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»Suddenly Beautiful«: Zurück zum Beton
Ein verpöntes Material soll neu belebt werden – »Suddenly Beautiful« in der Berlinischen Galerie
Die Ausstellung »Suddenly Beautiful« in der Berlinischen Galerie wird eröffnet mit einem Modell der Forschungseinrichtung für experimentelle Medizin. Die US-amerikanische Künstlerin Tracey Snelling lässt kleine Videos ablaufen, die ein buntes Potpourri aus Pop-Kultur, Westberliner Geschichte der 80er Jahre und Aufnahmen von Experimenten an Mäusen zeigen. Das Gebäude, das hier im Mittelpunkt steht, im Volksmund »Mäusebunker« genannt, wurde als »Zentrale Tierlaboratorien der Freien Universität Berlin« von den Architekten Gerd Hänska und Kurt Schmersow entworfen und 1981 in Betrieb genommen. Seit Mai dieses Jahres steht es unter Denkmalschutz. Es gilt als eines der prägnantesten Gebäude der deutschen Nachkriegsmoderne und des brutalistischen Architekturstils.
Auch wenn sich eben dieser wieder zunehmenden Interesses erfreut, macht Snellings Installation deutlich, dass die Ausstellungsmacher*innen ein eher ambivalentes Verhältnis zu dieser Architekturrichtung haben. Plötzlich wunderschön mögen die abstrakten Formen für Ästhetizisten wirken, die Ausstellung hingegen macht schon im Prolog klar, dass Westberliner Brutalismus und Hightech-Architektur gekoppelt waren an ihren Repräsentationsauftrag gegenüber dem sozialistischen Osten sowie an eine durchaus brutale Beherrschung der Natur und einen Glauben an ewiges ökonomisches Wachstum. Auch wenn Snellings leicht trashige Modell-Installationen relativ offen das Verhältnis von Kultur und Gewalt ausloten, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Gesamtkonzept der Ausstellung auf die Frage hinausläuft, ob im großen Experimentierraum der totalitären, fortschrittsoptimistischen Moderne und ihrer entfremdenden Architektur nicht letztlich wir, die Menschen, die Mäuse sind. Und was ließe sich baulich dem entgegensetzen?
Zumindest ansatzweise bieten Antworten darauf die Neu- und Umnutzungspläne der zwei weiteren Gebäude, die im Fokus der Ausstellung stehen: einerseits das Internationale Congress Centrum Berlin (ICC) am Funkturm, andererseits der Restaurantturm am U-Bahnhof Schloßstraße, besser bekannt als »Bierpinsel«. Beide Gebäude sind vom Ehepaar Ursula Schüler-Witte und Ralf Schüler geplant worden; stilistisch bewegen sie sich zwischen Brutalismus, (Neo-)Futurismus und Pop-Art.
2019 wurde ein europaweites Interessenbekundungsverfahren seitens der Stadt Berlin eingeleitet, in deren Eigentum sich das ICC befindet. In diesem sollten die »Marktgängigkeit« des Gebäudes geprüft und private Investorinnen und Investoren für eine Neunutzung gefunden werden. Das Finalisten-Konzept der Architekten Christina Neuner und Roland Böving sieht eine Überdeckung der Stadtautobahn vor, die dann als Parkanlage begrünt werden soll. Das Gebäude soll mit einer transparenten Hülle umgeben werden, die an eine Zellstruktur erinnert, um einen Treibhauseffekt zu erzeugen, der die hohen Energiekosten auf ein erträgliches Maß senken soll. Dach und unmittelbare Umgebung des ICC sollen ebenso begrünt werden, innen soll ein International Climate Campus für die Berliner Universitäten entstehen. Zudem soll hier weiterhin Messe-, Kongress- und Gastronomiebetrieb stattfinden. Ein weiterer Vorschlag des Büros Grafts mit Partnerunternehmen sieht ein Mobility Innovation Convention Center vor, ein »Diskussions- und Testzentrum für zukunftsweisende Fortbewegungstechnologien«, das ein Museum für Motorsportgeschichte umfassen könnte, aber auch ein Erlebniszentrum zum Thema Mobilität.
Im Konzept von Neuner und Böving dagegen macht sich zumindest in der ästhetischen Gestaltung der Außenhülle ein Drang zum Organizismus bemerkbar, der Architekturvorstellungen des grünen Kapitalismus entspricht. Sollten sich Architekturen wirklich im Sinne Walter Benjamins wie kollektive Träume um den materiellen Kern der Konstruktion legen, dann können sie uns etwas über das Wünschen und Begehren des Kollektivs und dessen gesellschaftliches Sein verraten. Im Falle der genannten beiden Konzepte bereitet dies eher etwas Unbehagen.
