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  • »Die Eingeborenen von Maria Blut« von Maria Lazar

Berliner Theatertreffen: Tableau menschlicher Ödnis

Alarmismus statt innere Dramatik: »Die Eingeborenen von Maria Blut« vom Wiener Burgtheater gastierte im Rahmen des Theatertreffens in Berlin

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.
Obskure Bilderflut: Die Wiener Inszenierung von »Die Eingeborenen von Maria Blut« bleibt gänzlich äußerlich.
Obskure Bilderflut: Die Wiener Inszenierung von »Die Eingeborenen von Maria Blut« bleibt gänzlich äußerlich.

Einschüchternd groß thront die Jungfrau Maria auf der von Jessica Rockstroh entworfenen Bühne, rechts und links flankiert von zwei nicht minder großen Engeln. Man wähnt sich in eine barocke Dorfkirche versetzt: überladen, grellbunt, voller Kitsch. Man muss schon sehr katholisch sozialisiert sein, um angesichts einer solchen Überfülle schlechten Geschmacks an die Reinheit des religiösen Gefühls zu glauben.

Der Marienkult hat immer etwas Obskures, während Jesus am Kreuz auch ganz schlicht der leidende Mensch sein kann. Insofern handelt es sich hier in der Burgtheater-Inszenierung von Lucia Bihler nicht um Anti-Oberammergauer Passionsspiele, denn Passion, Leiden also, findet gar nicht statt. Also handelt es sich auch nicht um radikale Religionskritik wie etwa in Ulrich Seidls Film »Jesus, du weißt« oder in Werner Schwabs Drama »Präsidentinnen«. Auch der übliche zeremoniell ausgebreitete Österreich-Selbstekel von Thomas Bernhard bis Elfriede Jelinek ist das nicht. Es geht um etwas anderes: obskure Wunderheilung, also Manipulation, die sich wie ein Nebel über die hier in Maria Blut herrschende Kleinstadtatmosphäre aus Neid und Habgier legt. Man will den kleinen Wallfahrtsort als österreichisches Lourdes vermarkten und betrügt Leichtgläubige mit dem Slogan: »In dem schönen Ort Maria Blut werden alle Schmerzen wieder gut. Medizin viel Geld dir kosten tät, die Gottesmutter aber macht’s für ein Gebet.«

Neu ist das nicht, und einen allzu großen Erkenntniswert hat es auch nicht. Lars von Trier hat in seinem Film »Dogville« die Provinz bereits höchst präzise porträtiert, als Gegend, in der man lächelnd mordet. Und Alexander Lang wagte sich vor fast 20 Jahren am Berliner Gorki-Theater (ohne allzu großen Erfolg) an den Mystizisten Hanns Heinz Ewers und brachte dessen »Wundermädchen von Berlin« auf die Bühne. Man raunte von verborgenen Kräften, von Verschwörung und Rettung, aber Genaueres brachte die Inszenierung damals auch nicht heraus. Es blieb ebenso pittoresk wie ornamentverliebt.

Auch »Die Eingeborenen von Maria Blut« wirkt wie Stochern im Nebel. Erst wenn man um die Entstehungsgeschichte des Stücks weiß, sozusagen die Bedienungsanleitung für den Abend in Händen hält, beginnt man das, was man sieht, zu verstehen. Ist das für Theater ein praktikabler Zugang?

Denn was wie eine letzte Stufe postdramatischer Variation auf alle Österreich-Selbsthass-Stücke nach dem Zweiten Weltkrieg wirkt, steht in Wahrheit ganz am Anfang. Die Wiener Schriftstellerin Maria Lazar musste als Jüdin aus Österreich fliehen, ihr Roman »Die Eingeborenen von Maria Blut«, geschrieben 1935 im dänischen Exil, wurde in Auszügen 1937 in Bertolt Brechts Zeitschrift »Das Wort« abgedruckt und galt dann als verschollen. Die Autorin starb 1948.

Nun bringt das Burgtheater ihr Werk auf die Bühne. Verdienstvoll. Aber wie geht man mit den Schwächen der literarischen Vorlage um? So etwa die Gleichsetzung von christlichem Messianismus (Erlösungshoffnung also) mit antisemitischem Ressentiment und faschistischem Führerkult. Maria Lazars Versuch, einen Bilderbogen vom Marienkult zu Verschwörungstheorien, Antisemitismus und Austrofaschismus zu schlagen, ist für die 30er Jahre ein legitimes Erklärungsmuster. Auch wenn damals schon galt, dass der Antisemitismus Kapitalismuskritik für Dumme ist.

