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Stop-Deportation-Protest-Camp: »Ich finde das unmenschlich«

Am Kiekebuschsee protestieren eine Woche lang Hunderte gegen das geplante Abschiebegefängnis am Berliner Flughafen

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 7 Min.
Für die Teilnehmer*innen ist die Sache klar: Kein Mensch ist illegal.
Für die Teilnehmer*innen ist die Sache klar: Kein Mensch ist illegal.

Auf der Wiese wird Sport getrieben. Es tönt »I Gotta Feeling« von The Black Eyed Peas aus dem Lautsprecher. Überwiegend junge Menschen stehen im Kreis um Trainer Stefan herum und imitieren seine Bewegungen. Es riecht nach sandigem Boden, der von der Sonne angestrahlt wird. Im Hintergrund hört man einen Stromgenerator und Ping-Pong-Bälle, die hin und her gespielt werden. Wer nicht sportelt, trinkt Kaffee im Gras oder ist mit Zähneputzen beschäftigt. Es ist Morgen am Kiekebuscher See, und man könnte denken, man wäre auf einem Festival.

Doch die Menschen sind nicht zum Spaß hier – jedenfalls nicht in erster Linie. Vom 1. bis 6. Juni findet hier, unweit des Flughafens Berlin Brandenburg (BER) in Schönefeld, unter dem Motto »Abschiebung stoppen!« ein Protestcamp gegen das dort geplante »Ein- und Ausreisezentrum« statt. Am Montag zogen die Teilnehmer*innen für eine Demonstration vom Rathaus Schönefeld bis zum Terminal 5 des Hauptstadtflughafens. Im laufenden Jahr soll hier der Bau beginnen: Neben einem sogenannten Gewahrsams- und Transitgebäude für die Abschiebehaft von bis zu 120 Personen sollen Räumlichkeiten für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), die Ausländerbehörde, Gericht und Polizei entstehen. Außerdem sind Einrichtungen geplant, um mehrere Massenabschiebe-Charterflüge pro Tag zu koordinieren. Schon jetzt finden in Schönefeld Abschiebungen unter der Beteiligung mehrerer Bundesländer statt.

Zum Protestcamp sind mehr Menschen gekommen, als die Veranstalter*innen erwartet hatten. Angemeldet waren rund 500 Menschen, am Samstag habe das Küchenteam für etwa 1000 gekocht, heißt es. Eine zweite Zeltfläche wurde benötigt. Insgesamt schätzt die Initiative, dass rund 2000 Menschen das Camp besucht haben. Neben dem Protest liegt der Fokus der Aktivist*innen darauf, Wissen über Abschiebepraxis und Widerstand zu teilen sowie sich untereinander zu vernetzen. »Die europäische Abschottungspolitik ist menschenunwürdig. Wir wollen, dass Menschen frei sind zu kommen und zu gehen und in Sicherheit zu leben«, sagt Amy Amoakuh von der Initiative Abschiebezentrum BER verhindern, die das Camp geplant hat.

Auch Philippe Dadjah ist gegen das Abschiebezentrum. »Leute kommen hierher, und wenn ihr Asylantrag abgelehnt wird, kommen sie in den Knast und werden abgeschoben. Ich finde das unmenschlich«, sagt er. Der 27-Jährige lebt seit acht Jahren in Deutschland mit einer Duldung. Das bedeutet, dass eine Ausreisepflicht besteht, diese aber nicht vollzogen werden kann. »Ich kann nichts tun außer essen und schlafen. Manchmal spiele ich noch Fußball im Verein«, erzählt er. Dadjah trägt eine graue Jacke und einen glitzernden Ohrring, er spricht ruhig, aber bestimmt. Im November vorigen Jahres hat er zusammen mit anderen Geflüchteten die Refugee Community (Flüchtlingsgemeinschaft) Bitterfeld gegründet. Seitdem er sich als politischer Aktivist versteht, gehe es ihm besser: »Ich habe mehr Selbstvertrauen, und ich kann etwas für Menschen tun, die Hilfe brauchen.« Die Menschen der Refugee Community Bitterfeld kämpfen für einen ordentlichen Aufenthaltstitel, eine Arbeitserlaubnis und die Abschaffung der Residenzpflicht. »Es gibt strukturellen Rassismus. Wenn man einen Schwarzen Mann sieht, denkt man, der ist faul und verkauft Drogen. Wer so denkt, kennt die Realität von Migranten nicht«, sagt Dadjah. Dass vor dem Camp die Polizei stationiert ist, macht ihm keine Angst. »Ich mache nichts Illegales, ich drücke nur meine Unzufriedenheit aus«, sagt er.

