- Kommentare
- Kriegsrhetorik
Manöverkritik
Der Blick in die Agenturmeldungen verheißt viele Manöver. Ex-Offizier Daniel Lücking geht das gegen den Strich
»Es wird die Zeit kommen, wo man pathoslos und sachlich einsehen wird, dass es klüger und ökonomischer ist, keine Kriege zu führen«, meinte seinerzeit schon Kurt Tucholsky und hat eben solche Zeiten nicht mehr erlebt. Auch in diesem Jahrhundert scheint es unwahrscheinlich, solche Zeiten wirklich einmal zu erleben. In der Alltagssprache hat der Militärjargon längst wieder einen Umfang erreicht, der so bedenklich ist wie nervtötend. Wer da nicht alles plötzlich etwas »auf die Kette kriegen will« und sich früher ob des militanten Einschlags eine solche Formulierung eher verboten hätte.
Auch beim Blick in die Agenturmeldungen wird klar, dass man von Militärsprech zumindest im Rahmen von Suchergebnissen profitieren will, um nicht im Wust der militärisch gefärbten Meldungen unterzugehen. Auf das Suchwort »Manöver« erscheint am Dienstagnachmittag glatt eine Meldung, die ein Interview mit dem Schauspieler Michael Kessler anpreist. Klug eingesetzte Aufmerksamkeitsökonomie, dachten sich da wohl die Verfassenden. Leider führt die Überschrift mit dem Wort »Manöverkritik« nicht zu einem antimilitaristischen Beitrag, der eines der zahlreichen Manöver dieser Tage kritisiert, sondern nur zur Anpreisung eines Interviews mit Kessler, der im »Playboy« offenbar hauptsächlich selbstkritisch seine Performance im letzten Film entblößte.
Der nächste Treffer für Manöver führt dann in den Iran, der eine Hyperschallrakete mit dem klangvollen Namen »Fattah« vorstellte. Damit könnten »zahlreiche Manöver« innerhalb und außerhalb der Erdatmosphäre ausgeführt werden. Reichweite bis zu 1400 Kilometer. Was soll da schon schief gehen?
Besonders die Wirtschaft ist dieser Tage manövernah platziert. In der Tagesankündigung, in der es einmal mehr um die Auswirkungen des »Air-Defender«-Luftkriegsspektakels auf den deutschen Luftraum geht, ist auch der Rheinmetall-Medientag im »GröPAW« enthalten, dem »Größten Panzer- und Artillerie-Werk« des Rüstungskonzerns. Na, schönen Dank auch. Der nächste Medientermin mit reichlich Säbelrasseln betrifft dann in Ramstein die Übung »Saber Guardian 23 Hospex«. Eingedeutscht »Säbelwächter« nennt das US-Militär die Begleitübung, die parallel zum bevorstehenden »Air Defender«-Manöver abgehalten wird. Dabei werden die Fähigkeiten der US-Luftwaffe und des Heeres bei groß angelegten Kampfeinsätzen getestet. Es nehmen mehr als 7800 US-amerikanische und 15 000 multinationale Soldaten aus 26 verbündeten Staaten und Partnerländern teil, kündigt die Agentur an.
Wem angesichts der ausufernden Militäraktivitäten jetzt angst und bange ist, den beruhigt dann hoffentlich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Er wurde am Rande des Militärmanövers »Baltic Ops« interviewt, bei dem mit Kriegsschiffen aus Spanien und Portugal sowie Tornado-Jets und Eurofightern in der Ostsee manövriert wird. Von Bord des aktuell als »Nato-Speerspitze« geltenden Kutters »Mecklenburg-Vorpommern« zerscholzt der Kanzler Sorgen, die ebenfalls gerade im Manöver befindlichen Russen könnten sich provoziert fühlen. »Diese Befürchtung habe ich nicht«, meint er bei seinem Kurzbesuch auf der Fregatte. »Es wird sehr verantwortungsvoll umgegangen von Seiten unserer Kräfte.« Eingeflogen mit einem Hubschrauber des Typs »Seekönig« (Typbezeichnung »Sea King«) blubbert für den Kanzler dann auch das Brennstoffzellen-Jagd-U-Boot U33 durch die Ostsee. Als Signal der Stärke an Russland wolle der Kanzler die Nato-Übung trotzdem verstanden wissen.
Wer angesichts der zahlreichen Übungen und Drohgebärden den Überblick verliert, wo die Russen Krieg führen oder nur Manöver stattfinden lassen oder wie viele Nato-Soldat*innen in diesen Tagen ins Manöver mobilisiert sind, liegt ebenso im Trend wie all diejenigen, die daran scheitern, einen Überblick über die sprießenden Rüstungsverträge und Militärkooperationen zu bewahren. »Ich halte im übrigen dieses Wettrüsten für Wahnwitz – es muss zum Kriege führen, und es ist gar kein Mittel […] ihn zu verhindern«, meinte Tucholsky. Recht damit hat er auch heute.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.