Als 1930 Alfred Rosenbergs verquaste NSDAP-Programmschrift »Der Mythus des 20. Jahrhunderts« erschien, in dem Christus als Erlöser zu Hitler als Führer mutierte, gab es heftige theologische Reaktionen auf diese Ideologisierung des Messianismus. Die katholische Kirche setzte das Machwerk umgehend als »neuheidnisch« auf den Index.

Wie soll man »Die Eingeborenen von Maria Blut« heute auf die Bühne bringen? Wohl nicht, indem man wie hier den historischen Abstand zum Text ebenso wie dessen historischen Kontext unkenntlich macht und auf eine eher diffuse Identifikation mit einzelnen Textpassagen setzt. Inmitten des Stakkatos greller Szenen, der ganzen obskuren Bilderflut, wäre ein aufklärender, ein kalter Blick auf die überhitzte Szenerie angebracht gewesen. Aber Regisseurin Lucia Bihler will diese ganze falsche Kleinbürgerekstase keineswegs herunterkühlen, und so treiben die immergleichen Effekte den zweistündigen Abend voran – bis sie sich verbraucht haben.

Der Chor der »Eingeborenen« etwa hat etwas grandios Puppenhaftes. Ein halbes Dutzend Spieler trägt große Plastikköpfe (Kostüme: Victoria Behr) und wird von der Bühnenseite durch an Mikrofonen stehende Schauspieler synchronisiert. Die »Eingeborenen« sind lauter Wichte, denen man alles Böse zutraut in ihrer Uniformität. Eine merkwürdige, auch missverständliche Assoziation. So klein wie die Menschen hier sind, so übergroß thront die Jungfrau Maria über ihnen. Die beiden süßlichen Engel fallen schon bald um, keine Boten verkehren mehr zwischen Himmel und Erde.

Hier unten stöhnt man, die Konservenfabrik geht pleite. Jetzt sollen »Raumkraft«-Aktien die Rettung bringen, mit vorhersehbarem Resultat. Hinter vorgehaltener Hand redet man anders als öffentlich. Man gibt sich nach außen jovial, aber ist sich im Verborgenen einig: Jemand muss doch an dieser Misere schuld sein! Nicht man selber, auch nicht die Herrschenden und das System, das einen immer wieder enteignet, sondern jemand, den man hassen kann: der Jude, der nicht an Jesus als Messias glaubt!

Warum entfalten diese vielen einzelnen, durchaus gelungenen Szenen im Ganzen kaum eine Intensität? Es liegt offenkundig nicht an den Schauspielern. Stefanie Dvorak als Erzählerin ist ebenso prägnant wie Robert Reinagl, Jonas Hackmann, Dorothee Hartinger und Lili Winderlich in ihren verschiedenen Rollen. Es liegt wohl eher daran, dass wir hier einer vorhersehbaren Abfolge von Szenen beiwohnen. Immer wieder blenden Scheinwerfer im Bilderrahmen auf, der die Szenerie zum Guckkasten macht, einem Wagen gleich, der mit Fernlicht auf die Zuschauer zurast. Das signalisiert näher kommende Gefahr.

Es ist das Problem dieser sehr äußerlichen Inszenierung, dass sie auf Alarmismus statt innere Dramatik setzt. Der örtliche Pfarrer: ein Feigling und Trunkenbold. Der Fabrikbesitzer Schellbach: ein Betrüger. Der alte jüdische Anwalt: apathisch in all seiner Klugheit. Der sozialdemokratische Arzt: schwach in seiner Widerrede. Die Menge dagegen: eine gefährliche Meute. Welch Tableau menschlicher Ödnis, das in der Gleichförmigkeit der theatralischen Mittel jedoch nicht wirklich zu schockieren vermag. Denn die Handelnden hier sind ohne alle Widersprüchlichkeit. Als bloße Schablonen gleichen sie der überdimensionierten Jungfrau Maria und den beiden Engeln zu ihrer Seite, die allerdings längst umgefallen sind.

Eine Fernsehaufzeichnung von »Die Eingeborenen von Maria Blut« ist in der 3Sat-Mediathek abrufbar.

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