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Zum Pilz des Hippokrates durch den Frankenwald
Vor 50 Jahren wurde der Naturpark Frankenwald 2023 ins Leben gerufen. Vielseitige Landschaften, sattgrüne Natur und wundersame Gewächse begegnen einem dort.
Sattgrün zeigt sich die Natur. Ist sie nach diesem langen Winter noch dichter und farbintensiver aufgeploppt als die Jahre zuvor? Oder kommt einem das im Frankenwald nur so vor? Ein strahlend grüner Moosteppich überzieht den steilen Waldboden, auf dem riesige, schlanke Fichten wachsen. Deren feinen Spitzen essbar sind – weicher und heller als der Rest des Zweiges. Und wie sie schmecken! Herrlich zitronig, leicht herb. Naturpark-Ranger Jan van der Sant hat uns animiert, sie zu probieren: »Sie machen sich gut in Salaten oder Drinks!«
- Anreise: Mit der Bahn (ICE) von Berlin-Hauptbahnhof bis Bamberg und weiter mit dem Regionalzug nach Kronach.
- li>Unterkunft: JUFA-Hotel Kronach auf der Festung Rosenberg. Früher Jugendherberge, nun gemütliches, geschmackvoll eingerichtetes Hotel im mittelalterlichen Gemäuer. DZ/Nacht mit Frühstück ab 112 Euro im Juni 2023. www.jufahotels.com/hotel/kronach Outdoor-Fans kommen auf derzeit sechs Trekkingplätzen im Frankenwald voll auf ihre Kosten: Von April bis Oktober können sie in freier Natur in kleinen Nischen und Tälern für eine Nacht schlafen, z. B. Trekkingplatz Leitschtal. Stellplätze für mindestens vier Zelte auf Holzplattformen oder Bodenflächen. Mit Komposttoilette, Feuerstelle (Brennholz vorhanden), Wasserfass mit Brauchwasser, Getränkekisten mit Kasse des Vertrauens. Oft wenig bis kein Handyempfang! Die Übernachtung kostet pro Zelt (2–3 Personen) 15 Euro. Mehr unter www.frankenwald-tourismus.de/draussen/trekking
- Zunderschwamm: https://www.amadou.de
- Lamnitzpfad: Etwa 5,2 Kilometer lang ist der mittelschwere Rundwanderung mit 140 Höhenmeter Anstieg und Ausblick ins Tal kurz vor Wellesberg in 531 Meter Höhe. Auf Informationstafeln erfährt der Interessierte mehr zum renaturierten Lamnitztal. Die violette Flockenblume kennzeichnet den Pfad, der über den Forstweg zum Fichtenwald führt, dann zur Station Wiesental. Über den Holzsteg geht es zur Station Flößerei. Hinter dem Steg wandert man am Bach entlang flussaufwärts und entdeckt erste Biberspuren. Es empfiehlt sich, auf den Wegen zu bleiben, da das Gebiet sumpfig sein kann. Weitere Infos zur Tour unter www.frankenwald-tourismus.de. Dort können auch geführte Wanderungen und Touren mit Rangern gebucht werden.
Mit ihm und seiner Kollegin Clara Renner futtern wir uns heute durch den Wald und wandern ab dem Parkplatz Schnappenhammer bei Wallenfels nahe Kronach auf dem wiedereröffneten Lamnitzpfad durch den Naturpark. In Franken gibt es mehr als 50 zertifizierte Wanderwege, die das Qualitätssiegel »Wanderbares Deutschland« tragen. Vom Main bis zum Grünen Band bei Hof an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze erstreckt sich die gesamte Region auf etwa 1200 Quadratkilometer. Davon sind 1023 Quadratkilometer geschützte Naturparkfläche. Im April 1973, vor ziemlich genau 50 Jahren, wurde der Naturpark Frankenwald gegründet.
»Du kannst drei Tage unterwegs sein und siehst niemanden«, sagt Ranger Jan van der Sant. An beliebten Stellen wie dem Höllental sei das natürlich anders, aber auf dieser Zwei-Stunden-Tour über den Lehrpfad begegnet uns heute kein Mensch, nur auf den Höfen oder in den Mini-Ortschaften, die wir passieren. Eingehüllt allein von der Stille der Natur folgen wir den Schildern mit der heimischen Flockenblume, die den Lamnitzpfad kennzeichnen.
