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Update: Gedenken mit Störgeräuschen in Solingen

Vielstimmiges Gedenken am dreißigsten Jahrestag des Brandanschlags

Tatort und Gedenkort: Die Untere Wernerstraße in Solingen
Tatort und Gedenkort: Die Untere Wernerstraße in Solingen

Hunderte rote Nelken hängen an dem Ort, wo vor 30 Jahren das Unbegreifliche passierte, an einem Zaun. Junge Neonazis zündeten das Haus der Familie Genç an, Gürsün İnce, Hatice Genç, Gülüstan Öztürk, Hülya Genç und Saime Genç starben bei diesem Anschlag. Die Nelken haben die Teilnehmer*innen eines Mahngangs, der am Vorabend des Jahrestags stattfand, dort befestigt. Auf dem Grundstück stehen außerdem fünf Kastanienbäume, die an die Opfer erinnern sollen.

Der dreißigste Jahrestag des Anschlags ist ein besonderer Tag. Zum ersten Mal findet das Gedenken ohne Mevlüde Genç statt. »Mutter Mevlüde«, wie sie genannt wird, war im vergangenen November gestorben. Sie war eine beeindruckende Persönlichkeit, statt sich in Verbitterung zurückzuziehen engagierte sie sich für das Miteinander in der Stadt. Wegen dieses Engagements wurde sie am Sonntag auch auf besondere Art geehrt. Der Mercimek-Platz, vor rund zehn Jahren nach dem Heimatort der Familie Genç benannt, wurde umbenannt in Mevlüde-Genç-Platz.

Bei seiner Ansprache zur Einweihung des Platzes fand Solingens sozialdemokratischer Oberbürgermeister Tim Kurzbach die richtigen Worte. Er ehrte Frau Genç als »große Solingerin«, nannte die Namen von Straßen und Plätzen »eine Art Gedächtnis der Stadt«, das etwas über ihren Charakter aussage. Für Kurzbach gehört zum Charakter der Solinger Stadtgesellschaft, dass man sich gemeinsam »gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit« einsetzt.

Eindrücklicher als die Worte, die Kurzbach findet, ist die Ansprache von Özlem Genç. Sie ist die Enkelin von Mevlüde, ihr Vater wurde bei dem Brandanschlag verletzt. Sie lobt den Einsatz der Stadt im Kampf gegen Rassismus, macht aber gleichzeitig darauf aufmerksam, dass es immer wieder Rückschläge gibt. Özlem Genç fordert, »sprechende Gedenkorte« zu schaffen, die »mehr als nur Steine und Bilder« sind. Das sei nötig, um insbesondere junge Menschen aufzuklären und zu sensibilisieren. Im Geiste von Mevlüde Genç solle man sich einsetzen für »eine Welt, in der so etwas nie wieder geschieht«.

Doch es gibt auch Störgeräusche beim Gedenken. Kurz vor dem Jahrestag haben sich drei der vier für den Anschlag verurteilten Täter mit Erklärungen an die Öffentlichkeit gewandt. Darin betonen sie ihre Unschuld und inszenieren sich selbst als Opfer. Wortreich erklären sie, dass sie bei den Verhören der Polizei besonderem Druck ausgesetzt gewesen seien, aber weiter dafür kämpfen wollen, dass »die Wahrheit ans Licht kommt«. Das passt zu Diskussionen, die es in Solingen seit 30 Jahren gibt. Immer wieder haben Angehörige der Täter Zweifel gesäht. Vor fünf Jahren schrieb der Vater eines der Täter, dass es unter ihnen »drei schwer traumatisierte, unschuldige Opfer, derer es zu gedenken« gelte, gibt.

Rechtsanwalt Eberhard Reinecke, der im Prozess nach dem Anschlag die Nebenklage vertrat, nennt die Erklärung der drei Verurteilten »an Schamlosigkeit nicht zu überbieten«. Das Oberlandesgericht Düsseldorf habe sich in seinem Urteil auf 100 Seiten mit dem Geständnis von Markus Gartmann, der nun seine Unschuld beteuert, befasst. Wer über ein »falsches Geständnis fabuliert«, solle erst diese 100 Seiten des Urteils lesen, fordert Reinecke. Auch dass die Täter ihre damalige rechte Einstellung verharmlosen, Dinge schreiben wie etwa diese alleine mache »einen Menschen nicht zu einem Brandstifter und Mörder«, kritisiert Reinecke. Es sei glücklicherweise so, dass nicht jeder »rassistische Schreihals tötet«, umgekehrt gelte aber auch: »Es hat noch niemand ein von Ausländern bewohntes Haus angezündet, der nicht rechte Gedanken im Kopf hatte.« Die Erklärungen der Verurteilten und die Diskussionen darüber lenken für Reinecke vor allem »von den Aufgaben im Kampf gegen den Rassismus« ab.

Davon ablenken wollte an diesem Montag auch der neonazistische Provokateur Nicolai Nerling, besser bekannt als »der Volkslehrer«. Mitten in Solingen hielt er an diesem Montag eine Kundgebung für »die Wahrheit« ab. Nerlings These: Der Brandanschlag wurde vom Staat inszeniert, um Stimmung gegen Deutsche und für Migrant*innen zu machen. Dem Aufruf des Neonazis folgte nur eine Handvoll Menschen. Hunderte Antifaschist*innen fanden sich zu Protesten gegen die Provokation Nerlings ein, so dass seine Kundgebung von lauten »Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda!«-Rufen übertönt wurde.

Das Gedenken am Montag zeigte die politische Vielfalt der Erinnerung an den Solinger Brandanschlag. Am Vormittag veranstaltete der Moscheeverband Ditib ein Gedenken am Tatort. Dort fanden sich zahlreiche Offizielle aus der Türkei ein, wie der türkische Botschafter in Deutschland oder der stellvertretende Außenminister Yasin Ekrem Serim. Der Bundesvorsitzende der Ditib, Muharrem Kuzey, erklärte in seiner Rede zwar, dass er »nicht über das politische und gesellschaftliche Klima« reden wolle, in dem der Brandanschlag geschah. Trotzdem erinnerte er daran, dass der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl eine Teilnahme an der Trauerfeier ablehnte, weil er nicht in »Beileidstourismus« verfallen wolle. Kuzey kritisierte, dass es auch jetzt eine Stimmung gäbe, in der »ganze Teile der Gesellschaft marginalisiert und als Fremdkörper dargestellt« würden.

Inhaltlich nicht weit entfernt von zumindest diesen Äußerungen des Ditib-Funktionärs waren zahlreiche Redebeiträge auf einer linken Demonstration, die am Nachmittag mit über 600 Teilnehmer*innen durch Solingen zog. Die Akzente, die dort gesetzt wurden, unterschieden sich dennoch deutlich vom offiziellen Gedenken der Ditib oder der Stadt Solingen. So sprachen Angehörige und Freunde der Opfer von mehreren rassistischen Anschlägen. Es wurde auf Kontinuitäten des tödlichen Rassismus von Solingen über die Morde des NSU bis zur Tat in Hanau aufmerksam gemacht.

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