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Bahn: GDL jetzt mit Genossenschaft
Die GDL setzt mit ungewöhnlicher Maßnahme Bahn unter Druck
Während die Tarifverhandlungen zwischen der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und der Deutschen Bahn AG noch laufen, betritt nunmehr ein weiterer Akteur die aktuelle tarifpolitische Bühne im Schienenverkehr. Die mit der zum DGB gehörenden EVG in erbitterter Konkurrenz stehende Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hat am Montagnachmittag in Berlin ihre Forderungen für die im Herbst anstehenden Tarifverhandlungen bekannt gegeben. Ihr Tarifvertrag läuft erst zum 31. Oktober aus, bis dahin besteht für die GDL, die hauptsächlich Lokführer, aber auch andere Berufsgruppen des operativen Bahnbetriebs organisiert, die Friedenspflicht.
Die GDL verzichtet auf eine prozentuale Erhöhung und verlangt eine Erhöhung aller Tabellenentgelte um 555 Euro bei einer Laufzeit von zwölf Monaten für alle Beschäftigen im Netzbetrieb (zum Beispiel Fahrdienstleiter), in der Netzinstandhaltung, in der Fahrzeuginstandhaltung und beim Zugpersonal (Lokführer, Zugbegleiter und Bordgastronomen). Ferner fordert die GDL einen steuerfreien Inflationsausgleich von 3000 Euro. Und man sei nicht bereit, diese einmalige Zahlung in irgendeiner Form auf die Tabellenerhöhung oder die Laufzeit anrechnen zu lassen, betonte GDL-Tarifvorstand Thomas Gelling.
Hohen Stellenwert haben für die Gewerkschaft auch die Forderungen für Schichtdienstbeschäftigte. Deren Referenzwochenarbeitszeit soll auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich gesenkt werden, Zuschläge für Nacht- und Feiertagsarbeit sollen um 25 Prozent steigen. Die Mindestpausenzeit nach fünf Schichten soll künftig 48 Stunden betragen.
Die Vergütungen der Auszubildenden sollen prozentual an die Eingangstarifstufe für Lokführer gekoppelt werden, gestaffelt zwischen 37 und 43 Prozent vom ersten bis zum vierten Ausbildungsjahr. Das entspricht 1362 bis 1583 Euro.
Während man diesen Forderungskatalog trotz der ungewöhnlichen pauschalen Gehaltsforderung noch als einigermaßen normales Tarifgeschäft einstufen kann, bedeutet eine weitere Ankündigung der GDL allerdings eine frontale Kampfansage an den DB-Konzern. Denn man werde, so der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky, dem DB-Konzern »die Lokführer entziehen«. Die GDL hat in einer Art Geheimoperation eine Genossenschaft mit dem Namen Fair Train e.G. gegründet, die nach längerem Prüfungsvorlauf am 2. Juni beim Genossenschaftsverband eingetragen wurde. Fair Train will künftig als Personaldienstleister agieren.
Das heißt, die Lokführer, und später auch auch andere Beschäftigte des Eisenbahnbetriebs, sollen auf der Basis von GDL-Tarifverträgen voraussichtlich ab Anfang des kommenden Jahres von der Genossenschaft fest eingestellt und auf dieser Basis an die Deutsche Bahn oder andere Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) »verliehen« werden. Die Kollegen seien es einfach leid, von diesem Unternehmen, »dessen Management unfähig ist, den Bahnverkehr in Deutschland einigermaßen zu organisieren«, permanent gedemütigt zu werden, so die GDL. Man werde nicht mehr zulassen, dass den Lokführern, bei denen die GDL einen Organisationsgrad von über 80 Prozent aufweist, schlechte Tarifverträge einer anderen Gewerkschaft aufgezwungen würden.
Damit zieht die GDL die Konsequenz aus den bislang erfolglosen Versuchen, die Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes im Bahn-Konzern zu verhindern oder wenigstens in ihrem Sinne zu regulieren. Denn der Bahn-Vorstand erkennt nur für 16 der 71 Eisenbahnverkehrsunternehmen, die zum Konzern gehören, die Tarifmächtigkeit der GDL an, in den anderen Betrieben gelten die Tarifverträge der dort vermeintlich mitgliederstärkeren EVG auch für GDL-Mitglieder. Und bislang sei es nicht gelungen, die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse von Arbeitsgerichten klären zu lassen.
Mit der Gründung des genossenschaftlichen Personaldienstleisters könnte erheblicher Druck auf die Bahn AG und auch die privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen ausgeübt werden. Denn besonders Lokführer, aber auch Angehörige anderer Eisenbahnberufe sind ein ausgesprochen rares Gut. Schon jetzt fehlen mehrere tausend Mitarbeiter, und offene Stellen können mangels qualifizierter Bewerber oftmals nicht besetzt werden. Zugausfälle wegen Personalmangels sind schon lange keine Seltenheit mehr.
Für Weselsky geht es aber nicht nur um das »Unterlaufen« des Tarifeinheitsgesetzes , sondern um eine »schnellstmögliche, deutliche Verbesserung der materiellen und immateriellen Arbeits- und Lebensbedingungen der Eisenbahner, vor allem im direkten Bereich und in den unregelmäßigen Schichtsystemen, um den Schienenverkehr in Deutschland wieder zukunftsfähig zu machen«. Nur so ließen sich künftig wieder ausreichend Fachkräfte und Nachwuchs für diese Berufe gewinnen und die Verkehrswende könnte geschafft werden. Mit der Gründung der Genossenschaft »nehmen die Eisenbahner ihr Schicksal in Zukunft schrittweise in die eigenen Hände«, so Weselsky. Fair Train werde viele Kooperationspartner finden und »gleichzeitig den Mitarbeitern attraktive Tarifbedingungen garantieren können«.
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