Arbeitskampf: »Bei der BSR waren wir heiß auf Streik«

BSR-Kraftfahrer und Gewerkschafter Robert Wehrhahn über den zurückliegenden Arbeitskampf und den Tarifabschluss für den Öffentlichen Dienst

  • Interview: Christian Lelek
  • Lesedauer: 5 Min.
Für die »Mülle« im Berliner Norden unterwegs: Verdi-Vertrauensmann Robert Wehrhahn
Für die »Mülle« im Berliner Norden unterwegs: Verdi-Vertrauensmann Robert Wehrhahn

Die Tarifrunde Öffentlicher Dienst ist Geschichte. Wie zufrieden sind Sie mit dem Ergebnis?

Interview

Robert Wehrhahn arbeitet als Berufskraftfahrer für die Berliner Stadtreinigung (BSR). Am Standort Malmöer Straße in Prenzlauer Berg ist er einer von elf Verdi-Vertrauensleuten. Gewerkschafter ist der 28-Jährige, seit er als Azubi ein rechtliches »Missverständnis« mit einem früheren Arbeitgeber hatte.

Ich finde den Abschluss mega. Es ist einer der höchsten, den wir jemals hatten. Dass wir das Ziel von 500 Euro Lohnsteigerung nicht erreichen, war uns allen klar. Das war eine sehr hohe Forderung. Gerade für die unteren Lohngruppen auch der anderen Öffentlichen Dienste – zum Beispiel der Krankenhäuser – ist das Angebot extrem gut.

Die Angestellten der BSR zählen zu den unteren Lohngruppen?

Jein. Wir verdienen für die Tätigkeit, die wir ausüben, nicht schlecht. Besser geht immer. Aber besonders für Mitarbeiter des Recyclinghofes, der Kantinen und für die Reinigungskräfte ist das eine deutliche Steigerung.

Denken Sie, es wäre mehr drin gewesen, wenn die Arbeiter*innen in den Erzwingungsstreik gegangen wären, statt das Ergebnis anzunehmen?

Das ist eine schwierige Sache. Die Verdi-Gewerkschaftsleitung um Frank Werneke und Christine Behle haben als erfahrene Verhandler schon einige Tarifrunden mitgemacht. Verdi war auf den Erzwingungsstreik vorbereitet. Aber diesmal wurden die Mitglieder aller Landesbezirke befragt und die haben gesagt: Das Ergebnis ist soweit in Ordnung. Ich kann nur sagen, bei der BSR waren wir alle heiß, wir wären sofort in den Streik gegangen.

Was hat die Kolleg*innen zum Arbeitskampf motiviert?

Die Inflation. Die Inflation ist immer noch extrem hoch. Unser Mitarbeiterstamm ist sehr jung. Von denen haben viele Kinder. Da macht sich das besonders bemerkbar, wenn am Monatsende nicht mehr so viel da ist.

Haben die Anfangsforderungen, die die Gewerkschaft aufgestellt hatte, die Kolleg*innen abgeholt?

Auf jeden Fall, weil in dieser Runde sehr viel in die Beschäftigtenbefragung investiert wurde. Diesmal wurden alle Mitarbeiter und Mitglieder gefragt: Wie stellt ihr euch das vor? So hatten wir einen schlüssigen und sinnvollen Forderungskatalog. Auch als die Verhandlungen zäher wurden, stand der Großteil hinter den Forderungen. Von uns aus hieß es: Bleibt dran, wir ziehen mit!

Es gab eine große Streikwoche der BSR Anfang März.

