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»Blue Skies« von T. C. Boyle: Natur im Widerstand
Den Klimawandel erzählen: T. C. Boyles neuer Roman »Blue Skies«
Das Verhältnis des Menschen zur Natur ist ein wiederkehrendes Thema in T. C. Boyles mittlerweile 18 Romane und mehrere Erzählbände umfassenden literarischem Werk. Schon vor über 20 Jahren befasste sich der in Kalifornien lebende Erfolgsautor, dessen Bücher mittlerweile zeitgleich auf Deutsch und Englisch erscheinen, mit dem Thema Klimawandel. In »Ein Freund der Erde« erzählt Boyle von einer nahen Zukunft im Jahr 2025, damals ein Vierteljahrhundert weit weg, in dem die Erde unter den massiven Folgen einer Klimaerwärmung zu leiden hat. Zwar sind einige der Szenarien von zerstörten Wäldern, einer Vielzahl unkontrollierbarer Stürme und bedrohlicher Trockenperioden längst Realität geworden, vor allem in T. C. Boyles kalifornischer Heimat und aktuell in Südeuropa. Aber die Gegenwart fühlt sich dann doch nicht ganz so dystopisch an, wie es der Roman nahelegt, wo nebenbei auch noch die Sozialsysteme zusammenbrechen.
Vielleicht sah sich Boyle auch deshalb bemüßigt, den Klimawandel, der derzeit zum alles dominierenden gesellschaftspolitischen Thema wird, ins Zentrum seines neuen Romans »Blue Skies« zu stellen. Dabei läuft der 74-jährige Autor, dessen Romane mitunter auch etwas beliebig und massenpublikumstauglich an medienwirksamen Themen entlanggeschrieben waren, zu beachtlicher Form auf.
In »Blue Skies« verzichtet Boyle darauf, die Handlung an ein bestimmtes Datum zu knüpfen. War »Ein Freund der Erde« noch regelrechte Pionierarbeit, da es damals kaum schöne Literatur zum Thema Klimawandel gab, ist »Blue Skies« Teil eines weiterreichenden Panoramas von Erzählungen, die sich mit verändernden Lebensbedingungen in der nahen Zukunft beschäftigen. Die starbesetzte Serie »Extrapolations« (Apple TV) belegte erst vor Kurzem, dass dieses Subgenre der Science-Fiction gerade im Mainstreambereich ankommt.
Auch Boyles neuer Roman dürfte weltweit ein Riesenpublikum erreichen und große Resonanz in den Feuilletons hervorrufen. Motivisch ist das Buch an einigen Stellen eng mit »Ein Freund der Erde« verknüpft, als würde der Autor auf seine Arbeit von damals verweisen wollen. Es ist im sich dramatisch verändernden Alltagsleben ganz durchschnittlicher Amerikaner in Kalifornien und Florida angesiedelt. Das ältere Ehepaar Frank und Ottilie lebt in einer nahen Zukunft an der kalifornischen Küste, wo es immer heißer wird. Selbst nachts fallen die Temperaturen kaum unter 30 Grad, tagsüber steigen sie so weit an, dass ältere Leute Hitzschläge erleiden.
Ihr schon erwachsener Sohn Cooper arbeitet als Insektenforscher in den kalifornischen Bergen, wo es heiß wie in einem Brutofen ist. Tochter Cat lebt in Florida, wo die junge Frau von einer Karriere als Influencerin träumt. Ihr Mann Todd arbeitet als Werbebotschafter für Bacardi und hangelt sich von Party zu Party. Dementsprechend bilderbuchartig ist ihr Leben in einem Haus an der Küste von Florida mit Sandstrand, Meer und sich im Wind wiegenden Palmen. Aber erst nur ganz langsam und dann immer rasanter verändern sich die Lebensumstände der einzelnen Familienmitglieder.
Cooper, der seine Doktorarbeit über den immer seltener werdenden Monarchfalter schreibt, wird während seiner Feldforschung von einer Zecke gebissen. Die Wunde entzündet sich, schließlich muss sogar sein Arm amputiert werden. Cat wiederum hält sich Schlangen, beginnt zu trinken und ist nur noch bedingt in der Lage, sich um ihre beiden Zwillinge zu kümmern. Das Drama nimmt bald seinen Lauf, während dauerhafte Stürme und Regengüsse Florida regelmäßig in ein Überschwemmungsgebiet verwandeln. Stück für Stück lässt Boyle den Alltag der Familien eskalieren. Ein Tropensturm fegt Cats Hochzeitspavillon weg, das von Termiten angefressene Haus fault langsam vor sich hin und die Hofeinfahrt des Traumhauses in Florida ist bald nur noch mit einem Boot zu passieren.
