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»Mauser Triptychon«: Das tägliche Brot der Revolution

Das Mecklenburgische Staatstheater in Schwerin wagt den Rückblick auf den politischen Umsturz als offene musiktheatrale Anordnung und bringt »Mauser Triptychon« nach Heiner Müller zur Uraufführung

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 5 Min.
Gala El Hadidi: »O Mensch, errette deine Seele!«
Gala El Hadidi: »O Mensch, errette deine Seele!«

Raus aus dem Zentrum, vorbei an Schloss und Seen kommt man zum Stadtrand von Schwerin. Sonne strahlt auf Beton, Plattenbauten und Industriehallen beherrschen die Szenerie. Der richtige Ort für Abgelegenes, für »Mauser Triptychon«. Inszeniert hat die Uraufführung der Regisseur Paul-Georg Dittrich, nach dem Text von Heiner Müller und mit Musik von Johann Sebastian Bach, Luigi Nono und Paul-Heinz Dittrich, seinem Vater. Der 2020 verstorbene Paul-Heinz Dittrich galt als einer der wichtigsten Komponisten der DDR, ein kompromissloser Vertreter der Neuen Musik, der moderne Autoren wie Frank Kafka, James Joyce, Paul Celan, Samuel Beckett und Heiner Müller vertonte.

In »Bruchstücke« greift Dittrich auf Müllers »Mauser« zurück. Das in der DDR zur Publikation und Aufführung nicht freigegebene Stück – gar ein Lehrstück? – lässt A und B vor einem Chor auftreten. Die Szene ist die Revolution, der Bürgerkrieg, das Tribunal. »Tod den Feinden der Revolution«, lautet der letzte Satz des Stücks, den man an diesem Abend ebenso oft hört wie den folgenden: »das Gras noch / Müssen wir ausreißen, damit es grün bleibt«. In diesem Spannungsfeld bewegt sich »Mauser«, zwischen der Utopie des grünen Paradiesbewuchses, der mit der Wurzel ausgerissen werden muss, um sie zu erreichen, und der Gewalt, die für diesen Zweck ausgeübt wird.

»Welche Niedrigkeit begingest du nicht, um / Die Niedrigkeit auszutilgen?«, heißt es in Bertolt Brechts »Die Maßnahme«, auf die »Mauser« im Titel anspielt, neben dem bekannten deutschen Waffenhersteller. »Versinke im Schmutz / Umarme den Schlächter«, geht es bei Brecht in seinem großen Lehrstück über »Humanismus und Terror« (Maurice Merleau-Ponty) weiter. Die Geschichte urteilt über die Revolutionäre, der Chor richtet, der Einzelne geht zugrunde. Obwohl die Revolution als tragischer Gegenstand schlechthin erscheint, sind große Revolutionsdramen selten. Büchner, Brecht, Müller, sehr viel mehr gibt es kaum.

Die Revolution und ihr Scheitern bezeichnete Müller einmal als größtes Stoffreservoir des 20. Jahrhunderts, als Krieg des dritten Jahrtausends sagte er den Kampf zwischen Arm und Reich voraus. Aber ohne Hoffnung. Müller schöpfte noch aus der Erfahrung der Revolution, in »Mauser«, aber auch »Horatier«, »Philoktet« oder »Zement«. Für ihn gehörte die Revolution in die Zeit der emphatischen Geschichte – mit aller Tragik! –, auf die die Posthistoire der Marktwirtschaft als Farce folgte. Mit dem »Mauser Triptychon« wird man in eine Epoche entführt, die in aller Heilserwartung und in der Gewalt heute fremd wirken mag. Und das nicht, weil die Gegenwart so gewaltfrei wäre, sondern weil sie nicht mehr als Frage der eigenen Geschichte erscheint, sondern als dem menschlichen Handeln entzogener schicksalhafter Prozess.