Alle paar Minuten wird es laut, weil gerade ein Flugzeug in geringer Höhe über das Gelände fliegt. Nach einer Weile gewöhnt man sich daran, dass kurze Pausen entstehen oder das Gesagte wiederholt werden muss. Auf einem Workshop von »Women in Exile and Friends« (Frauen im Exil und Freund*innen) geht es darum, wie man persönlich und politisch Widerstand gegen eine Abschiebung leisten kann. Das blau-weiße Zirkuszelt ist bis auf den letzten Platz gefüllt, als die Referentin die Initiative vorstellt, deren Mission es seit 25 Jahren ist, die Isolation in Lagern zu durchbrechen. Das ist oft ein erster Schritt, um zu verhindern, dass eine Person abgeschoben wird. Asylsuchende in Deutschland können bis zu 18 Monate verpflichtet werden, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen. »Die Menschen dort haben oft sehr eingeschränkte Informationen über ihre Rechte«, sagt die Referentin. Dann geht es aber auch um praktischen Widerstand am Flughafen: die Airline kontaktieren oder andere Fluggäste, die sich solidarisieren und sich etwa nicht hinsetzen. In einem Abschiebegefängnis, wie es am BER entstehen soll, sei es kaum möglich, die Menschen zu unterstützen, fürchtet die Organisation.

Zur Abendessenszeit schlängeln sich hungrige Teilnehmer*innen im Schatten der Bäume durch das halbe Gelände hindurch, gut eine Stunde kann es dauern, bis man einen Teller in den Händen hält. Es duftet nach knusprigem Pizzateig und Tomatensauce. Neben den Wartenden schnippeln Helfer*innen im Akkord Gemüse, Zucchinischeiben werden mit überdimensionierten Küchenutensilien in der Pfanne gewendet. In der Schlange steht auch Philippe mit einigen Freund*innen. Sie unterhalten sich auf Französisch, machen Scherze. Auf meine Frage, ob noch jemand von ihnen mit mir sprechen möchte, winken sie ab: »Es ist die gleiche Geschichte wie bei Philippe, nur dass wir aus anderen Ländern kommen.«

Philippe Dadjah hat die Initiative Refugee Community Bitterfeld mitgegründet.
Philippe Dadjah hat die Initiative Refugee Community Bitterfeld mitgegründet.

Am nächsten Morgen treffe ich einen von ihnen wieder. Issouf gießt mir Hafermilch in meinen Kaffee. Später erzählt er doch von sich. Er möchte aber nicht mit seinem richtigen Namen in der Zeitung stehen. Mit einem belgischen Visum ist er eingereist und dann nach Deutschland gekommen. 2016 habe er für ein Jahr arbeiten dürfen, dann sei ihm die Erlaubnis wieder weggenommen worden. »Die Ausländerbehörde sagt, für eine Arbeitserlaubnis brauchen sie einen Pass von mir. Aber wenn sie einen Pass hätten, würden sie mich sofort abschieben«, sagt er. Issouf trägt Sneaker, eine Jeans mit Löchern an den Knien und eine Trainingsjacke mit dem Aufdruck »Burkina Faso« auf dem Rücken. Das Land, aus dem er kommt, das er vermisst, aber wo er nicht mehr leben kann, wie er sagt. »Im Fernsehen sehe ich, dass Deutschland Arbeitskräfte braucht. Es gibt so viele Menschen wie mich. Wir sind viele und wir wollen arbeiten – aber wir dürfen nicht«, erzählt der 36-Jährige.