Die Lamnitz gluckert, Vögel schilpen, der Wind rauscht durch die Baumkronen, ein seltener Schwarzstorch kreist am Himmel. »Wenn der da ist, ist das ein Indiz für alte, intakte Wälder«, klärt der ausgebildete Forstwirt Jan auf. Als Ranger machen er und seine Kollegin Clara Renner nicht nur Umweltbildung mit Kindern, Gruppenführungen wie diese, sondern kümmern sich auch um Landschaftspflege oder Monitoring von Tieren.
Insekten brummen über einer toten Esche. Das Gehölz sei ökologisch wertvoll, so Rangerin Clara: »Vor 15 Jahren war hier im Kerngebiet des Lamnitzpfads alles Monokultur.« Vor allem Fichten dominierten, weil sie anspruchslos sind, schnell und gerade innerhalb von 80 bis 90 Jahren wachsen, was die holzverarbeitende Industrie freut. Der gefürchtete Borkenkäfer verspeist sie allerdings gerne, was auch hier zu Kahlschlag geführt hat. Buchen dagegen bräuchten rund 280 Jahre, bis sie groß und stattlich sind, erklärt Jan van der Sant: »Zeit ist für die Natur relativ. Der Baum, den ich pflanze, der ist für meine Urenkel.«
Überwiegend ist der Wald hier am Lamnitzpfad aber wieder »bunt« und gibt viel her: Fichtenspitzen, Beeren und reichlich Pilze – auch außerhalb der Saison. Besagte Pilze sind steinhart und sprießen wie überdimensional große Pickel an toten Laubbäumen. Beispielsweise der Zunderschwamm, der eine heilende Wirkung hat. »Ob das hier einer ist, kann ich nicht sagen«, gibt Van der Sant zu, während er den konsolenartigen, leicht rötlichen Fruchtkörper am Buchenstumpf vor sich begutachtet.
Einer, der es sicher weiß, ist Daniel Gareis. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit dem Baumpilz. In der ehemaligen elterlichen Gastwirtschaft in Marktrodach, etwa sechs Kilometer östlich von Kronach, hat seine Naturprodukte-Manufaktur seit 2015 ihren Firmensitz. Unter dem Label Amadou vermarktet er Kosmetika für die täglich schützende sowie medizinische Anwendung. »Das französische Wort Amadou bedeutet Zunder«, erklärt Gareis. Bevor es Feuerzeuge gab, hätten Menschen Zunderschwamm zum Anzünden genutzt. Schon Ötzi, die Eismumie aus dem Ötztal, habe das getan, wie Funde belegen.
»Seit Jahrtausenden liefert der Baumpilz uns natürliche Wirkstoffe. Als Pulver ist er wohltuend für Magen und Darm. In der Antike wurden die lockeren, saugfähigen Lappen auf Wunden gelegt. Der Pilz enthält antimikrobielle Stoffe und schützt vor Infektionen.« Die erste Erwähnung fand er bereits bei Hippokrates, dem Arzt des Altertums, so Daniel Gareis: »Kanadische Indianer behandelten damit wiederum Rheuma, indem sie betroffene Stellen mit erhitzten Zunderschwammstücken reizten. Moxibustion, kurz Moxen genannt.«
Wie kam er als gelernter Pharmazeutisch-technischer Assistent zum Pilz? »Da meine Eltern eine Gastwirtschaft hatten, fand ich Nahrung und Nahrungsergänzung schon immer interessant«, erzählt er, »und so habe ich Ernährungswissenschaften studiert.« Seine Diplomarbeit schrieb er bei einer Brauerei in Neumarkt in der Oberpfalz. »Dafür habe ich mich umfangreich mit Bierhefen beschäftigt und wissenschaftlich deren Sprosspilze untersucht.« Ihre Beta-Glucane unterstützen das Immunsystem, fand er heraus. »Diese habe ich in Shiitake-Pilze eingearbeitet und Vital-Pilze gezüchtet.«
Anschließend ist der Tüftler beruflich dazu übergegangen, gebrauchsfertige Cremes und Salben zu entwickeln. »Alle meine Erfahrungen habe ich dann zusammengemischt und umgerührt.« Heraus kam seine eigene Zunderschwamm-Manufaktur. Der Vital-Pilz, der auf unserer Nordhalbkugel vorkommt, enthält besonders viel komplexe Beta-Glucane, erklärt der Experte: »Ihnen werden entzündungshemmende Eigenschaften zugeschrieben, die Zellen regenerieren, sodass sich Wunden verschließen können.« An menschlichen Testzellen hat Daniel Gareis den Zunderpilz erforscht.
