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Lina E. Wütende Proteste – Update: Stadt Leipzig verbietet Demo
Nach dem Urteil im Prozess gegen Lina E. gehen bundesweit Tausende auf die Straße
Ein kleines bisschen Freude kam an einem Tag, der für viele Menschen von Wut geprägt war, dann doch auf. Gegen acht Uhr am Mittwochabend verbreitete sich die Meldung, dass Lina E. erst einmal in Freiheit ist. Das Dresdner Oberlandesgericht hatte entschieden, dass der Haftbefehl gegen die Antifaschistin, die zu einer Strafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt wurde, außer Vollzug gesetzt wird. Zwar muss Lina E. nun zahlreiche Auflagen einhalten, unter anderem ist sie verpflichtet, sich zweimal in der Woche bei der Polizei zu melden, und ihr Personalausweis und Reisepass befinden sich in amtlicher Verwahrung, aber sie ist frei, bis ihr Urteil rechtskräftig wird.
»Der Jubel war groß, als die Nachricht eintraf, dass Lina zunächst freigelassen wird«, berichtet die linke Leipziger Landtagsabgeordnete Jule Nagel, die am Mittwochabend an einer Solidaritätsdemonstration für die verurteilten Antifaschist*innen in Dresden teilnahm. Nagel erzählt von einem massiven Polizeiaufgebot bei der Dresdner Demonstration. Besonders am Innenministerium und an der Polizeidirektion hatte sich die Polizei mit einem Großaufgebot aufgestellt. Dabei verlief bei der Demonstration mit 500 Teilnehmer*innen alles friedlich, wie Nagel im Gespräch mit »nd« berichtet.
In Leipzig, dem zentralen Ort für die Verurteilten im Antifa-Ost-Verfahren, versammelten sich am Abend Hunderte Menschen. Die Polizei verhängte unter anderem wegen der großen Zahl an Teilnehmer*innen die Auflage, dass die Demonstration als Standkundgebung stattzufinden habe. Viele Demonstrant*innen wollten trotzdem laufen. In der Folge kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Auch in Berlin gingen am späten Mittwochnachmittag mehrere Hundert Menschen auf die Straße, um gegen das Urteil zu demonstrieren. »Wir können die Urteile nicht beeinflussen. Wir können jedoch zeigen, dass wir das nicht still hinnehmen. Auch deshalb gehen wir auf die Straße«, teilten die Veranstalter*innen im Vorfeld mit. Die Berliner Polizei sprach gegenüber »nd« von in der Spitze rund 450 Personen. Begleitet wurde der Zug von einem mit gut 240 Einsatzkräften durchaus als massiv zu bezeichnenden Polizeiaufgebot.
In Kreuzberg kam es schließlich zu Tumulten, als Polizist*innen »die Demo massiv angriffen«, sagte am Donnerstag eine Teilnehmerin zu »nd«. Das sei »wirklich krass« gewesen: »Es gab keinerlei Provokation und die Cops sind da brutal rein, nur weil sie Bock hatten. Das war unglaubliche Gewalt.«
Die Polizei selbst stellte den Sachverhalt naturgemäß anders dar. Demzufolge kam es im Zusammenhang mit der Demonstration zu Sachbeschädigungen und tätlichen Angriffen auf Vollstreckungsbeamt*innen und in der Folge zu 18 Festnahmen, die überwiegend der erkennungsdienstlichen Behandlung gedient haben sollen.
Polizeigewalt gab es auch in Bremen. Über 400 Menschen sind gestern wütend anlässlich des Urteils gegen Lina auf die Straße gegangen. »Sie demonstrierten für einen Antifaschismus, der sich nicht nach Recht und Gesetz richtet, sondern ob er Nazis schadet.«, erklärt Tina Simons von der Bremer Basisgruppe Antifaschismus. Die Polizei habe das Steintor- und Ostertorviertel unter anderem mit Wasserwerfer und Räumpanzer in »einen Belagerungszustand versetzt.« Deswegen, so Simons, sei es »sehr schnell zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei« gekommen. »Über 70 Personen wurden im Laufe des Abends von der Polizei in Gewahrsam genommen, es gab mehrere teils Schwerverletzte«, kritisiert die Sprecherin der Bremer Antifagruppe den Polizeieinsatz. Beeindruckend sei der hohe Zuspruch von Anwohner*innen für das Anliegen der Antifaschist*innen gewesen.
Zu Übergriffen durch die Polizei kam es auch in Köln, wo eine Demonstration mit 250 Teilnehmer*innen sich nicht einmal von ihrem Auftaktort wegbewegen konnte und in Hamburg, wo über 2500 Menschen vor der Roten Flora mit einer Demonstration begannen.
Mit Spannung wird nun das Wochenende in Leipzig erwartet. Dort soll am Samstag eine Solidaritätsdemonstration stattfinden. Die Stadt reagiert darauf äußerst nervös. Am Dienstag hat sie eine Allgemeinverfügung erlassen und große Teile des Stadtgebiets wurden zu Kontrollzonen erklärt, in denen die Polizei erweiterte Befugnisse hat. In der Verfügung heißt es, dass mit 1500 »gewaltbereiten und gewaltsuchenden Linksextremisten« aus Deutschland und den Nachbarländern zu rechnen sei.
Jule Nagel befürchtet, dass sowohl Sicherheitsbehörden als auch einige Medien an einer »selbsterfüllenden Prophezeiung« arbeiten und eine »eskalative Stimmung« schüren. Die Allgemeinverfügung und die Kontrollzonen wirken auf die Landtagsabgeordnete »hilflos«. Auch ein komplettes Verbot der geplanten Antifa-Demo hält Nagel nicht für ausgeschlossen. Das wäre aus ihrer Sicht aber »das vollkommen falsche Signal«. Nagel fordert: »Das Recht auf Versammlungsfreiheit darf nicht hysterischer Stimmungsmache geopfert werden!« An Antifaschist*innen appelliert die Linke, »besonnen« zu agieren. Sie sollten daran denken, dass der Kampf gegen Nazis, gerade in Sachsen, Bündnisse braucht.
Update: Das von Jule Nagel befürchtete Demonstrationsverbot wurde am Donnerstagabend Wirklichkeit. Gegen 18 Uhr gab die Stadt Leipzig bekannt, dass sie die Demonstration unter dem Motto: »United we stand – Trotz alledem, autonomen Antifaschismus verteidigen!« verboten hat. Als Gründe dafür führt sie die Gefahrenprognose der Polizei, eine Lageeinschätzung des Verfassungsschutzes und nicht näher genannte »Erkenntnisse der Versammlungsbehörde« an. Das Verbot sei die einzige Möglichkeit, einen »unfriedlichen Verlauf« der Versammlung zu verhindern. Es ist davon auszugehen, dass die Veranstalter*innen der Demonstration gegen das Verbot klagen werden.
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