Das Protestcamp sende »ein falsches Signal«, sagte Jan Redmann, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Brandenburger Landtag. Die Polizei hatte im Vorfeld sogar versucht, die Versammlung in der Nähe des Flughafens zu verbieten. »Hinter der versuchten Blockade steht eine politische Agenda«, ist Amoakuh von der Initiative überzeugt. Naturschutz, Beeinträchtigung des Flugverkehrs: Auch die Gerichte konnte diese Argumentation nicht überzeugen. Das Gelände am Kiekebuschsee wird regelmäßig von Reiter*innen, Spaziergänger*innen und Quadfahrer*innen genutzt, außerdem finden hier kommerzielle Musikfestivals statt, das nächste im Juli.

Für die Initiative Abschiebezentrum BER verhindern sind alle Gründe für Migration legitim. Das steht der aktuellen Entwicklung in der deutschen Debatte über Flucht und Migration entgegen. Die Bundesregierung will vermehrt auf Abschiebungen setzen und Verträge mit Drittstaaten aushandeln, damit diese Menschen »zurücknehmen«. Außerdem sollen die Außengrenzen verstärkt kontrolliert werden. Geflüchtete werden als »irreguläre Migranten« bezeichnet, deren Bewegung man begrenzen will. In der Europäischen Union soll am 8. und 9. Juni eine Vorentscheidung über sogenannte Grenzverfahren fallen, mit der die Inhaftierung und Entrechtung von Schutzsuchenden einhergehen würden.

»Das Abschiebezentrum am BER ist ein Pilotprojekt«, sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von Pro Asyl. Er ist am Samstag auf dem Protestcamp. Wegen der geplanten Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems müsse Deutschland sehr viel mehr Kapazitäten für Abschiebehaft schaffen. Denn demnach sollen deutsche Flughafenverfahren durch die neuen Grenzverfahren ersetzt werden. Asylsuchende könnten dann bis zu drei Monate statt der bisherigen 19 Tage inhaftiert werden.

Auch Brandenburgs Linksfraktionschef Sebastian Walter und seine Stellvertreterin Andrea Johlige haben das Protestcamp besucht. »Dieser Protest ist dringend nötig und wird von uns unterstützt«, sagt Johlige. Sie ist in der Landtagsfraktion für Asylpolitik zuständig und kämpft selbst engagiert gegen das geplante Abschiebezentrum. Nach bisherigem Kenntnisstand soll ein wegen Korruption vorbestrafter Investor die gewünschten Gebäude errichten und für 30 Jahre an Bund und Land vermieten. Auf diese Weise würde der Investor wohl mindestens 315 Millionen Euro Gewinn machen. Skandalös ist dieses Geschäftsverhältnis auch, weil es in der vorigen Koalition vom ehemaligen SPD-Innenminister Karl-Heinz Schröter am linken Finanzminister vorbei geplant wurde. Die Summe wurde trotz heftiger Kritik aus Zivilgesellschaft und Opposition bereits in den Landeshaushalt eingestellt. Johlige hat nun Klage beim Landesverfassungsgericht eingereicht, um vollständige Akteneinsicht in die Kosten und Verträge über das Abschiebezentrum zu erhalten. »Die Millionen Euro, die hier versenkt werden, sollten viel besser in die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen gesteckt werden. Das wäre wirklich sinnvoll«, findet Andrea Johlige.

Die Verhandlungen zwischen dem Investor und der Landesregierung sind noch nicht abgeschlossen. Auch darum findet die Initiative: »Es ist noch nicht zu spät, den Bau zu verhindern.«

Mitarbeit: Andreas Fritsche

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