Es ist überhaupt fraglich, ob die scharfe Trennung – hier technikverliebte Moderne, die sich von der Natur abgrenzt und sie unterwirft, dort demokratisch-plurale Architektur des grünen Kapitalismus – so aufrechtzuerhalten ist, wie es die Ausstellung impliziert. Die Pläne zum ökologischen Umbau des ICC haben etwas seltsam zwanghaftes, tun dem Gebäude im Grunde genommen Gewalt an, weil sie dessen immanenter Logik etwas Fremdes aufzwingen, an der Oberfläche wie in seiner Tiefe. Das Wesen des Gebäudes wird nicht behutsam aufgehoben, sondern schroff dem neuen Zeitgeist unterworfen – bewusstlose Angleichung an Natur.
Der englische Kulturtheoretiker Mark Fisher nannte die Veränderungen der Londoner Architekturlandschaft seit der Regierungszeit Maggie Thatchers bis hin zum Groß-Event der Olympischen Spiele 2012 in London »Restauration«: (Wieder-)Einsetzung einer unbeschränkten Herrschaft des finanzialisierten globalen Kapitalismus. Bauen, bauen, bauen; Hyperaktivität des Neoliberalismus zwecks Verwertung, die dennoch nur auf der Stelle tritt. In Berlin konnte man eine ähnliche Entwicklung ausmachen – der deutschen Hauptstadt angemessen bräsig-historisierend.
Neue stadtplanerische und architektonische Umgestaltungen dürften aber bald nicht mehr allein unter der Prämisse des neoliberalen Pseudofortschritts ablaufen wie in London, sondern, so lässt sich anhand der Ideen der Architektinnen und Architekten dieser Ausstellung vermuten, unter ökologischem Vorzeichen. Was heute schon nach hohler Phrase klingt, erlangt im letzten, die Ausstellung beendenden Entwurf für die Umgestaltung des »Mäusebunkers« einen drohenden Unterton. Der Plan stammt vom Architekturbüro b+, das sich bereits einige Verdienste erworben hat um die gelungene Erhaltung brutalistischer Gebäude wie der ehemaligen St.-Agnes-Kirche in Berlin. In einem Video zum geplanten Umbau wird in einem Jargon zwischen Marketingseminar und Politaktivismus erklärt, dass nach dem Fall der Mauer der Prozess der Gentrifizierung eingesetzt habe, weil immer mehr Menschen vom Kulturleben der Stadt angezogen wurden. Dieser Prozess lasse die Stadt sozial und ökologisch verfallen, so die Off-Stimme. Mit der Neunutzung des »Mäusebunkers« solle ein Pilotprojekt entstehen, in dem das Verhältnis von Sozialem, Ökonomie und Ökologie neu gedacht werden könne und das Gemeinwohl vor individuellen Interessen stehen müsse.
Die Erklärung, wie dieses ominöse Gemeinwohl in einer kapitalistischen Produktionsweise zustande kommen soll, bleiben die Macherinnen und Macher jedoch schuldig. Eines ist aber sicher: Wenn hierzulande von »Gemeinwohl« die Rede ist, kann sich das Proletariat warm anziehen. Statt also dem am Ende doch platten Fortschrittsglauben der Pläne der Architektinnen und Architekten, die in dieser Ausstellung versammelt sind, auf den Leim zu gehen, wäre es angeraten, es mit Walter Benjamin zu halten und »den Sprengstoff, der im Gewesnen liegt (...) zur Entzündung« zu bringen. Und dies gelingt nur, so jener weiter, wenn man das Gewesene nicht einfach historisiert, es kaltstellt, sondern es auf politische Art behandelt und mit politischen Kategorien fasst. Was im Endeffekt nichts anderes heißt, als die »veraltete« Architektur der Nachkriegsmoderne auf deren Potenziale für den Klassenkampf hin abzuklopfen.
Die Ausstellung, die zwischen grünem Ornament und öder Kreativindustrie dümpelt und Schrecklicheres erahnen lässt, ist dort am stärksten, wo historische Aufnahmen von brutalistischen und futuristischen Gebäuden der Westberliner Nachkriegsmoderne daran erinnern, dass Zukunft einst nicht nur als Katastrophe imaginiert wurde.
»Suddenly Beautiful«, Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124 10969 Berlin, bis 28.9., Mi bis Mo 10 bis 18 Uhr geöffnet, Di geschlossen; 10 €, erm. 6 €, unter 18 Jahre freier Eintritt.
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