlich, die Zweifel aus der Welt zu schaffen. Keine einfache Sache, denn er muss nicht Mitglieder oder Mitarbeiter, sondern die Deutsche Fußball-Liga überzeugen. Bis zum 7. Juni hat Hertha BSC Zeit, die Auflagen der DFL erfüllen – um überhaupt eine Lizenz für die kommende Saison zu erhalten. Auf der Mitgliederversammlung berichtete Herrich wenig überzeugend über den Stand der Dinge mit dem neuen Investor 777 Partners: »Wir sagen klar: Dieses Agreement ist 50+1-konform. Die DFL sieht es nicht ganz so.« Doch Entscheidungen darüber treffen zum Glück nicht die Vereine.
In erster Linie geht es also um den Vertrag mit dem neuen Investor. Ohne diesen, der 100 Millionen Euro in die Vereinskasse spült, hätte es keine Lizenz gegeben, so heißt es. Das kann dazu geführt haben, dass sich der Verein aus Verzweiflung verkauft hat. Denn die DFL bewertet den Einfluss des Geldgebers mit 78,8 Prozent der Anteile an der Hertha BSC GmbH & Co KGaA als unrechtmäßig. Vor diesem Hintergrund irritiert es um so mehr, dass Herrich den Einstieg von 777 nicht als alternativlos bezeichnete – »weil es andere Interessenten gab und andere Formen der Finanzierung gegeben hätte«.
Und es gibt weitere Gründe für die Angst nach dem Abstieg noch tiefer zu fallen. Liquide ist Hertha BSC nicht, diese 100 Millionen Euro würden laut Herrich gerade mal dafür reichen, um Verbindlichkeiten und Schulden zu begleichen. Und zu alldem muss der Verein auch noch eine finanzielle Lücke von 60 Millionen Euro schließen. Der nächste Schock könnte noch sehr viel gewaltiger sein, als der nach dem späten Gegentreffer am Sonnabend.
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