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Streit um Gebäudeenergiegesetz: Heizungstausch genügt nicht
Die absehbare Verschiebung des Gebäudeenergiegesetzes böte die Chance für ein umfassenderes Herangehen
Bei der Aufregung um Robert Habecks Heizungsgesetz dreht sich der Streit meist um das angebliche Verbot von Öl- und Gasheizungen bei Neubau oder Austausch oder darum, ob die berühmte Wärmepumpe aufgrund des bisherigen Strommixes wirklich klimafreundlicher als eine Gasheizung ist. Und dann noch der Kostenhammer und die Frage der staatlichen Förderung. Obwohl dies für die Wärmewende mindestens genauso wichtig ist, interessiert viel weniger die Frage, was das überhaupt für Gebäude sind, die künftig zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien erwärmt werden sollen. Zustand und Nutzung der Millionen Häuser werden einfach als gegeben hingenommen.
Im Verkehr ist das inzwischen anders: Da wird kräftig kritisiert, dass Autos zu Stadtpanzern mutiert sind, die für die gleiche Mobilität immer mehr Energie und Platz brauchen. Und für Verkehrsforscher ist auch klar: Einfach nur den Antrieb von fossil auf elektrisch umzustellen, reicht nicht. Auch die schiere Zahl der Pkws muss drastisch sinken, wenn wir künftig klimaneutral unterwegs sein wollen.
Übertragen auf die Heizungsdebatte könnte man also fragen: Muss nicht auch bei den Gebäuden mehr passieren, als nur die Heizung auszutauschen und vielleicht noch diese oder jene Wärmedämmung einzubauen? Ende 2020 gab es in Deutschland rund 19 Millionen Wohngebäude. Gut zwei Drittel davon sind das berühmte Einfamilienhaus. In jedem sechsten Haus gibt es wenigstens zwei Wohnungen, hinzukommen dann noch etwas mehr als drei Millionen Mehrfamilienhäuser mit drei oder deutlich mehr Wohnungen.
Wie viele Menschen jeweils in den Ein-, Zwei- und Mehrfamilienhäusern wohnen, dazu lässt sich keine aussagekräftige Statistik auftreiben. Bekannt ist nur, dass in Einfamilienhäusern im Schnitt drei Personen leben. Das ist die Bevölkerungskohorte, um die sich fast die ganze Heizungstausch-Debatte dreht. In der zugespitzten Debatte geht es sogar um eine noch viel kleinere Gruppe: Rentner, die sich ihr Haus in früheren Jahren irgendwie vom Munde abgespart haben, sich jetzt keine neue, teure Heizung leisten können. Aus diesem Grund hat die Koalition in ihrem Entwurf zumindest die über 80-jährigen Eigentümer von den Pflichten ausgenommen.
Der Einfamilienhaus-Rentner erinnert ein bisschen an die Krankenschwester auf dem Land, die auf ihr altes Benzinauto angewiesen ist und sich kein teures E-Auto leisten kann – und für die auch Bus und Bahn keine Alternative darstellen. Für beide gilt: Es gibt sie, aber sie haben nur wenig mit den wahren Verhältnissen zu tun. So ist die Wohnfläche in Deutschland zwischen den Bevölkerungsgruppen recht ungleich verteilt, wie aus einer Publikation zum Forschungsprogramm »Zukunft Bau«, herausgegeben vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), hervorgeht. In Ein- oder Zweifamilienhäusern hat jede Person im Schnitt 48 Quadratmeter zur Verfügung. Wer in Mehrfamilienhäusern mit mehr als neun Wohnungen lebt, hat dagegen nur 35 Quadratmeter für sich. Die BBSR-Autoren fragten sich auch, wie groß die Wohnfläche pro Kopf ist, um sowohl eine ausreichende Wohnzufriedenheit zu sichern als auch ökologische Grenzen einzuhalten, vor allem beim Energieverbrauch. Ergebnis: Ab einer Pro-Kopf-Wohnfläche von 45 Quadratmetern kann auch bei bestem Nutzungsverhalten und besonders effizienten Gebäuden kaum noch von Nachhaltigkeit gesprochen werden und ab 60 Quadratmetern pro Person überhaupt nicht mehr.
In Deutschland leidet der Wohnungsbau auch unter diversen sogenannten Rebound-Effekten. So wurden hier von 2010 bis 2018 mehr als 134 Milliarden Euro in die energetische Sanierung investiert, was die Effizienz erheblich verbesserte. Dennoch wurde 2019 genauso viel Heizenergie wie 2010 verbraucht.
Ein Grund dafür: Die Innenraumtemperaturen von effizienteren Neubauten sind im Schnitt etwa drei Grad höher als die von energetisch schlechten Altbauten. Allein das könne bis zu 20 Prozent Mehrverbrauch an Heizenergie mit sich bringen, heißt es in der BBSR-Publikation.
Die Heizung müsse zum Haus passen, begründet die mitregierende FDP jetzt ihre Blockade des Heizungsgesetzes. Es ist aber auch zu fragen: Passt das Haus zur Heizung?
Tatsächlich gibt es viele Millionen unsanierter Bestandsgebäude mit hohem Verbrauch. In denen lohne sich der Einbau erneuerbarer Heizungen erst nach energetischer Sanierung, einschließlich der Ertüchtigung der Gebäudehülle und optimiertem Betrieb, argumentiert der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in einem aktuellen Papier. Der Energieverbrauch bei Bestandsgebäuden sollte im Schnitt halbiert werden, fordert der BDI.
Das ist sicher eine Leerstelle im derzeitigen Heizungsgesetz. Für den Umstieg auf erneuerbare Energien sieht der Kabinettsentwurf, der jetzt erstmal nicht in den Bundestag kommt, finanzielle Hilfen in Form von Zuschüssen, Krediten oder Steuergutschriften vor. Mit der Kombination aus Förderung und künftig günstigeren Betriebskosten im Vergleich zu Gas und Öl sollen sich die Aufwendungen laut den Berechnungen des Wirtschaftsministeriums innerhalb der nächsten 18 Jahre amortisieren.
Es gilt aber, noch deutlich weiter zu denken: Welchen Sinn hat es beispielsweise, in sogenannten Schrumpfungsregionen jedes alte Einfamilienhaus heizungstechnisch auf den Wärmepumpenstandard umzurüsten – und das noch zu 80 Prozent aus öffentlichen Mitteln zu bezuschussen, wie die Grünen es wollen? Sollte da nicht auch gefragt werden, welche Zukunft viele dieser Häuser überhaupt haben? Und in vielen dieser Gegenden wäre auch grüne Fernwärme keine Alternative, denn die taugt mehr für Ballungsräume.
Jedenfalls erscheint es nicht sehr sinnvoll, klimafreundliche Heizungen in einen offensichtlich nicht sehr nachhaltigen Wohnungsbestand einzubauen. Das wäre vergleichsweise so, als würde man im SUV nur die fossile Maschine durch einen E-Motor ersetzen wollen – um dann weiter mit zwei Tonnen durch die Gegend zu rasen.
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