AfD in Ostdeutschland: Alles für deutsche Leistungsträger

Warum der AfD in Ostdeutschland so viel Sympathie entgegengebracht wird

  • Jana Frielinghaus, Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 6 Min.

Am Abend des 16. Mai 2023 in Seelow: Brandenburgs AfD-Landesgruppe hat zu einem Bürgerdialog mit prominenten Gästen ins Kulturhaus der kleinen Kreisstadt geladen. Der kleine Saal im Obergeschoss ist voll, er fasst gut 120 Personen, die Stimmung ist gelöst. Nur auf dem Weg zur Veranstaltung mussten die Gäste an einer Protestkundgebung mit etwa 50 Teilnehmenden vorbei.

Die Demo ist Grund genug für den Eberswalder Bundestagsabgeordneten René Springer, den Mut der Freunde seiner Partei zu loben, »den Linken getrotzt« und sich an ihnen vorbei getraut zu haben, während draußen »staatlich geförderte« Gruppen »Hass und Hetze« gegen die AfD verbreite. Obwohl man sich also ein bisschen als Opfer von Ausgrenzung durch die Medien und »Verfolgung« durch den Verfassungsschutz geriert, kommt in Wortmeldungen aus dem Publikum wie auch auf dem Podium viel Selbstbewusstsein über die wachsende Stärke der eigenen Partei zum Ausdruck. Und dem »Herrschaftsfernsehen«, kündigt Springer an, werde man »eines Tages den Stecker ziehen«.

Die Partei hat Gründe, sich als die kommende Führungskraft in Deutschland zu sehen. Zumindest in Ostdeutschland macht sie sich Hoffnung auf indirekte Regierungsbeteiligungen in naher Zukunft. Denn 2024 werden in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die Landesparlamente neu gewählt werden. Und würde jetzt der Bundestag neu gewählt, dann läge die Rechtsaußen-Partei in ganz Ostdeutschland laut einer Insa-Umfrage für »Bild« vom 6. Mai mit 26 Prozent vor der CDU (23) und der SPD (20).

In Thüringen kommt die unter Landes- und Fraktionschef Björn Höcke besonders unverblümt rechtsradikal auftretende Partei in den jüngsten Umfragen sogar auf 28 Prozent. Während Die Linke, bei der Wahl 2019 mit 31 Prozent mit Abstand stärkste Kraft, aktuell nur noch bei 22 Prozent liegt. Entsprechend meldete Höcke auch bundespolitisch einmal mehr einen Führungsanspruch an. Die »Hauptstadt der AfD« sei derzeit nicht Berlin, sagte er dieser Tage der Deutschen Presse-Agentur. »Die Hauptstädte sind im Augenblick Dresden und Erfurt. Wir machen hier die ersten wichtigen Schritte in Richtung Regierungsbeteiligung.«

Ähnlich kraftstrotzend präsentiert sich Sachsens AfD, die allerdings derzeit immerhin acht Prozentpunkte hinter Ministerpräsident Michael Kretschmers CDU liegt. Landeschef Jörg Urban gab schon vor Monaten die Devise aus, man wolle dauerhaft die bestimmende Kraft im Freistaat werden. Ihren ersten großen Erfolg feierte die sächsische AfD bei der Bundestagswahl 2017, als sie 4189 Stimmen und 0,1 Prozentpunkte vor der regierenden CDU lag. Ministerpräsident Stanislaw Tillich trat daraufhin zurück und übergab die Führung des Landes an Kretschmer. Der stand freilich nur zur Verfügung, weil er seinen Görlitzer Wahlkreis und das Berliner Mandat an einen bis dahin unbekannten Malermeister von der AfD namens Tino Chrupalla verloren hatte, der heute Bundesvorsitzender der Partei ist. Bei der Landtagswahl 2019 lag die CDU schließlich gut vier Prozentpunkte vor der AfD, die aber 15 der 60 Direktmandate gewann. Um diese in der Opposition halten zu können, musste Kretschmer im Freistaat die erste Dreierkoalition aus CDU, Grünen und SPD bilden.

