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- Ezzes von Estis
Scho
Was heißt »scho«? »Scho« heißt: »Was?«
Was heißt »scho«? »Scho« heißt: »Was?«
»Scho« ist das gleiche wie »schto«, aber es wirkt besser: »Schto« stockt, »scho« schäumt. Manche würden sagen: »Scho« heißt »Wie bitte?«. Aber in Wirklichkeit ist »scho« das Gegenteil von »Wie bitte?«, und damit meine ich nicht etwa »So danke!«. Das Gegenteil von »wie bitte« ist »scho«, denn es heischt nicht nach Erklärung, es heischt nicht nach Gespräch, es heischt gar nicht. »Heischt«! Was heischt das? Ich weiß es nicht. Aber ich sage es trotzdem. Wenn ich etwas nicht weiß, es aber trotzdem sagen will, dann sage ich: »Scho?«
Alexander Estis, freischaffender Jude ohne festen Wohnsitz, schreibt in dieser Kolumne so viel Schmonzes, dass Ihnen die Pejes wachsen.
Mit »scho« kannst du auf mindestens vierhundertsiebenundsiebzig Arten zu verstehen geben, dass du etwas nicht verstehst. Und man wird dich verstehen!
»Ich bin schwanger!« »Scho?« (Das heißt: Wir haben es seit drei Jahren versucht, und jetzt bist du endlich schwanger?) »Ich bin schwanger!« »Scho …?« (Das heißt: Wir haben es seit drei Jahren nicht mehr versucht, und jetzt bist du schwanger?) »Ich bin schwanger!« »Scho???« (Das heißt: Schön für dich, aber wer bist du?)
»Scho« bedeutet nämlich auch: Ich habe keine Ahnung, was ich tun oder sagen oder nicht sagen soll. Und weil es so viele Menschen gibt und so wenig Ahnung, gibt es auch so viele Wörter mit »scho«. Es sind so viele, ich weiß gar nicht, wie viele! Und noch schlimmer: Es sind so viele, ich weiß gar nicht, welche!
Scho? Na gut, ich weiß welche, und ich weiß sogar, wie viele ich weiß. Ich weiß nur nicht, wozu. Ich weiß diese drei: Wer sich nicht entscheiden kann, was er kalt und was er warm essen soll, nennt es Chaudfroid. Wer sich nicht entscheiden kann, was er trinken soll, nennt es Schorle. Und wer sich generell nicht entscheiden kann, was er tun soll, nennt sich Scholz.
Das ist empörend. »Scho« ist eine Explosion der Empörung, eine Eruption, ein vulkanischer Ausbruch. »Ich bin schwanger!« »Schoooo?!« (Das heißt: Wir haben dich gewarnt! Deine Erbschaft kannst du abschreiben!)
»Scho« ist die vollkommene Ablehnung. »Scho« bedeutet zum Beispiel: Ich verstehe nicht, was du mir sagen willst, und ich habe auch keine Lust, zu verstehen, was du mir sagen willst, und ich habe nicht einmal Lust zu verstehen, warum ich keine Lust habe, dich zu verstehen. Deshalb frage ich einfach: »Scho?«
Sagen wir, ich habe eine Theorie, und diese meine Theorie will ich dir erklären. Meine Theorie lautet: Das Weltkapital ist das Produkt der Differenz zwischen Arbeitslast und dem Schuldenschnitt in Proporz zum Bevölkerungswachstum. So lautet meine Theorie, zumindest ungefähr, plus minus einige Fakten. Ich will dir diese meine Theorie erklären, aber du sagst daraufhin: »Scho?« Und das Erstaunliche ist: Du behältst recht!
Denn »scho« bedeutet zwar: »Ich weiß nicht, was es bedeutet.«, aber keiner weiß eigentlich, was es noch alles bedeuten kann. »Scho« hat so viele Bedeutungen, dass man mit »scho« nachfragen muss, was jemand gerade mit »scho« nachgefragt hat. »Scho« hat so viele Bedeutungen, dass du ganze Gespräche führen kannst nur mit »scho«:
»Scho?« (Das heißt: Was ist los?)
»A scho?« (Das heißt: Was soll denn los sein?)
»Schoooo?« (Das heißt: Das fragst du mich? Bist du meschugge? Willst du behaupten, du wüsstest nicht, was los ist?)
»Nu scho …« (Das heißt: Die faktische Präsenz der moralischen Kategorie des Schuldhaften im Rahmen einer interpersonal zwangsläufig divergent interpretierten anthropogenen Ethik impliziert eine kontinuierliche Potentialität subjektiv unverschuldeter Schuldzuschreibung.)
Auf diese Weise ist »scho« nicht einmal mehr eine Frage. Denn manchmal ist »scho« sogar schon die Antwort: »Est-ce que vous-êtes Parisienne, mademoiselle?« »Scho?«
Mit »scho« ist nicht etwas gefragt, sondern du bist gefragt, du als Mensch. Gerade deshalb ist mit »scho« alles gesagt.
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