- Kultur
- Militärreklame
Bundeswehr: #EchteMänner?
Was wirklich zählt? Erwiderung auf einen Brief der Bundeswehr
Liebe Bundeswehr!
Heute bekam ich Post von Dir. Genauer: meine Söhne. Da es sich 1. optisch um Werbung handelte und 2. in Großbuchstaben darauf stand: »Du kannst mich auch schon Deinen Eltern vorstellen«, fühlte ich mich eingeladen zu lesen. Ich bin erschüttert. Obwohl und weil Du den privaten Weg genutzt hast, antworte ich Dir öffentlich: So nicht.
In fairer Textanalyse: Es ist Werbematerial. Im Jugendton (cringe!) verfasste Einladungen zu einem Meeting. Game-like kann man sich durch Infos switchen, QR-Code scannen usw. Adressiert war locker flockig: »Hi Vorname Vorname« – so, als kennte man sich schon. Man kennt sich aber nicht, und die Nutzung der dem Amt bei Geburt vorgelegten Namen ließ das auch merken. Keiner, der sie kennt, nennt sie so. Man fragt sich, wieso das Amt die Namen, wer die (automatisch?) weitergeleitet hat? Meinen Söhnen wurde ein Informationsgespräch angeboten – zu Jobs bei der Bundeswehr. So weit, so informativ. Was aber umrahmt die Message? Die Aussicht: »echte Soldaten« zu treffen und der Hashtag #waswirklichzählt.
Was gerade wirklich zählt? Frieden! Humanitäre Projekte! Was für die Bundeswehr zählt, wird nicht gesagt. Durch Zusammenstellung, Tonfall und Auslassungen aber ergibt sich etwas, das ich im positivsten Fall als Werbung für ein Staatsunternehmen, dem Nachwuchs fehlt, im schlechtesten Fall als Propaganda deuten kann. Sagt man nämlich jemandem, der sich orientieren will: Das hier zählt wirklich, wertet man andere Optionen als nicht wirklich wichtig ab. Wie zum Beispiel die sozialen Engagements.
Dies ist nicht persönlich, auch wenn eine Grenze überschritten wurde. Wenn ich Sorge hätte, dass meine Söhne nach unserer Erziehung und drei Jahren Corona den Eindruck bekommen, dass Militär gesellschaftlich wichtiger sei als zum Beispiel Pflegedienste oder Demokratie, hätte ich etwas falsch gemacht. Aber ich möchte nicht, dass irgendjemandes Söhne – ja, in dem Land, das ich liebe – diesen Eindruck bekommen und dass von staatlicher Stelle der Diskurs so gelenkt wird, dass eine Normalität der Gewalt einzieht, die nicht zu haben ich mein Leben lang froh und stolz war. Der Krieg in der Ukraine ist eine Tragik (und unser Fehler, für den nicht die nächste Generation zahlen sollte). Aber ihn nicht zu erwähnen und stattdessen mit »echten« Soldaten zu werben, ist freundlich gesagt: beschönigend.
Was bitte sind »echte Soldaten«? Wenn es die jetzigen sind, die sehenden Auges und verantwortungsvoll die Lage einschätzen, wieso wird dann – bei aktiver deutscher Beteiligung – Krieg nicht thematisiert? Kommt für das Gespräch mit »echten Soldaten« auch einer gerade vom Schlachtfeld, blutet ein bisschen?
Ich habe mit echten Soldat*innen gesprochen. Ich hatte die Aufgabe und Ehre, sie zu unterrichten (zufällig kurz nach Ausbruch des Krieges) und war bewegt, wie sich einige äußerten, dass sie im Zweifelsfall selbstverständlich ihr Leben geben würden. Sie wurden sich der Möglichkeit bewusst, und sie waren nicht deswegen zum Militär gegangen. Und ich habe echte Hochachtung vor den Soldat*innen, die Coronazentren oder Flutopfern halfen. Um ihre Arbeit geht es hier nicht.
Es geht um den schleichenden Wiedereinzug einer Normalität, die keine ist. Und um die Art der Ansprache. »Du kannst mich auch schon Deinen Eltern vorstellen.« Man geht sicher davon aus, dass dies irgendwann passiert? Ein Leben ohne Bundeswehr ist nicht mehr denkbar? Wird deswegen geduzt? Als Vorwegnahme einer unausweichlichen Kameradschaft? Die Parteienbriefe, die auch schon kamen, waren da respektvoller.
Mit Irritation hat man anscheinend gerechnet. Im Kleingedruckten der Hinweis, dass ich einem bestehenden Gesetz, § … nicht bei Geburt widersprochen habe. Oh Mann! Oh Weib! Dass Du im Glücksgefühl nicht zuerst daran dachtest, dass 16 Jahre später das Militär Deine Söhne haben will – selber schuld! Ich hätte das Laken des Krankenhausbettes aus dem Fenster gehängt, ich habe es nicht geahnt!
Derzeit wird im Bundestag der Entwurf zum neuen Selbstbestimmungsgesetz diskutiert, mit dem Genderidentität von jedem Menschen selbst bestimmbar wird. Diese Selbstbestimmung hat aber an entscheidender Stelle ein Ende: Männer, die sich kurz vor einem Krieg als trans melden, sollen trotzdem gezogen werden können. Das heißt für den unwahrscheinlichen Fall, dass jemand auf diese Art in einem Land, das keine Wehrpflicht mehr hat, diesen Ausweg suchte, der nicht diskriminierungsfrei ist – soll gesichert sein, dass … Ja, was? #echtemänner? Was wirklich zählt, hängt unter dem Gürtel und lässt sich im Zweifel auf Kommando erschießen? Nein, liebe Bundeswehr. Nie wieder!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.