- Politik
- Linke in Belgien
»Näher am Puls der Arbeiter«
Der belgische Europaabgeordnete Marc Botenga über den Aufschwung der Partei der Arbeit
Die belgische Partei der Arbeit (PTB) ist derzeit drittstärkste Partei im Land und die am schnellsten wachsende linke Kraft in Europa. Die Mitgliederzahlen steigen: Vor der Finanzkrise hatte die PTB etwa 800 Mitglieder, mittlerweile zählt sie 25 000. Wie hat die PTB das geschafft?
Wir haben einen Erneuerungsprozess durchgemacht. Einerseits wollten wir unsere Prinzipien und unseren Kompass für eine andere Gesellschaft behalten, andererseits wollten wir nicht mehr so dogmatisch sein. Die Aufbruchstimmung kommt durch die Präsenz in den Betrieben und Städten. Ein anderer Punkt ist, dass wir den Schwerpunkt unserer Kommunikation auf das Digitale setzten. Wir brauchen einen Umbruch. Der Kapitalismus hat keine Zukunft, weder für die Leute noch für die Natur.
Marc Botenga ist seit 2019 Europaabgeordneter der belgischen Partei der Arbeit. Die PTB ist derzeit drittstärkste Partei seines Landes und die am schnellsten wachsende linke Kraft in Europa.
Die PTB will also nicht mehr dogmatisch sein. Worin äußerte sich dieser Dogmatismus? Was machen Sie heute anders?
Wir waren zu belehrend, zu hermetisch. Damit spricht man zu den Leuten, aber man hört ihnen nicht zu. Und das heißt natürlich nicht, dass die Perspektive einer gerechten Gesellschaft oder eines Sozialismus 2.0, dass das alles völlig falsch war. Nein, überhaupt nicht. Die Frage war natürlich: Warum erreichen wir die Menschen nicht? Wenn wir 2003 nur sehr schlechte Wahlergebnisse bekamen, woran lag das? Wir mussten unsere politischen Ziele konkret an die Leute bringen. Wir fingen bei den Alltagsproblemen der Menschen an, bei so etwas wie der Müllabfuhr.
Was hieß es in diesem Kontext, dass die PTB 2008 begann, stärker auf die Bedürfnisse der belgischen Arbeiterklasse einzugehen? Hat sie das als kommunistische Partei nicht schon immer gemacht?
Natürlich waren wir auch früher im Kampf der Arbeiter und in den Unternehmen präsent. Wir haben immer mitgekämpft. Nicht alles, was wir gemacht haben, war falsch. Aber wir haben begonnen, uns mehr in die gesellschaftliche Auseinandersetzung einzubringen. Also nicht nur von draußen sagen: Wir wissen, wie es geht. Und dann bekommst du dieses Papier, das dir fünf Seiten lang erklärt, warum Marx recht hat. Unsere Wahlplakate sind nicht länger marxistische Handbücher, das waren sie in den 90er Jahren zu sehr.
Die Sprache der PTB hat sich verändert, heißt es. Lässt sich das konkretisieren?
Wir orientieren uns in diesem Bereich am italienischen Revolutionär Antonio Gramsci. Die Sprache ist ein wesentliches Element des politischen Kampfes um die kulturelle Hegemonie. Welche Sprache nutzt du? Wie? Wir sind heute näher am Puls der Arbeiterinnen und Arbeiter, ein Beispiel ist die Millionärssteuer. Wir sagen nicht Vermögenssteuer, weil dann jemand das missverstehen und glauben könnte, wir wollen an die Ersparnisse der Arbeiter. Wir sagen Millionärssteuer, denn dann wissen die Menschen, sie sind nicht gemeint.
Gibt es eine Arbeiterquote in der PTB?
Im bundesweiten Rat unserer Partei, ja. Aber auch ohne Quote denken wir darüber nach, bei den Wahlen zum Beispiel. Vier von unseren zwölf nationalen Abgeordneten im belgischen Bundestag sind Arbeiterinnen und Arbeiter. Gaby Colebunders war bei einer Ford-Werkstatt, Nadia Moscufo hat in einem Supermarkt gearbeitet, Maria Vindevoghel putzte Flugzeuge, Roberto D’Amico kam vom Maschinenbau. Fürs Parlament ist das sehr ungewöhnlich. Da sind fast alle Juristen oder CEO.
Zurzeit bedroht der Rechtsruck in Belgien Errungenschaften der Arbeiterbewegung. Das Streikrecht wird angegriffen. Was hat es damit auf sich?
Das ist sehr, sehr beunruhigend. Wir haben in Belgien mehrere Fälle, in denen Gewerkschafter für die Ausübung ihres Streikrechts verurteilt wurden. Wir haben auch bei der Supermarktkette Delhaize Präventivmaßnahmen der Polizei beobachten müssen. Die Polizei hat Gewerkschafter an Aktionen gehindert. Wir sind mit politischer Repression konfrontiert. Die Lage ist sehr ernst. Als Partei unterstützen wir alle Aktionen der Gewerkschaften gegen diese Einschränkungen und arbeiten im Parlament gegen diese Entwicklung. Die Gewerkschaften in Belgien sind stark und der Kampf um unsere Grundrechte ist existenziell. Auch in Frankreich gibt es diese Tendenz und ich habe von präventiven Demonstrationsverboten in Deutschland gelesen. Als linke Parteien müssen wir diesen Kampf um fundamentale Freiheiten annehmen.
Welche Rolle spielt die Vernetzung verschiedener nationaler Parteien auf dem Weg zu einem sozialistischen Europa?
Ich glaube, dass wir in Europa mehr Zusammenarbeit und mehr Vernetzung linker Parteien brauchen, weil man auf europäischer Ebene eine Union des Kapitals hat. Schon seit den 70er Jahren gibt es auf europäischer Ebene den European Round Table of Industrialists, Business Europe und so weiter. Die Organisationen des Kapitals haben sich vereint. Als linke Parteien brauchen wir mehr Vernetzung, nicht nur, um voneinander zu lernen, sondern auch, um zusammen aufzutreten – wie zum Beispiel während der Solidaritätsbewegung mit Griechenland 2015. Heute kann ich mir eine Bewegung für eine Millionärssteuer auf europäischer Ebene vorstellen. Wenn der politische Gegner sich vereint, müssen wir uns auch gegen ihn vereinen.
Wie kann die Hegemonie der reichen Länder in der EU gebrochen werden, auch mit Blick auf Griechenland?
Eigentlich ist das hauptsächlich eine Klassenfrage, eher als eine nationale Frage. Du hast auch in Griechenland reiche Unternehmer, die vom derzeitigen EU-Modell genauso profitieren wie Unternehmer in Deutschland. Egal ob Bundeskanzler Olaf Scholz oder EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, sie wollen dieselbe Sparpolitik durchsetzen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.