Während wir ihm im Gastraum lauschen, wandert ein Hut um den Tisch. Er ist aus Zunderschwamm. Weich, ja fast samtartig wie Wildleder fühlt sich das vegane Material an, und ganz leicht – wie das stabile Zunderpilzstück vor uns, das innen eine holzähnliche Maserung hat. Daniel Gareis erzählt derweil, dass er sein Pilzpulver mit Wasser vermengt trinke. Statt brauner Pilzbrühe mischt er für uns einen Energiedrink, der mit Rote Bete- und Bananen-Puder angereichert ist. Vielleicht nicht jedermanns Fall, aber mit dem Gedanken, dem Körper zu mehr Power zu verhelfen, leert sich das Glas.
Jetzt wollen wir aber wissen, ob das, was wir gestern gesehen haben, Zunderschwamm war. Daniel Gareis nimmt uns mit in die Kronacher Wälder zum Erntegebiet am Frankenweg. Das Auto parkt vor den »Radspitz-Stubn«. Stiefmütterchen blühen am Wegesrand einer großen Wiese. Mit Weitblick über die Fränkische Schweiz erobern wir den nächsten Waldabschnitt. Geodaten auf dem Handy weisen den Weg. »Per GPS werden betroffene Bäume erfasst«, so der Pilz-Experte und schlägt sich dann durchs Dickicht zu einem bemoosten Buchenstumpf.
Vorwiegend sei der Heilpilz auf Buchen, meint er: »Dort wird er größer als auf Birken.« Er befalle aber nur geschwächte Laubbäume. »Sie müssen Trockenstress haben oder eine Verletzung.« Der konsolenförmige, unscheinbare Pilzkörper zersetzt den Baum, schafft Humus und erhöht damit die Wasser-Speicherkapazität im Wald, was durch die immer trockener werdenden Sommer zunehmend an Bedeutung gewinnt. Zudem sorgt er für Lebensraum von Insekten. Die mehrjährigen Pilzgebilde können im Durchmesser bis zu 30 Zentimeter erreichen, 30 Jahre alt werden und bis zu 15 Kilo auf die Waage bringen.
»Man erkennt sie daran, dass sie wie Pferdehufe wachsen«, so Gareis. Außerdem weisen sie eine graue Färbung auf. Nein, hufförmig war unser Exemplar am Baum gestern nicht, grau auch nicht. Muss ein anderer Pilz gewesen sein.
»50 Prozent der Konsole dürfen wir jeweils kontrolliert abernten«, erklärt Daniel Gareis. »Wir stehen dabei im engen Kontakt mit den bayerischen Staatsforsten.« Der harte Zunderschwamm wird abgeklopft, 50 Kilo davon im Jahr weiterverarbeitet. Nachdem der Schwamm in der Werkstatt zerkleinert ist und ein spezielles Kochverfahren durchläuft, wird er getrocknet und von Partnern in Oberbayern zu Pilz-Naturprodukten verarbeitet. Eines davon kommt als Erinnerung mit: eine Handcreme aus Zunderschwamm, die die immer noch winterrauen Hände weicher macht. Klappt übrigens. Beim Eincremen schweifen die Gedanken dann jedes Mal zur Natur im Frankenwald. Wie sagenhaft und sattgrün diese ist! Eine Quelle der Schönheit.
Die Recherche wurde unterstützt vom Naturpark Frankenwald und Franken Tourismus.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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