Amouröse Katastrophen

Ganz schön leicht: Ein spielfreudiger »Sommernachtstraum« aus Basel gastierte beim Berliner Theatertreffen

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 5 Min.
Bisschen dick aufgetragen? So viel Pathos ist durchaus erlaubt – aber nur, wenn einer spielt, dass er jemanden spielt, der einen anderen spielt.
Bisschen dick aufgetragen? So viel Pathos ist durchaus erlaubt – aber nur, wenn einer spielt, dass er jemanden spielt, der einen anderen spielt.

Der immer noch übliche Frontalunterricht an Schulen wird aus vielen guten Gründen kritisiert. Etwas zu kurz kommt dabei jedoch die fatale Wirkung auf die Außenwahrnehmung der Lehrerinnen und Lehrer. Stärker als andere Arbeitnehmer in sozialen Settings, man denke zum Beispiel an Reiseleiterinnen, Altenpfleger oder Polizistinnen, sind sie Tag für Tag den Blicken derselben Schüler ausgeliefert. An der Tafel rackern sie sich ab, um ihre professionelle Rolle zu behaupten. Und verwandeln sich dabei in verzerrte Versionen ihrer selbst. Unvermeidlich ist dieser Niedergang zur Karikatur, diese Reduktion auf kleine Ticks, auf sprachliche oder äußerliche Eigenheiten, wenn man jahrelang in einer Art Bühnensituation betrachtet wird.

Man erinnere sich an das Schmählied »Von den blauen Bergen kommen wir«, in dem es heißt: »Unser Lehrer ist genauso doof wie wir / Mit der Brille auf der Nase / Sieht er aus wie ein Osterhase«. Schon ein bebrilltes Gesicht, also ein äußerst vernachlässigbares Accessoire auf dem Gebiet der Individualität, genügt, um eine Person vor den eigenen Augen in eine Ausgeburt an Schrulligkeit zu verwandeln.

Das Ensemble des Theaters Basel braucht hierfür keine jahrelange Vorbereitung, es präsentiert direkt zu Beginn des Theatertreffen-Gastspiels im Berliner HAU 1 ein gereiftes Kollegium. Da sind sie: die esoterische Klassenlehrerin mit dem blauen Pullunder auf den Schultern; die junge Englischlehrerin, die gerade noch als Streberin in der ersten Reihe saß und nun mit demselben Gestus auf der anderen Seite steht; der verstockte Deutschlehrer mit fettigem Haar und schlechtsitzender Hose; der Sozialpädagoge, der nervös an seiner Brille nestelt und dessen Mundgeruch man auch aus der achten Reihe zu riechen meint. Zusammen treten sie vor, um bei einem Schultheaterfestival William Shakespeares »Ein Sommernachtstraum« zu geben.

Der Stoff ist beliebt bei Amateurgruppen, was auch daran liegt, dass bei Shakespeare eine Gruppe Laien ein Stück im Stück aufführt. Im Original sind es Handwerker, in der Basler Inszenierung von Antú Romero Nunes ist es nun also eine Gruppe Lehrer, die in die Irrungen und Wirrungen der Komödie hinabsteigt. Die Komik der Inszenierung ist eine geklaute oder mindestens geborgte. Sieht man in einer Aula oder einem regionalen Kulturzentrum kaufmännischen Angestellten, Finanzbeamtinnen oder eben Lehrern dabei zu, wie sie so tun, als wären sie Schauspieler, die eine Rolle spielen, so sind es hier Profis, die Amateure spielen, die Schauspieler spielen, die den »Sommernachtstraum« aufführen.

Nunes hat ganz offenbar bei tatsächlichen Laientheateraufführungen recherchiert und schickt nun übersteigerte Versionen solcher Darsteller auf die Bühne. Was dem Publikum beim Amateurtheater quasi verboten ist, nämlich den Fokus auf die Unzulänglichkeit des Spiels zu legen, wird hier geradezu herausgefordert.