Bei der Europawahl Anfang 2019 brachte die AfD dann in Sachsen ein Viertel der Wählerschaft hinter sich und hielt die CDU mit 467 000 Stimmen auf Distanz. Bei der Kommunalwahl setzte sie vor allem im Osten ihren Siegeszug fort. In den Kreistagen Görlitz und Bautzen wurde sie stärkste Fraktion. In Gemeinden holte sie teils so hohe Ergebnisse, dass sie gewonnene Sitze aus Mangel an Kandidaten nicht besetzen konnte. Man sei Volkspartei, frohlockte Urban. Die Bundestagswahl 2021 bestätigte das: Die AfD distanzierte die CDU um über sieben Prozentpunkte und gewann zehn der 16 sächsischen Wahlkreise.

Einen Chefposten in einem Rathaus oder Landratsamt sähe Urban als »endgültigen Durchbruch« an. Nicht erst das jüngste Brandenburger Beispiel lässt ahnen, dass das nur eine Frage der Zeit ist. In Sachsen hat die AfD mittlerweile auf allen politischen Ebenen viele Stammwähler. Wahlkämpfe führt sie auch in Kommunen weniger mit regionalen Themen als mit den Folgen der Zuwanderung, der Corona-Pandemie oder des Kriegs in der Ukraine. Berührungsängste mit der offen rechtsextremen Partei gibt es in weiten Teilen der Wählerschaft nicht.

Dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die »Brandmauer« zumindest bei der CDU nicht nur auf kommunaler, sondern auch auf Landes- und Bundesebene fällt, davon sind auch der Brandenburger Bundestagsabgeordnete Springer und der Chef der Potsdamer Landtagsfraktion, Hans-Christoph Berndt, überzeugt. Bald sei auch für die Noch-Wähler der sie ausplündernden »Altparteien« der Punkt erreicht, »wo die Wahl der AfD das kleinere Übel« sei.

Geschickt setzen Springer und Berndt in Seelow die AfD als Partei in Szene, die »Politik im Interesse der deutschen Leistungsträger« mache. Sie spielen mit Ressentiments und ernten dafür jeweils heftigen Applaus und Bravo-Rufe. Sprechen über Migranten, die angeblich massenhaft und gezielt den deutschen Sozialstaat schröpfen. Und machen deutlich, dass man eigentlich die große Mehrheit der Deutschen vertrete, die, so Berndt, finden, »dass wir schon zu viele Ausländer aufgenommen haben« und eine »Abschiebeoffensive« fordern.

Springer gibt sich sozial, will aber angeblich arbeitsscheue Bürgergeldbezieher zu 15 Stunden »Bürgerarbeit« pro Woche verpflichten, dafür, dass sie den Mitbürgern und Steuerzahlern auf der Tasche liegen. Der sozialpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion will dafür sorgen, dass keine Ausländer den deutschen Bedürftigen bei den Tafeln das Essen wegschnappen. Vor allem wolle er Tafeln durch anständige Sozialpolitik überflüssig machen. Zugleich kommt seine Aussage gut an, dass die jüngst angehobenen Sätze des in Bürgergeld umbenannten ALG II viel zu hoch seien. Er sagt aber auch, dass sich »das Lohnniveau ändern muss«.

Mit den Leistungsträgern, so wird suggeriert, seien vor allem die hart arbeitenden Kleinunternehmer und Handwerker gemeint. Steuerentlastungen für kleine und mittlere Einkommen verspricht Springer – Steuererhöhungen für die oberen Zehntausend sind dagegen kein Thema.

Alexander Gauland, Mitgründer der AfD und mittlerweile ihr Ehrenvorsitzender, appelliert in Seelow vor allem an die CDU, endlich mit ihrer natürlichen Verbündeten offen zu kooperieren. Sie müsse lernen, dass sie ohne die AfD »auf Jahre hinaus keine Chance auf die Macht mehr« habe. Springer wie Herbst verweisen stolz darauf, dass der Druck der AfD auf die »Altparteien« in Sachen Abschottung gegen »irreguläre« Migranten gewirkt hat. Schließlich arbeite jetzt auch SPD-Innenministerin Nancy Faeser an Programmen für schnelle Abschiebungen und für die Verlagerung von Asylverfahren an die EU-Außengrenzen. AfD-Wähler dürften, anders als jene aus dem linken Lager, verstanden haben, dass man aus der Opposition heraus gut Positionen durchsetzen kann.

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