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Berlins SPD lässt Dampf ab
Die Hauptstadt-SPD gönnt sich auf ihrem Parteitag eine lange Debatte über die Trennung von Amt und Mandat
Die Nervosität der Berliner SPD-Spitze vor dem Landesparteitag war groß. Und wie sich am Freitagabend bei dem Zusammentreffen mit den rund 260 Delegierten zeigen sollte: Sie war berechtigt. Über Stunden durften sich die beiden Landesvorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh Klagen anhören. Über falsche Themensetzungen im Wahlkampf. Über die fehlende Demut nach der krachenden Wahlniederlage im Februar. Über fehlende Konzepte für die Zukunft. Kurz: über ihre Arbeit als Parteispitze.
»Natürlich müssen wir heute auch übers Personal reden«, sagte etwa der Neuköllner Delegierte Fabian Fischer. Man habe es mit einem Landesvorstand zu tun, in dem »sich einige Personen etwas zu wichtig zu nehmen«.
Immer wieder war von Frustration und Unzufriedenheit die Rede. Die Vernachlässigung der Interessen der Bezirke, die »Wischi-Waschi-Haltung« zum Volksentscheid »Deutsche Wohnen & Co enteignen«, die von SPD-Senatoren verantwortete unmenschliche Abschiebepraxis, überhaupt die Politik der SPD im Senat und erst recht der Entschluss, diese ausgerechnet in einer Koalition mit der CDU fortführen zu wollen: Offenkundig hatte sich bei vielen Delegierten sehr viel angestaut.
Die von Fischer und zahlreichen anderen Rednern angemahnte Debatte über das Führungspersonal wurde flankiert von einem dreiseitigen Initiativantrag der Jusos mit vor allem einer Kernforderung: »Neue Köpfe braucht die Partei.« Ein kaum kaschierter Angriff auf die Parteiführung, insbesondere das Führungsduo Giffey und Saleh.
Konkret ging es dem Parteinachwuchs mit dem Antrag um eine Art Trennung von Amt und Mandat. Staatssekretäre, Senatoren, Fraktionschefs und Fraktionsgeschäftsführer sollten künftig von Posten im Landesvorstand ausgeschlossen werden. So zumindest hieß es im ursprünglichen Antragstext. Wirtschaftssenatorin Giffey und Fraktionschef Saleh hätten demnach bei den Parteiwahlen im kommenden Jahr ihren Hut nehmen sollen. Wohlgemerkt, die Betonung liegt auf »sollen«, nicht auf »müssen«.
Dem appellativen Charakter zum Trotz diente der Antrag als willkommene Vorlage, um Dampf abzulassen. Viele Delegierte arbeiteten sich dabei eben an der Parteispitze ab, deutlich weniger an den Jusos oder deren rot-grün-roten Präferenzen. Gut 80 Redner kamen zu Wort, bis die Debatte nach drei Stunden vorfristig abgebrochen wurde, um bis 23 Uhr wenigstens halbwegs mit dem Parteitagsprogramm durchzukommen.
Jusos-Landeschefin Sinem Taşan-Funke hatte zur Eröffnung der Großaussprache den Attackemodus vorgegeben. An Giffey und Saleh gerichtet, sagte Taşan-Funke unter viel Applaus: »Ihr habt uns als Landesvorsitzenden in diese Wahl geführt, aus unserer Sicht habt ihr bis heute nicht genügend Verantwortung dafür übernommen, wie diese Wahlen ausgegangen sind.« Gleiches gelte für die Verantwortungsübernahme für den generellen »Zustand unserer Partei«. Und klar sei auch: Die Verantwortungsfrage immer auf andere zu schieben, »macht uns unglaubwürdig«.
Tatsächlich blieb nicht zuletzt Franziska Giffey in ihrer Rede zu Beginn des Parteitags bei genau dieser fleißig einstudierten Linie: Schuld sind die anderen, vor allem die Grünen. Nichts als Ärger und Streit hätte man bei einer Fortsetzung der Koalition mit Linken und Grünen gehabt, zumal von letzteren »unser Führungsanspruch nicht akzeptiert wird«, wärmte Giffey die Erzählung wieder auf, mit der sie schon die Absage an Rot-Grün-Rot nach den Sondierungsgesprächen begründet hatte.