Die Handlung spielt im antiken Athen und vor dessen Toren in einem verwunschenen Wald. Drei Liebespaare sollen am Ende (wieder) zueinanderfinden. Der Herrscher von Athen will die Amazone Hippolyta heiraten, die sich allerdings aus verständlichen Gründen ziert, hat er sie doch als Kriegsbeute entführt. Seine Untertanen Lysander, Hermia, Demetrius und Helena sind ineinander verliebt, allerdings jeweils in die falschen Partner. Entweder der Vater hat etwas gegen die Verbindung oder die Leidenschaft stößt auf geringe Resonanz.

Als viertes Paar wären da noch die Elfen Oberon und Titania, die sich im Streit um ein adoptiertes Kind in die Haare bekommen. Oberons schusseliger Diener Puck versucht mit einem Zauber Ordnung in die jeweiligen Verhältnisse zu bringen, also Liebe jeweils dort zu stiften, wo sie hingehört. Bis das jedoch gelingt, wollen noch einige amouröse Katastrophen und Verwechslungen ausgestanden sein. Da erliegt die Elfenkönigin dem Charme eines Esels, da verlieben sie sich kreuz und quer ineinander und gehen den Nebenbuhlerinnen und Nebenbuhlern an die Gurgel und der Angebeteten ungefragt an die Wäsche. Wo die Liebe hinfällt, da wächst kein Gras mehr.

Das Ensemble macht alles richtig, große Spielfreude trifft auf Timing und Disziplin, womit alles bereit ist für eine Komödie. Aenne Schwarz und Michael Klammer führen als Lehrerehepaar ihre privaten Konflikte hochkomisch auch in ihren Rollen als Elfen fort. Anne Haug präsentiert bei jeder Annäherung an das jeweilige Liebesobjekt ihre Brüste und trippelt ständig übermotiviert auf der Stelle. Fabian Krüger verzweifelt sehr sehenswert als überforderter Regisseur der Truppe. Sven Schelker gibt sich als Star der großen Geste hin und brüllt seine Spielpartner divenhaft zusammen. »Damit Theater funktioniert, braucht man einen leeren Raum, den man dann füllen kann mit Fantasie«, belehrt er sie an einer Stelle.

Das klingt fast wie eine Poetik des Regisseurs. Der 1983 in Tübingen geborene Nunes gilt als großer Fantast seiner Zunft, als einer, der die Bühne als Spielzeug nutzt, politische Inhalte eher auf Abstand hält, sein Publikum nicht zu belehren, sondern zu verzaubern und zu unterhalten sucht. Das gelingt ihm mit seinem »Sommernachtstraum« vorzüglich, auch wenn die letzte halbe Stunde sich etwas zieht.

Es ist sicher die leichteste Inszenierung im diesjährigen Tableau der zehn »bemerkenswerten Inszenierungen«, die der Kritikerjury auf ihren Reisen durch Deutschland, Österreich und die deutschsprachige Schweiz unterkam. Bemerkenswert ist aber eben auch diese Zugewandtheit und dieser Spaß am Spaß selbst. Passt solches Theater in unsere Gegenwart der Krisen? Ist das Eskapismus? Vielleicht, doch sei darauf hingewiesen, dass die sehr viel politischeren Arbeiten im Vergleich doch recht bemüht daherkamen. Florentina Holzinger veranstaltete eine feministische Stuntshow; die Münchner Kammerspiele schickten mit Henrik Ibsens »Nora« eine Inszenierung nach Berlin, die alle möglichen Lesarten gleich mittransportierte, ohne sich festlegen zu wollen; das Schauspielhaus Bochum gastierte mit einer Arbeit, die irrlichternd die deutsche Erinnerungskultur kritisierte. Zugleich überladen und vage wirkten diese Inszenierungen. Der große Quatsch aus Basel wirkt dagegen wohltuend entschlossen.

Eine Fernsehaufzeichnung vom Basler »Sommernachtstraum« ist in der 3Sat-Mediathek abrufbar.

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