Der Pulk von Zuschauern wird um die M*Halle, einem Spielort des Mecklenburgischen Staatstheaters, herumgeführt. Am Ende einer schmalen Gasse tauchen vier schwarz vermummte Gestalten auf, mit ihren langen Mänteln und schweren Stiefeln kommen sie auf die Gruppe zugestürmt, stoppen kurz vorher ab. Hart und wuchtig werden die schroffen Verse aus »Mauser« gesprochen über das Töten, das tägliche Brot der Revolution, das auszureißende Gras. Nun betritt man eine Halle, es beginnt mit Bachs »O Ewigkeit, Du Donnerwort«. Die Qual, die Pein der Ewigkeit, dauert länger, als es Gras auf der Erde gibt und Sterne am Himmel, heißt es in der Kantate. Gras gibt es hier keines, nur blauen Sand, der von Perückenzombies vergangener Zeiten beiseite geschaufelt werden muss. Und Särge, die geöffnet werden. In der Vergangenheit wühlen, wie es Müller sagte, die Toten wieder ausgraben. So wird es auch an die Wand gepinselt.

Es ist eine beeindruckende Setzung dieses Abends, »Mauser« in den Rahmen eben jener »christlichen Endzeit« zu stellen, von der Müller selbst sagte, sie wäre abgelaufen. Nicht minder beeindruckend ist, wie die Kompositionen – Bach 1724, Nono 1981, Dittrich 2016 – aneinander anschließen, wie eine geschichtliche Reise durch das musikalische Material europäischer Erlösungsvorstellungen, verbunden durch Textpassagen aus »Mauser«. Nach einem Zwischenspiel in einem dunklen Gang, in dem erste Zweifel sowohl am Töten für die Revolution als auch an der dafür in Aussicht gestellten Utopie auftauchen, geht es zum Zentralteil des Triptychons in eine weitere Halle, dunkel dieses Mal. In der Mitte wie eine Oase: das grüne Gras! Doch umgeben von einem Wassergraben und Bauzäunen. Unerreichbar.

Der Chor wirft seine schwarzen Gewänder ab, darunter kommen leuchtend rote zum Vorschein. Was man nun zu hören bekommt, ist wie die Gesänge der Sirenen, gegen die sich Odysseus wappnete. Ein Sopran, der die Luft zum Flirren bringt, wohingegen Bassflöte und Kontrabassklarinette wie aus anderen Sphären grüßen. (Wer noch nie eine Kontrabassklarinette gehört hat, sollte das unbedingt nachholen!) Die in der Kunst eingekerkerte Utopie? Das Versprechen, gegen das die Revolutionäre ihre Ohren mit Wachs verstopfen mussten, um das Ziel zu erreichen, dabei aber den Kurs verloren? Nonos »Io, Frammento dal Prometeo« ist in seiner erratischen, unzugänglichen Schönheit kaum zu beschreiben, ein Erlebnis, das durch die über den Köpfen laufenden Videoaufnahmen aus Kreißsaal und Krematorium zwar konterkariert, aber nicht beschädigt wird.

Durch einen weiteren Gang geht es zum Schussbild des Abends: »Bruchstücke« von Paul-Heinz Dittrich. Drei Sänger mit kleiner Besetzung in einem holzgetäfelten Gerichtssaal, aus dem Publikum werden Einzelne für die Plätze der Ankläger und Angeklagten rekrutiert. Das bei Nono entrückte Versprechen zerfällt hier in die titelgebenden Bruchstücke, während auf einem Fließband Totenköpfe in eine Kiste purzeln. Eine bittere Bilanz des großen Aufbruchs, der bei Bach mit »O Mensch, errette deine Seele« beginnt und im wenig hoffnungsfrohen Einsatz des Schlagwerks bei Dittrich endet. »Mauser Triptychon« ist ein Rückblick auf die Revolution als offene musiktheatrale Anordnung, ein so weit ausgreifendes und dabei nicht abstürzendes Wagnis, das man gesehen und gehört, kurz: erfahren haben muss.

Nächste Vorstellungen: 8. und 10. Juni
www.mecklenburgisches-staatstheater.de

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