»Die SPD wäre zu einer Klagemauer des Stillstands geworden«, versuchte sich Giffey hinsichtlich Rot-Grün-Rot in der Schreckensbildmalerei. Und mit Blick auf die nächsten regulären Abgeordnetenhauswahlen: »Ich bin überzeugt, dass wir in drei Jahren die Quittung bekommen hätten und die Wahl noch viel schlechter ausgehen würde.« Giffey kam in ihrer zwischen angefasst und kämpferisch changierenden Rede zwar rasch auf Betriebstemperatur. Der Applaus für ihre Ausführungen blieb trotzdem verhalten. Ähnlich sah es bei der vorangegangen Wahlanalyse von Raed Saleh aus.
»Ich hätte mir mehr gewünscht«, sagte am Rand des Parteitags Yannick Haan, Co-Chef des linken SPD-Kreisverbandes Mitte, gegenüber »nd« zu den Wortbeiträgen der Parteivorsitzenden. »Nach zwei wirklich historisch schlecht ausgegangenen Wahlen ist die Landesspitze gefordert, klar zu sagen, woran es liegt, aber auch die eigene Verantwortung mal zu benennen.« Das hätte ihm gefehlt.
Deutlich anders Bausenator Christian Gaebler. »Bei so einer breiten Niederlage, denke ich, kann man das nicht an einem oder zwei Verantwortlichen festmachen«, sagte Gaebler zu »nd«. Auch dem Antrag der Jusos zur anzustrebenden Trennung von Amt und Mandat konnte Gaebler wenig abgewinnen. Das sei eine viel zu »schematische Festlegung«. Bei der künftigen politischen Aufstellung der SPD müsse es vielmehr auf »eine gute Mischung« ankommen: »Es macht keinen Sinn, zu sagen, Leute mit Regierungsverantwortung dürfen nicht in der Partei mitwirken. Es macht auch keinen Sinn, wenn alle Ämter von Regierungsmitgliedern besetzt sind.«
Der Jusos-Antrag durchlief am Freitag freilich noch eine erstaunliche Entwicklung. Zum Antrag wurde während des Parteitags ein Änderungsantrag des Parteinachwuchses nachgeliefert. Hier hieß es plötzlich nur noch, dass im Landesvorstand »künftig nicht mehrheitlich« Staatssekretäre, Senatoren oder Fraktionschefs vertreten sein sollen. Damit war nicht nur das absolute Ausschlusskriterium verschwunden. Auch hatte man den Fraktionsgeschäftsführer von der Liste gestrichen. Das ist aktuell Torsten Schneider, ein enger Vertrauter von Raed Saleh.
Überhaupt konnte, wer wollte, aus den geänderten Antragspassagen eine Entschärfung zugunsten von Partei- und Fraktionschef Saleh lesen. Auch aufgrund der Hinzufügung des interessanten Satzes: »Insbesondere sollte die zukünftige Doppelspitze nicht vollständig aus diesem Personenkreis stammen.« Der potenzielle Nutzen für Saleh liegt auf der Hand. Seine Machtbasis in der Berliner SPD ist bekanntlich deutlich größer als die von Co-Chefin Franziska Giffey.
Kurz vor der Abstimmung über den Antrag trat das Führungsduo noch einmal gemeinsam ans Rednerpult, wobei in erster Linie Saleh das Wort führte, um durchaus Überraschendes zu verkünden: Der Änderungsantrag habe seine »volle Unterstützung«. »Wenn die Partei es wünscht, dann gehen wir gemeinsam diesen Weg«, erklärte Saleh. Giffey fügte etwas weniger euphorisch hinzu: »Wir sind offen dafür, den Weg zu gehen.«
Nachdem nun die Chefetage grünes Licht gegeben hatte, wollten sich augenscheinlich auch die Gegner des Jusos-Papiers unter den Delegierten dem Antrag nicht mehr verschließen. Er wurde mit nur einer Gegenstimme beschlossen. Ob und was genau daraus folgt? Unklar. »Es war ein guter Parteitag«, rief ein zufriedener Raed Saleh kurz nach 23 Uhr den Delegierten in seiner Verabschiedung zu. Und: »Wir setzen das fort.«
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