Ja, in der Woche fiel der 8. März als Feiertag auf einen Mittwoch. Zwei Tage haben wir die Müllabfuhr bestreikt. Dann kam der Feiertag. Dann zwei Tage Streik im Müllheizkraftwerk, das den Müll verbrennt. Das hat gut funktioniert. Dabei haben wir nicht die komplette BSR in den Streik gerufen, sondern gezielt einzelne Säulen, so nennt sich das bei uns: die Hotspots wie das Müllheizkraftwerk, die Müllabfuhr, aber auch die Straßenreinigung und die Hauptverwaltung. Samstag haben wir dann noch mal zu einem großen gemeinsamen Streik gerufen. Da unser Arbeitgeber unseren Organisationsgrad unterschätzt hatte, hat ihn das aus der Bahn geworfen. Bei dem war Chaos. Mit so einer massiven Streikwelle hatte er nicht gerechnet.

Nach Angaben von Verdi hat sich der Organisationsgrad mit Blick auf alle Unternehmensbereiche im Zuge der Tarifkampagne von 54 auf 62 Prozent erhöht. Warum hat der Arbeitgeber sie so unterschätzt?

Der Arbeitgeber hat intern wie bei jedem Streik abgefragt, wie viele Mitarbeiter arbeiten würden, wenn es zum Streik käme. Wir waren eigentlich immer schon gut organisiert. Aber diesmal lief es zu Anfang schleppend. Viele neue Kollegen wussten gar nicht, was die Gewerkschaft ist, die waren damit noch nicht in Berührung. Die mussten wir erst mal aufklären und einfangen. Das hat dann unseren Organisationsgrad gepusht. Dabei haben wir viele als Vertrauensleute gewonnen. Bei denen stand am Ende: »Das kannte ich vorher gar nicht, finde ich cool, will ich weitermachen« und: »Ich will damit noch weiter in die Tiefe gehen«.

Sie sind schon während der letzten Tarifrunde aktiv gewesen. Wie würden Sie diese mit der aktuellen vergleichen?

Damals gab es nur ein oder zwei Streiktage. Da ist auch ein nicht so schönes Ergebnis rumgekommen. Viele Kollegen wollten da nichts mehr mit der Gewerkschaft am Hut haben. Als diese Kollegen jetzt die Forderungen lasen und verstanden, dass sie demokratisch zustande kamen, haben sie gesagt: Okay, mal sehen, wie sie (die Verhandler, Anm. d. Red) sich verkaufen. Als sie dann realisiert haben, dass es diesmal ganz anders aufgezogen wurde, waren viele wieder dabei.

Was heißt »ganz anders aufgezogen«?

Wir haben zum Beispiel sogenannte Arbeitsstreiks durchgeführt. Dabei wird nicht der gesamte Betrieb aufgerufen, sondern nur einzelne Mitarbeiter, eben wir Vertrauensleute oder auch Streikdelegierte, die konkret nur den Streik mitorganisieren. So kamen von allen BSR-Betrieben – der Müllabfuhr, der Straßenreinigung und der Hauptverwaltung, die auch die Azubis betreut – Leute zusammen. Aber nicht nur die BSR, auch die Krankenhäuser und die Berliner Wasserbetriebe organisierten Arbeitsstreiks und kamen zu diesen Versammlungen. Vorab war der grobe Fahrplan des Arbeitskampfes von der zentralen Arbeitskampfkommission aufgestellt worden. Den haben wir dann mit unseren Ideen verfeinert und vor allem überlegt, wie er sich betriebsspezifisch umsetzen ließe.

Was haben Sie für Feedback auf der Straße bekommen, nachdem der Müll teilweise tagelang liegen geblieben war?

Die Leute waren extrem entspannt. Vereinzelt haben sich Leute beschwert, aber die Mehrheit hat gesagt: »Ist cool, zieht durch, es lohnt sich.« Und: »Es wird Zeit, dass man denen da oben mal zeigt, wo der Hammer hängt.«

Haben Sie einen Geheimtipp, wie man Kolleg*innen dazu kriegt, für die Gewerkschaft aktiv zu werden?

Unseren Leuten sage ich immer: Den Luxus, den ihr bei uns habt, wie 38-Stunden-Woche oder 13. Monatsgehalt, hättet ihr ohne die Gewerkschaft nicht. Das überzeugt.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.