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Ein Bier für Xaõ Seffcheque
Schneller denken: Zum Tod des Musikers und Autors Xaõ Seffcheque
»Vor Punkrock haben die Plattenfirmen gesagt: Du musst Jazzrock in 18-facher Geschwindigkeit spielen, 16 Jahre Musik studiert haben, Haare am Kopf haben, deren Länge zweimal um die Erde reicht und dann kriegst du vielleicht einen Vorvertrag, der dich irgendwann berechtigt, eine Platte aufzunehmen. Und dann haben wir gesagt: Ist ganz anders« – das erzählte mir der Musiker und Autor Xaõ Seffcheque in einem Interview. Für ihn war zwischen 1981 und 1991 die aufregendste Zeit, als sich in der BRD die Punkidee auffächerte zu teilweise toller neuer Musik. Da war er Anfang 20 bis Anfang 30, dieses Alter, wenn man ein Bewusstsein entwickelt und damit auch Dinge umsetzen will.
Xaõ Seffcheque war damals in Düsseldorf und in erster Linie der Gitarrist von Family 5, einer famosen Punksoulband mit Bläsern, die er mit dem Sänger Peter Hein gründete, nachdem der mit Fehlfarben »Monarchie und Alltag«, die beste deutsche Postpunk-Platte überhaupt, eingespielt hatte und dann doch kein Popstar werden wollte. Xaõ Seffcheque wäre gern einer geworden. Er machte drei Avantgarde-Unterhaltungsplatten mit genialen Titeln: »Deutschland nicht über alles«, »Sehr gut kommt sehr gut« und »Ja – Nein – Vielleicht«. Bei der Düsseldorfer Punkausstellung »Zurück zum Beton« 2002 wurde sein altes Outfit ausgestellt: Jacke, Hemd, Hose, Mütze, fingerlose Handschuhe und Gitarre. Vorübergehend betrieb er das Musiklabel »Sneaky Pete« mit Hein: »Wir beide sind Rock ’n’ Roll-Spießer und Punkrock-Buchhalter, du kannst dir aussuchen, wer wer ist, habe ich immer gesagt.«
Er war nach Düsseldorf aus Graz gekommen, wo er 1956 als Alexander Sevschek geboren wurde. An der Schule führte er ein Antinationalfeiertags-Musical auf, das er dirigierte. In der Klasse unter ihm waren Peter Glaser, Werner Schwab und Chris Scheuer. Mit Glaser ging er dann nach Düsseldorf, weil Graz von älteren Literaten wie Peter Handke und Wolfgang Bauer beherrscht wurde. Im Rheinland gründeten sie die Produktionsgruppe O.R.A.V. (Ohne Rücksicht auf Verluste), um Texte für die Zeitschrift »Sounds« zu verfassen und auch ein bisschen Musik zu machen.
Peter Glaser wurde Schriftsteller und schrieb später über Peter Hein bei Family 5: »Diese Stimme sagt: Du bist gerettet. Aber nur wenn du immer in Bewegung bleibst.« Das war auch ungefähr das Motto von Xaõ Seffcheque. Er begann Drehbücher zu schreiben, unter anderem für den »Tatort«, auch wenn er wusste, wie blöd das Fernsehen eigentlich ist. »Die kapieren nicht! (Ran! Ran! Ran!«) hieß das erste Lied auf der einzigen Platte, die Family 5 für die Industrie aufnahmen: »Ball der Verwirrung«, eine EP 1983 für Teldec.
Er war sehr witzig und sympathisch, konnte sehr schnell denken und reden und verstand sich als eine Art Meldegänger zwischen Mainstream und Underground. Bei den TV-Sendern ärgerte ihn besonders die Verzagtheit, die für ihn beim Fußball undenkbar war: »Wenn der Anstoß erfolgt, will ich gewinnen, auch wenn der Gegner Bayern München heißt. Und wenn wir 0:16 verlieren, dann haben wir halt verloren. Aber wenn ich schon mit der Einstellung in das Spiel reingehe, alles unter 0:16 ist eigentlich ganz gut, dann macht das keinen Spaß«, sagte der Anhänger von Fortuna Düsseldorf, einem Klub, der die Bayern 1995 das letzte Mal besiegen konnte (im DFB-Pokal).
Es ist fast genauso lange her, dass ich versuchte, zu Family 5 zu pogen. Bei ihrem Konzert Anfang der Nullerjahre im Berliner »Magnet« schaffte ich nach drei Hefeweizen kaum drei Lieder und dachte, gleich falle ich um. Auf der Bühne stand Peter Hein und rief: »Dass hier gepogt wird – dazu habe ich nicht aufgerufen. Davon müssen wir uns distanzieren!« Um dann den Druck zu steigern. Bamm-bamm: »Shake – some – action is what I need.« Und dann verlangte Xaõ Seffcheque auf der Bühne nach etwas zu trinken. Die Band sang: »Ein Bier für Xaõ«. Ich stand an der Theke und hielt mich inzwischen an einem Mineralwasser fest. Kurz vor Pfingsten ist Xaõ Seffcheque gestorben, er wurde 67 Jahre alt. Vorher ist ein neuer Family 5-Sampler mit Coverversionen erschienen: »Don’t let it be«.
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