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Milchiger Dunst am Plattensee
Anne Hahn über eine vergessene Reise an den ungarischen Plattensee in den 1980er-Jahren und Zsuzsa Bánks Debütroman »Der Schwimmer«
»An heißen Tagen, und bis September gab es viele, wenn die feuchte Luft Spuren auf unserer Haut ließ, konnte es so diesig sein, dass ich weder sah, wo der Himmel endete, noch wo der See begann. Es konnte Stunden dauern, bis sich der Dunst auflöste, und Isti und ich, wir warteten, bis wir eine kaum sichtbare Linie zwischen Luft und Wasser erkennen konnten. Ein mattes Licht breitete sich aus, eher weiß als blau, und Isti sagte, sie haben ein Netz vor den Himmel gehängt.«
Am ungarischen Plattensee war ich einmal als Siebzehnjährige und das zweite Mal vor acht Jahren, unterwegs von der Adria nach Berlin. Ich habe keine Erinnerung daran, wie meine Freundin Susi und ich 1983 von Magdeburg an den von uns Balaton genannten See gelangt waren, aber ich weiß, dass wir am Strand lagen, abends tanzen gingen und auf dem Zeltplatz Skatspielen lernten. Der See war milchig und warm. Tausende Menschen standen bis weit hinaus im flachen Wasser, die Landstraßen ringsum quollen über von Trabis, Dacias und Skodas. Nach diesem Sommer vergaß ich den Balaton.
»Abends ging mein Vater hinunter zum See, selbst wenn es regnete, wenn es über Nacht kalt geworden war, und ich folgte ihm, ohne dass er es merkte. Ich kannte den Weg, den er zwischen Weinstöcken und später über Wiesen, vorbei an Pappeln nahm, und ging kurz nach ihm los.«
Mit dem Finger folge ich im September 2015 dem Weg zum größten Steppensee Europas in den Seiten des Autoatlas. Aus Kroatien kommend kreuzen wir Wasserfälle und Berge, Ruinen des jugoslawischen Bürgerkriegs, die Gedenkstätte eines KZ-Außenlagers und Roma-Siedlungen bar jeder Infrastruktur. Dann weitet sich die Landschaft. Meine Neugier auf den knapp 80 Kilometer langen Plattensee ist durch Zsuzsa Bánks Debütroman »Der Schwimmer« wieder geweckt worden. Die Verbundenheit spricht aus jeder Zeile der Tochter ungarischer Eltern.
»Isti und ich hatten an einem Sonntag schwimmen gelernt. An einem dieser Sonntage, wie es sie hier oft gab, mit einer Stille, die bloß den Flügelschlag eines Vogels zuließ, der sich im Wein verfangen hat.«
Als mein Freund und ich in einem Städtchen mit vernagelten Hotels und verlassener Promenade landen, erkenne ich den See sofort wieder. Sein blasses Blaugrün, den Dunst. An der Seebrücke sitzen Angler, Möwen kreisen über dümpelnden Ausflugsbooten. Nebelhafte Weinberge säumen das ferne Nordufer. Kata und ihr kleiner Bruder Isti, die Protagonisten des Romans »Der Schwimmer«, verbringen mit ihrem Vater Ende der 50er Jahre einen Sommer auf einem dieser Hänge. Zwischen dessen Weinstöcke stellt sich das Mädchen, um nachts auf den See zu schauen, der im Dunkeln aussieht wie eine große glatte Scheibe.
»Bis zum Abend waren wir auf der Sandbank geblieben, auf einem schmalen Streifen Sand in den Wellen, waren geschwommen, hatten uns ausgeruht, hatten meinem Vater dabei zugesehen, wie er sich schwimmend von uns entfernte, wie er die Hand hob und uns winkte, von der nächsten Sandbank aus, unter einem Himmel, der an diesem Tag nicht blau, sondern gelb war.«
Vater und Kinder sind verlassen worden von Frau und Mutter, die Trauer soll Jahre währen. Das einzige Glück auf dieser Wanderung schenkt das Schwimmen, erst dem Vater, später dem Sohn. Vor Unheil bewahrt es nicht. Mir gibt der Roman den See zurück, wie ich ihn noch nicht gekannt habe – menschenleer, voller Poesie. Als ich an einem Campingplatz morgens in den weichen See wate, erhebt sich ein Schwarzstorch aus dem Schilf und zieht hinaus in den Dunst.
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