Disput um »österreichisches Guantanamo«

Auch Deutschland unterstützt Haftanstalt im bosnischen Flüchtlingslager Lipa

Seit Jahren steht das Lager Lipa in der Kritik, nun finanzieren EU-Staaten dort eine Haftanstalt (Symbolbild von 2021).
Seit Jahren steht das Lager Lipa in der Kritik, nun finanzieren EU-Staaten dort eine Haftanstalt (Symbolbild von 2021).

Jedes Jahr gibt die EU Hunderte Millionen Euro zur Steuerung und Bekämpfung von Migration in Drittstaaten aus. Die meisten Gelder stammen aus drei verschiedenen Fonds und gehen an die Länder selbst oder an EU-Mitglieder, die ihrerseits Aufträge an Firmen oder Institute vergeben. Auch die Internationale Organisation für Migration (IOM) erhält EU-Mittel zur Migrationskontrolle.

Eine der privaten Organisationen, die mit der Umsetzung von EU-Maßnahmen beauftragt werden, ist das 1993 gegründete International Centre for Migration Policy Development (ICMPD) mit Sitz in Wien. Es wird vom österreichischen Ex-Vizekanzler und früheren ÖVP-Parteichef Michael Spindelegger geleitet. Zu den 20 Mitgliedern gehören Staaten wie die Türkei, Serbien oder Bosnien-Herzegowina und seit 2020 auch Deutschland. Viele der Maßnahmen des ICMPD werden aus Österreich gefördert, ergab eine parlamentarische Anfrage der Grünen.

Jetzt soll das Zentrum Vorschläge für »EU-Migrationspartnerschaften« entwerfen, in denen Drittstaaten Vergünstigungen erhalten, wenn sie Abgeschobene aus EU-Staaten zurücknehmen. Mit ähnlichem Ziel setzt das ICMPD einen »regionalen Rückführungsmechanismus für den Westbalkan« um. Dabei werden die Staaten unterstützt, selbst Abschiebungen vorzunehmen. Die deutsche Bundesregierung hat diese Initiative 2020 mit 3,2 Millionen Euro finanziert und bezeichnet sie als »Migrationssteuerung«.

Im Auftrag des Innenministeriums ist das ICMPD zudem am Bau einer »Temporären Haftanstalt« im neu errichteten bosnischen Flüchtlingslager Lipa beteiligt und erhielt dafür 500 000 Euro von der EU-Kommission. Das belegt ein EU-Dokument, das die Organisation Frag den Staat im Rahmen einer Recherche zum ICMPD am Freitag veröffentlichte. Betrieben wird das Lager von der IOM, Deutschland unterstützt den Bau über das Technische Hilfswerk mit einer Million Euro für eine Kantine.

Den Zweck des Lagers in Lipa hatte Oliver Várhelyi, der aus Ungarn stammende Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik, unmissverständlich erklärt: »Wir müssen Asylbetrüger inhaftieren, bis sie in ihre Herkunftsländer zurückkehren«, so der EU-Kommissar. »Ein hoher Zaun, auf jedem Schritt und Tritt Kameras, Fenster mit Gefängnisgittern und fast kein Tageslicht in den Zellen«, beschrieb die in Österreich tätige Organisation SOS-Balkanroute den dortigen Alltag und titelte in einer Pressemitteilung: »So sieht das österreichische Guantanamo in Bosnien aus«.

Das ICMPD fühlt sich davon angegriffen. Man sei »selbstverständlich nicht am Bau von Haftzellen oder Ähnlichem beteiligt«, behauptete ein Sprecher auf Anfrage der Agentur APA zunächst. Allerdings ruderte ICMPD-Chef Spindelegger kurz darauf zurück und erklärte in der Sendung »Zeit im Bild«, dass seine Organisation für den Bau eines »gesicherten Bereichs für maximal zwölf Personen« verantwortlich sei. Laut Bosniens Außenminister Elmedin Konakovic handele es sich dabei um einen »Raum für die kurzzeitige Internierung von Migranten«.

Trotz seines Dementis geht das ICMPD jetzt gegen SOS Balkanroute und ihren Gründer Petar Rosandić vor und hat wegen der Bezeichnung »österreichisches Guantanamo« eine Klage wegen »Kreditschädigung« beim Handelsgericht Wien eingereicht. »Uns geht es ausschließlich um die Unterbindung von fortwährenden falschen Behauptungen«, erklärte dazu ein ICMPD-Sprecher, dass die Organisation das Leid von Menschen forciere.

Es handele sich um einen politischen Einschüchterungsversuch, »wie man diese sonst aus Ungarn, Russland oder Serbien kennt«, kommentiert der NGO-Gründer Rosandić die Klage. Die grüne Nationalratsabgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic fühlt sich an »Zustände unter Orbán in Ungarn« erinnert und erwartet von anderen ICMPD-Vertragsstaaten »die notwendigen Konsequenzen«. In Deutschland möchte man davon nichts hören. Das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium ließen eine mehrtägige Frist des »nd« zur Stellungnahme kommentarlos verstreichen.

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