In Kalifornien wird es derweil immer trockener. Die Waldbrände nehmen dramatisch zu. Schließlich fackelt ein Feuer die ganze Wohngegend der Eltern ab, die obdachlos gewordene Freunde bei sich aufnehmen müssen. Duschen wird zum Luxus, denn die Wasserrechnung beträgt mehr als 1000 Dollar im Monat, und das bei einem radikalen Wassersparkurs. Aber auch Lebensmittel werden unerschwinglich. Mehlwürmer und Grillen stehen daher regelmäßig auf dem Speiseplan, Fleisch gibt es sonst nur noch als hochpreisig künstlich fabriziertes Laborprodukt. Der kalifornische Wein wird zum absoluten Luxus.
Boyle versteht es, den Lebensalltag des Mittelstandes und seinen Konsum in der vom Klimawandel betroffenen nahen Zukunft verstörend pointiert zu inszenieren. Das wirkt alles so greifbar und überhaupt nicht aufgesetzt, da es sich an aktuellen Entwicklungen orientiert und keine großen Sprünge ins Reich der Fantastik macht. Lediglich ein massenhaftes weltweites Insektensterben, das eine Art Hintergrundrauschen für die überaus spannende Handlung darstellt, wirkt wie Science-Fiction. Denn natürlich geht es in dem Roman auch wie bei Boyle üblich um zwischenmenschliche Abgründe, scheiternde Ehen, gefährliche Haustiere, romantische Begegnungen, schiefgelaufene Karrieren, Kinderglück, stumpfen Sexismus, taffe Frauen und die Idiotie der glitzernden Konsumwelt.
Die wird vor allem anhand der sich in einen Albtraum verwandelnden Bacardi-Tropenwelt in Florida vorgeführt. Wo Todd vor Kurzem noch Partys feierte und als braun gebrannter Vorzeigekonsument am Grill stand, peitscht jetzt ein Regensturm nach dem anderen über die Küste. Während Kalifornien in der Trockenheit einer erbarmungslosen Sonne und des Titel gebenden blauen Himmels vor sich hin brät, säuft Florida langsam in einem nach Fäulnis stinkenden und kaum nachlassenden Regensturm ab. Die Natur erweist sich im Lauf des Romans als äußerst widerständig, egal ob es der Zeckenbiss ist, der Coopers Leben auf den Kopf stellt, die Alligatoren, die plötzlich an der überschwemmten Küste Floridas durch die Wohngegenden schwimmen, oder die Termiten, die langsam Cats Haus auffressen, das schließlich in einem furiosen Finale mitten in der Nacht in sich zusammenstürzt.
»Blue Skies« erzählt mit Boyle’scher Ironie und viel Empathie von Verlust, Trauer, Abschieden und einer Welt, die aus den Fugen gerät und mit der sich die Menschen arrangieren müssen. Boyle schraubt dabei sehr behutsam und gekonnt an der Eskalationsschraube. Das ist der große Unterschied zu seinem Klimawandelroman von vor über 20 Jahren. Und das macht auch die Qualität dieses Buches aus.
Ob der Klimawandel in Mitteleuropa und in den USA genauso im Lauf der kommenden Jahre erlebt wird und das, wovor Aktivist*innen und Gruppen wie die Letzte Generation warnt, eintrifft, bleibt abzuwarten. Robert Kurz wies gerne darauf hin, dass auch der an seine innere Schranke stoßende Kapitalismus während seines langwierigen Untergangsprozesses von vielen immer noch als krisensicher bewertet werden würde. Mit der Klimakrise wird das nicht viel anders sein. T. C. Boyles Roman bietet einen realitätsnahen und erschreckenden Blick in diese dystopische, vielleicht schon um die Ecke auf uns wartende Zukunft.
T. C. Boyle: Blues Skies. A. d. Engl. v. Dirk van Gunsteren. Carl Hanser Verlag, 400 S., geb., 28 €.
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